Am
26. Juni 1954 wurde in Lausanne Fußballgeschichte
geschrieben. Das bis dato trefferreichste Spiel, das je im Laufe einer
Fußballweltmeisterschaft stattgefunden hat, ist in seiner
Einmaligkeit kaum zu steigern. Über den glücklichen
Weltmeister Deutschland sind glorifizierende Filme gedreht worden,
obzwar der als "Wunder" begriffene Sieg gegen die fantastischen Ungarn
keineswegs so sensationell war. Es war also längst an der
Zeit, dass sich ein Autor daran macht, Fakten zusammen zu tragen,
welche die Hitzeschlacht von Lausanne
gebührend beschreibt. Kurt Palm hat dies mit Bravour getan.
Dem außergewöhnlichen 7:5 gegen die Schweiz im
Viertelfinale ging ein kurioser Sieg gegen die Schotten, (in letzter
Minute wollte Happel dem Torhüter Schmied bereits das Ende des
Spiels prophezeien, woraufhin plötzlich ein Schotte aus
aussichtsreicher Position auf Schmied zustürmte, und nur eine
Glanzparade von Schmied den Ausgleich verhinderte), und ein deutlicher
Sieg gegen die Tschechoslowaken voraus, der mit 5:0 eher zu niedrig
ausfiel. Die Tschechoslowaken erwiesen sich als eines der
schwächsten Teams dieser Weltmeisterschaft.
Auch gegen die Schweiz war Österreich Favorit, sodass die
Mannen wohl glaubten, sie könnten "im Spazierengehen" siegen.
Dies wäre fast ins Auge gegangen, denn nach nur 18 Minuten
stand es auch schon 0:3 aus Sicht der Österreicher. Doch mit
einem Mal ging ein Ruck durch die Mannschaft, und nach dem
Anschlusstreffer durch Wagner (satter Weitschuss) netzten die von Edi
Frühwirth gecoachten Fußballer
innerhalb von nur weiteren neun Minuten weitere vier Mal, was in Summe
die 5:3 Führung ergab. Fatton erzielte dann noch schnell das
unerwartete 4:5, und am Ende der ersten Halbzeit schoss Robert
Körner einen Elfmeter neben das Tor, wodurch auch für
die zweite Halbzeit weiter für Spannung gesorgt war.
Torhüter Schmied brach nur wenige Augenblicke nach dem
Halbzeitpfiff an den Folgen eines Hitzschlages zusammen. Fast
gleichzeitig kollabierte auf der Gegenseite Bocquet, wobei
später festgestellt wurde, dass dies nicht mit der enormen
Hitze - 40 Krügel im Schatten! - zusammenhing, sondern mit
einem Gehirntumor, der glücklicherweise erfolgreich behandelt
werden konnte.
Somit war die zweite Halbzeit davon geprägt, dass Kurt Schmied
vom Spiel nichts mehr mitbekam. Hinter dem Tor dirigierte ihn
ÖFB-Masseur Josef Ullrich, und machte ihn darauf aufmerksam,
wenn eine schwierige Situation auf ihm zukam. Zudem wurde Schmied von
den Verteidigern Happel, Hanappi und Barschandt unterstützt,
die mehrmals für Schmied auf der Linie klärten. Es
ist erstaunlich, dass Schmied nur mehr ein einziges Tor kassierte, und
die Österreicher den Sieg letztlich souverän
heimschaukelten.
Dieses Resultat gegen die Schweiz hätte niemand vorhersagen
können. Nachdem die Ungarn in einem anderen Viertelfinale
einen Mitfavoriten, nämlich Brasilien, furios 4:2 besiegt
hatten, glaubten bereits viele selbsternannte Fußballexperten
an das logische WM-Finale Ungarn gegen Österreich. Was dann
folgte, soll an dieser Stelle nicht ausgespart bleiben.
Das unnötige 1:6 Debakel Österreichs gegen
Deutschland hatte zwei, vielleicht auch drei Ursachen. Der eigentlich
wieder genesene Schmied wurde im Halbfinale durch Zeman ersetzt. Und
ein gewisser Walter Schleger reklamierte sich buchstäblich in
das Team hinein und ersetzte absurderweise den in den bisherigen
Spielen glänzenden Barschandt. Die zwei Wechsel sollte das
österreichische Team an diesem rabenschwarzen Tag zu
spüren bekommen. Zeman verschuldete mehrere der Gegentore.
