Rolf Landua: "Am Rand der Dimension"

Gespräche über die Physik am CERN


Das "Nichts" hat eine eigene Dynamik
Rolf Landua berichtet aus dem größten und kältesten "Kühlschrank" der Welt - dem LHC im CERN


Populistische Panikmache geisterte durch viele Medien, je näher das Datum der Inbetriebnahme des Large Hadron Colliders (LHC) rückte. Kaum eine Tageszeitung ließ im September 2008 einen derartigen Artikel aus. Die Gesprächsthemen in vielen Büros verlagerten sich in eine Richtung, von der Physiker noch vor Monaten nur träumten. Das "dunkle Zeitalter der Desinformation und Ignoranz" (Physik-Nobelpreisträger Robert B. Laughlin) schien für kurze Zeit gebrochen. Man diskutierte über unser Universum, Schwarze Löcher oder über das ominöse Higgs-Teilchen. Der sonst eher im "Dunklen" agierende Wissenschaftszweig erfuhr eine nie geahnte Popularität. Doch nicht immer verliefen diese Gesprächsrunden auf Grundlage des verständnisnotwendigen Wissens.

Rolf Landua hingegen ist Experte. Er arbeitet seit 1987 am CERN, zunächst als Leiter der Abteilung für öffentliche Fortbildung, wo er Mitinitiator der "Antimaterie-Fabrik" war, seit 2002 als Chef des Athena-Experiments, bei dem erstmals Millionen von Antimaterie-Atomen (Anti-Wasserstoff) produziert wurden. Landua, der für seinen Einsatz mit dem "Kommunikationspreis der Europäischen Physikalischen Gesellschaft" ausgezeichnet wurde, engagiert sich auch für die Erneuerung des naturwissenschaftlichen Schulunterrichts.

Sein schmales Büchlein mit dem Titel "Am Rand der Dimensionen" erschien im Suhrkamp Verlag im Rahmen der "edition unseld". Diese Reihe will die Geistes- und Naturwissenschaften herausfordern, sich zu verständigen. Rolf Landuas Buch gelingt dies auf vorzügliche Art und Weise. In seinen "Gesprächen über die Physik am CERN", so der Untertitel, geht er auf Aspekte ein, welche die Bevölkerung mit der geplanten Inbetriebnahme des LHC beschäftigen könnten. Der Versuch, möglichst viele interessierte Menschen an den Fragen und Erkenntnissen der modernen Physik teilhaben zu lassen, ist ihm gut geglückt.

Landua hat sein Buch als idealisierten Dialog zwischen einem Laien und einem Wissenschafter konzipiert. "Stellen Sie sich also vor, dem CERN einen Besuch abzustatten und dabei einen freundlichen Physiker zu treffen, der alle Ihre Fragen aus den Grenzbereichen der modernen Physik geduldig und so anschaulich wie möglich beantwortet", schreibt der Autor in seiner Vorbemerkung.

Nach einer kurzen Einführung hinsichtlich Geschichte und Struktur des weltweit größten Forschungszentrums für Teilchenphysik, von dem aus immerhin das Internet seinen Siegeszug antrat, betritt der virtuelle Besucher die "heiligen Hallen" des CERN.

"Woraus besteht Materie?", "Wie kann ich mir ein Elektron - oder ein anderes Elementarteilchen - konkret vorstellen?", "Wie werden Antiprotonen hergestellt?", "Was wissen wir über die Zusammensetzung des Universums?" - dies sind nur einige Fragen, die in den ersten beiden Kapiteln aufgeworfen und gut verständlich beantwortet werden, bevor der Autor den Leser in das Herzstück der Anlage, in den "Tunnel zum Urknall", sozusagen in die "Eingeweide" des LHC mitnimmt. Hier erfährt man etwas über Funktionsweise und Aufbau der Anlage. Aber auch zu elementaren Fragen wie "Was hat das LHC gekostet?" bezieht der Autor Position. Und natürlich bekommen Higgs-Feld, supersymmetrische (SUSY-) Teilchen und dunkle Materie gleichfalls ihren "Auftritt".

Da philosophische Aspekte für die Physik von großer Bedeutung sind, rückt Landua letztendlich auch Fragen ins Zentrum der Diskussion, die jenseits der experimentellen Möglichkeiten liegen und damit den Dialog der Geistes- mit der Naturwissenschaft öffnen. "Wie konnte unser Universum vor 13.700 Millionen Jahren aus dem 'Nichts' entstehen? Existiert das Nichts überhaupt? Gab es während des Urknalls nur eine - oder vielleicht unzählige - Möglichkeit(en) für die Entstehung der Naturgesetze, und welche Rolle hat der Zufall dabei gespielt? (...) Ist irgendwo im Weltbild der modernen Physik noch Platz für Gott? Manchmal wird das Higgs-Teilchen auch als 'Gott-Teilchen' bezeichnet - ist Gott noch aktiv am Werk und greift über 'sein' Teilchen permanent in die Schöpfung ein?"

Bliebe noch die Sorge mancher Zeitgenossen: Können all diese Experimente nicht die ganze Erde zerstören? Mit zwei überzeugenden Argumenten weiß Rolf Landua auch diese Bedenken zu zerstreuen.

"Die Forscher der letzen Jahrhunderte haben eine wunderliche, aber auch faszinierende Struktur der Materie und des Universums entdeckt. Die Experimente am LHC werden uns einen Einblick in eine bisher unerreichbare Region von Raum und Zeit geben, der unser Weltbild revolutionieren könnte", schreibt Landua. Auch wenn der LHC nach einer Panne am Kühlsystem kurz nach dem Start wieder abgeschaltet werden musste und ein Neustart erst im Frühjahr 2009 möglich sein wird, vermittelt Rolf Landuas Buch "Am Rande der Dimensionen. Gespräche über die Physik am CERN" dem interessierten Leser einen kleinen Ausblick darauf. Der Autor führt auf verständliche Art und Weise in einen ungemein interessanten Wissenschaftszweig ein und räumt mit Vorurteilen auf.

(Heike Geilen; 12/2008)


Rolf Landua: "Am Rand der Dimension. Gespräche über die Physik am CERN"
Suhrkamp Verlag, edition unseld, 2008. 106 Seiten.
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