Cristina Peri Rossi: "Endlich allein!"
Eine Geschichte der Liebe in fünfzehn Episoden
Halte
mich, führe mich, lass mich los
Die Zeit steht still; ein Augenblick, ins Unendliche gedehnt.
Bewegungslos fixieren sich ihre Blicke, in diesem Moment gibt es nur
sie: Ein Mann und eine Frau umkreisen sich lauernd, lassen ihre
Körper einander ertasten; stoßen sich ab, um nur
einen Atemzug später wieder miteinander zu verschmelzen. Sie
verstehen sich ohne Worte; ihre Sprache ist der Tanz, der Welt
sinnlichster Tanz: der
Tango.
Gerade dieser Tanz steht als Sinnbild für die unendlichen
Facetten der Liebe: Leidenschaft und
Begehren, Erotik und Hingabe,
Melancholie und Wut aber auch Einsamkeit und Sehnsucht. Der Tango ist
ein Spiel, das Duell zweier Seelen und zweier Willen, fast einer Ehe
gleich, mit einem Mann, der das männliche Klischee
erfüllt, mit einer geduldigen, biegsamen Frau, die erst
Einhalt gebietet, wenn ihre Grenze erreicht ist. Ein Tanz aus Geben und
Nehmen, ewiges Vor und Zurück, nur miteinander
möglich.
Das Leben ist ein Tango.
"Wenn das Leben ein Tango ist, sollte man sich den Partner,
der uns sicher durch die schwierigen Schrittfolgen führt, gut
aussuchen. Dieser Aufgabe widmen wir uns mit großer Hingabe
und sehr unterschiedlichem Erfolg", schreibt die
1941 in Montevideo geborene Autorin Cristina Peri Rossi in ihrem
kleinen Büchlein "Endlich allein!". In fünfzehn,
einmal längeren, dann wieder nur aus wenigen Sätzen
bestehenden Episoden widmet sich die
in Barcelona lebende mehrfach
prämierte zeitgenössische Lyrikerin, die u. a.
bereits mit dem wichtigsten spanischen Lyrikpreis, dem "Premio
Alberti", ausgezeichnet wurde, dem einzigartigen Thema Liebe. Und dies
tut sie so elegant und vielschichtig wie dieser wunderbare Tanz.
Sie gliedert ihr Buch in drei Abschnitte, verleiht dem Titel
unterschiedliche Bedeutung. "Endlich allein!" ist - genau wie die Liebe
- ein "Theaterstück" in mehreren Akten, eine Sinfonie in drei
Sätzen. Vorangestellt hat die Autorin jeweils eine
eigenkompositorische Ouvertüre, der divergente Sätze
(kurze Episoden) folgen, die an unterschiedlichen Schauplätzen
handeln. Nicht immer fungieren zwei Menschen - ein Paar - als
Hauptakteure. Peri Rossi agiert auf unzähligen
Nebenschauplätzen und betrachtet all die verborgenen Phantome,
die vielleicht gar aus der Kindheit kommen und unsere
"Liebesfähigkeit" beeinflussen.
Der Blitzschlag der Liebe
Der erste Akt beginnt mit dem Paradies auf Erden. Man ist über
beide Ohren verliebt,
kann nicht mehr schlafen und nichts essen.
Schwärmerische Erregung bestimmt den kompletten Tagesablauf,
wir schweben in einer völlig subjektiven Dimension. Die Liebe
macht uns in diesem Stadium zu Sklaven.
In drei Erzählungen berichtet die Autorin zum Beispiel von
einem Tête-à-tête eines
46jährigen verheirateten Mannes mit einer
neunzehnjährigen Schauspielstudentin, der während des
Liebesspiels von seinem Freund angerufen wird, der ihm voller
Verzweiflung von seinem Verlangen nach einer seiner Studentinnen
berichtet, die - wie sich herausstellt - gerade des Angerufenen
Bettgespielin ist. Doch für ihre Pointe gelingt Peri Rossi
noch eine Steigerung. Einfach grandios bringt sie die betrogene Ehefrau
ins Spiel.
Das Ziel der Liebe: nicht glücklich zu sein, sondern
zu lieben
Nach der unendlichen Verliebtheit beginnt eine neue Phase der
Beziehung. "Wenn es den Liebenden gelingt, die Phase des
Liebeswahns zu überwinden und statt dessen mehr Wert auf
Zuneigung, Respekt und Zärtlichkeit, Verständnis und
Erotik (was nicht dasselbe ist wie Sexualität) zu legen,
löst sich das 'Nicht mit dir und nicht ohne dich' in ein 'Mit
dir' auf", schreibt die Autorin.
