Leonardo Padura: "Der Nebel von gestern"


Nach dem "Havanna-Quartett" wollte Leonardo Padura seinen Mario Conde eigentlich einige Zeit nicht mehr als Hauptfigur gebrauchen. Aber als ein Vehikel der Betrachtung der Vergangenheit Kubas scheint der ehemalige Polizist und jetzige Buchhändler geeignet zu sein wie kein Zweiter, weswegen er hier nun seinen sechsten Romanauftritt hat - und seinen zweiten als Gebrauchtbuchhändler.

Und wie schon in "Adiós, Hemingway" verwickelt ihn sein neuer Beruf, den er nun bereits seit zehn Jahren betreibt, in ein neues Abenteuer. In einer abgelegenen Gasse findet er ein Haus und klingelt mehr auf Verdacht dort an. Die beiden ausgehungerten Gestalten, die ihm die Tür öffnen, sind von seiner Ankunft begeistert, denn jenes Geschwisterpaar, das dieses Haus mit seiner geistig gestörten Mutter betreut, nagt im wahrsten Sinn des Wortes am Hungertuch, und von dem ist auch nicht mehr viel übrig, weswegen sie nun endlich bereit sind, die Bibliothek, die sie seit mehr als fünfzig Jahren bewahren, gegen klingende Münze aufzulösen.

Als El Conde die Bibliothek betritt, ist er ob ihrer Größe und Exklusivität überwältigt und kommt sofort mit den Geschwistern ins Geschäft. Doch schon im ersten Schwung der Bücher, in dem sich ein Kochbuch befindet, das er zum Verwöhnen seiner Freunde für sich selbst erwirbt, befindet sich ein Magazinausschnitt über eine ihm unbekannte Sängerin, deren Name ihm jedoch irgendwie bekannt vorkommt, allerdings den Bewohnern des Hauses anscheinend überhaupt nichts sagt.

Von einer seiner berüchtigten Vorahnungen erfasst beginnt El Conde der Sängerin nachzuspüren, taucht in die späte Geschichte Kubas unter Batista ein und erfährt eine Menge über die Zusammenhänge zwischen dem kubanischen Kapital, der Musikszene und der nordamerikanischen Mafia - und wie diese auf die Revolution reagiert haben. Während er all diese Dinge betrachtet, lernt er auch gleich einige jener Ecken Havannas kennen, die er auch in seiner Zeit als Polizist nie hatte betreten müssen, und überlebt diese neue Erfahrung nur um Haaresbreite. Dafür finden an anderen Stellen andere Leute den Tod, was irgendwie mit El Condes Nachforschungen zu tun zu haben scheint.

Stellenweise ist die Handlung von "Der Nebel von gestern" nicht so fließend und stringent, wie man es von Leonardo Padura eigentlich gewohnt ist. Was vielleicht auch dadurch auffällt, dass das Lyrische, was seinen Abschweifungen sonst so anhaftet, in diesem Roman nicht sonderlich stark hervortritt. Aber von diesen kleineren Mängeln abgesehen, die wohl auch nur eingefleischten Padura-Lesern auffallen dürften, ist "Die Nebel von gestern" wieder ein ebenso atmosphärischer wie interessanter Kriminalroman mit faszinierenden historischen Bezügen - und viel Liebe zur Literatur, zum Essen und zur Liebe.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 07/2008)


Leonardo Padura: "Der Nebel von gestern"
(Originaltitel "La neblina del ayer")
Aus dem kubanischen Spanisch von Hans-Joachim Hartstein.
Gebundene Ausgabe:
Unionsverlag, 2008. 364 Seiten.
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Taschenbuchausgabe:
Unionsverlag, 2010.
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