Markus Orths: "Das Zimmermädchen"
"Was
wäre, wenn
keiner mich wahrnähme? Die Menschen sähen nicht an
mir vorbei, sie sähen
durch mich hindurch. Als existierte ich nicht. Das wäre ebenso
schön wie
schauerlich. Wenn niemand mich sieht, bin ich zu nichts mehr
verpflichtet, wenn
niemand mich sieht, gehe ich auf in einer Lösung aus Ruhe und
lebe wie unter
Wasser."
(Auszug aus "Das Zimmermädchen")
Porträt einer Psychopathin
Das Vorwort zum Buch erinnerte mich spontan an
Bragi
Ólafssons Roman "Die Haustiere". Auch dort liegt
jemand unter dem
Bett und lauscht, was in der Umgebung passiert. Während Emil
Halldórsson in
"Die Haustiere" auf groteske Weise zum Beobachter seines eigenen
Lebens wird, ist Protagonistin Lynn Zapatek in "Das
Zimmermädchen"
eher die manisch getriebene Suchende, die durch das Ausforschen von
Intimitäten
wissen will, wie sie ihr eigenes Leben in den Griff bekommen kann. In
beiden Fällen
geht es um Probleme mit der Identität.
Markus Orth porträtiert in seinem Buch das
Zimmermädchen Lynn Zapatek. Lynn
lebt nach einem geordneten Wochenplan. Jeder Tag steht in Verbindung
mit festen
Aufgaben. Auffallend ist ihre Putzwut, die sie im Hotel Eden auslebt.
Lynn muss
sich nach eigener Einschätzung "ins Handeln
flüchten". Sie
hat eine Therapie mit Klinikaufenthalt hinter sich (vermutlich
Psychotherapie)
mit anschließenden wöchentlich Terminen bei ihrem
Therapeuten. Auffallend ist:
Sie putzt nicht nur oberflächlich, sondern extrem
gründlich. So putzt sie
Spiegel von hinten, die Sockel der Stehlampen von unten und die
Unterseiten von
Schreibtischunterlagen. Will sie sich damit nur ablenken oder ihr
Unterbewusstes
aufpolieren?
Lynn hat nicht nur zu ihren Tätigkeiten, sondern auch zu den
Menschen ihrer
Umgebung ein seltsames, geradezu zwanghaftes Verhältnis. Dazu
gehören der
Montagsbesuch bei Heinz, mit dem sie - so die Andeutungen - ein
Verhältnis hat,
der Anruf jeden Donnerstag bei ihrer Mutter, bestehend aus
oberflächlichen
Dialogen, und das Treffen mit der Prostituierten Chiara. Ist es ein
Zufall, dass
sie den Kontakt zu Chiara sucht? Ihr Leben besteht aus Zwangshandlungen.
Autor Orths verwendet kurze Sätze, die in einigen
Fällen durch das Weglassen
von Artikeln oder Pronomen abgehackt wirken. Der Text ist jedoch
einfach verständlich.
Die Brüche in den Sätzen passen zu den Frakturen in
der Psyche der
Protagonistin.
Ob es sich bei diesem Roman um leichte Unterhaltungslektüre
handelt oder um
einen Roman mit Tiefgang, liegt im Auge des Betrachters. Vielleicht
besteht die
literarische Kunst gerade darin, verschiedene Facetten in einem Roman
unterzubringen. Im Ergebnis und Vergleich halte ich "Die Haustiere"
für
tiefgehender und Markus Orths früheres Buch "Lehrerzimmer"
für humorvoller als "Das Zimmermädchen". Vielleicht
ist es das Spiel
mit dem Voyeurismus, das den Leser ebenso in den Bann zieht, wie die
Protagonistin Lynn Zapatek im Roman.
(Klemens Taplan; 07/2008)
Markus
Orths: "Das Zimmermädchen"
Schöffling & Co, 2008. 144 Seiten.
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Im Rahmen der "Tage der deutschsprachigen Literatur" in Klagenfurt erhielt der Autor am 28. Juni 2008 den "Telekom-Austria-Preis" in Höhe von 10.000 Euro für Auszüge aus diesem Roman.