Peri Rossi hat diesem Abschnitt die meisten Geschichten (7) gewidmet.
Da geht es um eine Dreierbeziehung Sohn - Mutter - lesbische Freundin,
um eine in Starre und mit steten, nervenden Wiederholungen verfallene
Paarbeziehung aus der Sicht der Tochter, oder aber um eine aus der
Sicht eines Mannes immer schwieriger werdende Wanderung zu einem
Gipfel, der jedoch die an ihm klammernde Frau als zunehmende Last und
schmerzliche Qual empfindet.
"Sie glaubten, eine Stimme zu sein, und sind doch
zwei"
Oft enttäuscht die Liebe. Die zuweilen ideale
Überhöhung des Partners hält der
Wirklichkeit und dem Alltag nicht stand. "Dann ist nach
einigen Jahren aus dem glückseligen, innig herbeigesehnten
'Endlich allein!' voller Hoffnungen und Erwartungen der Verliebten, die
beschlossen haben, zusammenzuleben, jenes 'Endlich allein!' geworden,
das beide Partner nach der Trennung ausrufen", so Rossi.
Fünf weitere Erzählungen beschließen dieses
intellektuelle und vielleicht sich erst beim zweiten und dritten Lesen
erschließende schmale Buch. Sie handeln von Betrug,
Verlassenwerden und Überfordertsein. Und manchmal hilft
vielleicht nur der sogenannte endgültige Schlusspunkt. Doch
was tun, wenn man ihn nicht findet, sondern irgendwo verlegt hat? Dann
bleibt vielleicht nur noch der "mörderische" Alltag, so wie in
der kurzen Episode "Alltagsleben" beschrieben:
"Sie reicht mir den Schal und lächelt mich liebevoll
an: Sie hofft, dass mich an der nächsten Straßenecke
eine heftige Windböe stranguliert oder dass ich den Entschluss
fasse, mich mit der Nadel zu entleiben, mit der sie mein Hemd geflickt
hat. Ich nehme den Schal und lächle zurück:
Vielleicht ist es tatsächlich kalt draußen."
So wie der Tango ist auch die partnerschaftliche Liebe ein
Bewegungssystem, mit zwei gegensätzlichen, einander
ergänzenden Rollen. Die Grundlage beider Systeme ist das
Prinzip "Führen und Geführt-Werden", ein
fortwährender Dialog.
Und hier schließt sich der Kreis mit dem zu Beginn zitierten
Satz Cristina Peri Rossis: "Wenn das Leben ein Tango ist,
sollte man sich den Partner, der uns sicher durch die schwierigen
Schrittfolgen führt, gut aussuchen."
Fazit:
15 kurze, aber sehr tiefgründige Prosatexte handeln von den
unterschiedlichen Phasen der Liebe. Ein Büchlein, in dem man
immer wieder blättern kann und das stilsicher von Lisa
Grüneisen aus dem Spanischen übertragen wurde.
(Heike Geilen; 04/2008)
Cristina
Peri Rossi: "Endlich allein! Eine Geschichte der Liebe in
fünfzehn Episoden"
(Originaltitel "Por fin solos")
Aus dem Spanischen von Lisa Grüneisen.
Dörlemann, 2008. ca. 180 Seiten.
Buch
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Lien
zur Netzpräsenz der Autorin:
https://www.cristinaperirossi.es.
Ein weiteres Buch der Autorin:
"Die Zigarette. Leben mit einer verführerischen Geliebten"
Seit sie als Kind
in Montevideo jenen tollen Frauen begegnete, die in aller
Öffentlichkeit
Kaffee tranken und rauchten, liebte auch Cristina Peri Rossi
die
Zigarette - bis
ihr die Ärzte das Rauchen verboten. Aus dem Trennungsschmerz
entstand dieses
unvergleichliche Buch: Abgesang auf eine verlorene Geliebte, Brevier
der unzähligen
Gesten, die sich mit dem Rauchen einer Zigarette verbinden, ein Buch
über das
schöne Leben, die Liebe im blauen Dunst und die Zigarette
danach. (Berenberg
Verlag)
Buch
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