Connie Palmen: "Luzifer"


Spätestens seit ihrem beeindruckenden Buch "I.M.", das die 1955 geborene Connie Palmen über ihren 1995 plötzlich an einem Herzinfarkt verstorbenen Lebensgefährten Ischa Meijer, einen niederländischen Journalisten, Schriftsteller und Moderator, schrieb, ist sie eine meiner Lieblingsschriftstellerinnen. Auf jedes neue Buch warte ich ab Ankündigung durch den Verlag gespannt und bin noch nie enttäuscht worden.

Auch in "Luzifer" bewegt sich die Autorin auf der Höhe ihres Schaffens. Mit der Freiheit einer Schriftstellerin bearbeitet sie einen Stoff, dessen Handlung tatsächlich real ist, den sie aber doch so schildert, dass sie ihn zu einem Zeitzeugnis werden lässt.

1981 las Connie Palmen, so wie viele andere niederländische Intellektuelle, Künstler und Musiker, eine Todesanzeige, die ihr seither nicht mehr aus dem Sinn ging.
"Unser Engel ist gefallen" - so war die Anzeige überschrieben, die den Tod von Marina Schapers anzeigte, der langjährigen Partnerin des genialen, berühmten Komponisten und Intellektuellen Peter Schat.

Als einige der ehemaligen Freunde dieses Paares Connie Palmen im Sommer 2005 an ihren "Tisch" bitten, tun sie das nicht ganz ohne Hintergedanken. Sie haben Interesse daran, dass die von ihnen geschätzte Autorin sich dieses Stoffes annimmt, vielleicht auch deshalb, damit sie, die damals alle in irgendeiner Weise an dem unerklärlichen Geschehen beteiligt waren, es bearbeiten und kurz vor ihrem eigenen Tod endlich auch für ihr Leben abschließen können.

Connie Palmen lässt sich auf das Vorhaben ein und beginnt zu recherchieren. Sie nimmt sich dabei große Freiheiten, indem sie sich in die handelnden Personen hineinversetzt. Während sie erzählt, was da anno 1981 in Griechenland geschehen ist, als Clara Wevers, so heißt die Hauptfigur in Palmens Roman, tödlich in die Tiefe stürzte, und in den Tagen und Wochen danach bis zu ihrer extrem ungewöhnlichen Bestattung, malt sie ein Bild nicht nur einer Amsterdamer Intellektuellenszene der achtziger und neunziger Jahre mit ihren dauernd wechselnden "revolutionären Subjekten" und künstlerischen Ambitionen, sondern sie führt den Leser in eine Welt der modernen Musik, denn Lucas Loos, so heißt der Komponist im Roman, ist einer der kreativsten musikalischen Köpfe der Neuzeit.

Schon 1981 stellte sich allen die Frage, ob Claras Tod ein Unfall oder Selbstmord war; oder hat gar Lucas selbst nachgeholfen?
Auch im Nacherzählen und im Nachspüren finden die Autorin und die sie bei ihren Recherchen unterstützenden ehemaligen Freunde des "Tisches", eines intellektuellen Zirkels, der über alle politischen und künstlerischen Differenzen über Jahrzehnte bestand und in den Niederlanden ein Begriff war, keine endgültige Antwort auf diese Frage.

Beim begeisterten Lesen, denn man legt das Buch kaum aus der Hand, obwohl es ein zum Teil für einen musikalischen Laien sehr schwieriger Stoff ist, merkt man auch schnell, dass es gar nicht so sehr darum geht. Eher geht es, ähnlich wie in "I.M.", um die Frage, wie Menschen mit der Trauer um einen anderen Menschen umgehen, mit ihrem Bedürfnis, zu sprechen, zu klären, was gewesen ist und vor allem zu verstehen, wie die Zusammenhänge sind, auch wenn sie einem nicht einleuchten.

Womöglich hat Connie Palmen mit diesem Buch auch eine Art Bilanz einer Bewegung gezogen, die in den 1960er-Jahren begann und besonders im Amsterdamer Intellektuellenmilieu noch bis auf den heutigen Tag nachwirkt. In gewisser Weise gehört die Autorin seit langem dazu, und so ist "Luzifer" auch eine Selbstverständigung sowohl intellektueller als auch künstlerischer Redlichkeit. Jene Figuren, die Connie Palmen in diesem Buch schildert, von denen wohl viele auf realen Vorbildern basieren, würde man gerne einmal höchstpersönlich kennenlernen ...

(Winfried Stanzick; 03/2008)


Connie Palmen: "Luzifer"
(Originaltitel "Lucifer")
Aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers.
Gebundene Ausgabe:
Diogenes, 2008. 416 Seiten.
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Taschenbuchausgabe:
Diogenes, 2010.
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