Schlegers
"Leistung" als linker Außenverteidiger bestand darin, dass er
die Deutschen oftmals an seiner Seite vorbeiziehen ließ,
wodurch immer wieder brenzlige Situationen entstanden, die oft in ein
Goal mündeten. Herr Barschandt war übrigens
am 1. Oktober 1958 ein fixer Bestandteil des "Wiener
Sportclub", der an diesem Tag mit einem 7:0 Sieg gegen Juventus in die
Annalen der
österreichischen Klubgeschichte einging. Ich wage zu
behaupten, dass mit Barschandt die deutschen
Flügelstürmer nicht so spielerisch leicht
durchbrechen hätten können.
Hinzu kam, dass die Deutschen Schuhstoppeln verwendeten, die Adi
Dassler entwickelt hatte. Damit konnten sich die Spieler sicherer auf
dem Rasen bewegen, während die Österreicher mit
vergleichsweise Filzpatschen ihr Auskommen suchen mussten. Also, wie
sich herausstellt, zumindest drei Gründe, welche den Sieg der
Deutschen begünstigten.
Die einmalige Chance, ein Weltmeisterschaftsfinale Österreich
gegen Ungarn zu sehen, wurde also vertan. Stattdessen ließen
sich die unvergleichlichen Ungarn von übermotivierten
Deutschen im Finale überrumpeln, nachdem sie denselben Gegner
in der Vorrunde noch 8:3 deklassiert hatten. Die deutsche
Nationalmannschaft hatte schon im Viertelfinale gegen Jugoslawien
extremes Glück gehabt, überhaupt in das Semifinale
einzuziehen. Die Jugoslawen waren das weit stärkere Team, aber
- wie so oft - gewannen dennoch die Deutschen mit 2:0.
Wie anfangs schon erwähnt, kann und soll der Weltmeistertitel
für Deutschland nicht als "Wunder" beschrieben sein. Die
Deutschen hatten den Vorzug der schon erwähnten Stoppeln.
Zudem war Puskas - nach einem derben
Foul eines Deutschen in der Vorrunde!!! - immer
noch gehandikapt und konnte nicht voll spielen. So verwundert es den
Rezensenten überhaupt nicht, dass die Deutschen
unverdientermaßen die als - insbesondere nach dem Sieg gegen
Brasilien - unschlagbar geltenden Ungarn schlugen. Für die
Ungarn war diese Niederlage eine große Katastrophe, aber auch
die Österreicher fanden sich mit dem Debakel keineswegs ab.
Selbst nach dem Sieg gegen den zweifachen Weltmeister Uruguay im Spiel
um den dritten Platz redeten alle immer noch von der vergebenen Chance,
ins Finale einzuziehen. Dieser Tatsache zum Trotz wurde die
österreichische Nationalmannschaft bei der Ankunft am
Westbahnhof von Tausenden begeisterten Fans begrüßt.
Kurt Palm hat es mit diesem Buch vermocht, der Hitzeschlacht
von Lausanne jenes Denkmal zu setzen, das sie verdient.
Zahlreiche Fakten
- von Vorbereitungsspielen des Nationalteams über Steckbriefe
der einzelnen Spieler bis zu kuriosen Details - ergänzen eine
ausgezeichnete Analyse eines Teams, das sich so gerne mit den Ungarn im
Finale duelliert hätte. Zudem bringt Palm den "Mythos" des
"Wunderteams" Deutschland gehörig ins Wackeln. Wird der
verdiente Titel Deutschlands bei der Heimweltmeisterschaft 1974
ausgenommen, so bleibt nur zu bemerken, dass auch der Gewinn der
Weltmeisterschaft 1990 nur einem Elfmetergeschenk des "unparteiischen"
Schiedsrichters
zu verdanken war.
Abschließend die famose Aufstellung des
österreichischen Nationalteams, das in der Hitzeschlacht von
Lausanne die Schweiz am 26. Juni 1954 mit 7:5 besiegte:
Schmied (1), Hanappi (2), Happel (3),Barschandt (4),
Ocwirk (5), Koller (6), Körner I (7), Wagner (9),
Stojaspal (21), Probst (10), Körner II (11)
Die Torschützen für Österreich waren: | Wagner (25., 28. und 54. Minute) |
Körner
II (26. und 34. Minute) Ocwirk (32. Minute) Probst (77. Minute) |
Zwar wurden medial verschiedene Zahlen angegeben, doch es wird stark davon ausgegangen, dass insgesamt 50.000 Zuschauer die Hitzeschlacht von Lausanne vor Ort sahen.
(Jürgen Heimlich; 04/2008)
Kurt
Palm: "Die Hitzeschlacht von
Lausanne. Österreich - Schweiz 1954"
Residenz Verlag, 2008. 176 Seiten.
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