Anka Muhlstein: "Der Brand von Moskau"
Napoleon in Russland
Die
Katastrophe der Grande Armee
Als Napoleon in Russland einfällt, glaubt er an einen raschen
Sieg über den Zaren. Rund sechshunderttausend Mann stark ist
seine Armee, hinter der eine durchdachte Logistik steht.
Napoleon möchte den Zaren und sein Volk dafür
bestrafen, dass Russland die Blockade gegen England nicht
mitträgt. Was zunächst wie einer von Napoleons fast
im Handstreich siegreich verlaufenen Feldzüge anmutet, wird zu
einem Desaster, das in der Geschichte seinesgleichen sucht.
Denn die Armee des Zaren zieht sich ständig ins Landesinnere
zurück und überlässt den Franzosen lediglich
verbrannte Erde. Die ohnehin wenig verwöhnten russischen
Bauern müssen ihre Vorräte verbrennen, damit diese
den Franzosen nicht in die Hände fallen. Den Letztgenannten
macht das Klima ohnehin zu schaffen - im Sommer zunächst
Trockenheit und Hitze, später auch starke Gewitter, die das
Gelände in Morast verwandeln. Vor allem die empfindlichen
Pferde sterben in Massen. Seuchen werden zum ständigen
Begleiter der Grande Armee.
Einzelne Städte können die Franzosen einnehmen, es
kommt auch zu einigen wenigen Schlachten, die sich aber als
Pyrrhussiege erweisen. Schließlich gelingt es Napoleon,
Moskau kampflos zu erobern, was nicht zuletzt mit der verkommenen
Persönlichkeit des Gouverneurs Rostoptschin
zusammenhängt. Nachdem Moskau gefallen ist und die Franzosen
sich einquartiert haben, steht
die
Stadt plötzlich in Flammen.
Die Katastrophe des Russlandfeldzugs, von Napoleon ganz in Unkenntnis
sowohl des Terrains, von dem nur ungenaue und einander widersprechende
Karten existierten, als auch der
russischen
Mentalität und
Politik eingeleitet, wurde bereits häufiger untersucht.
Napoleon konnte nicht begreifen, wie sich ein Feind, anstatt sich in
üblicher Manier dem Kampf zu stellen, einfach immer weiter in
das Innere eines unübersehbar weiten Landes zurückzog
und darauf hoffte, dass die gewaltige Armee bei ihrem langen Marsch
ausbluten würde, was bekanntlich eintraf.
Anka Muhlsteins Buch endet nicht mit dem Brand von Moskau, wiewohl er
nebst den wenigen Schlachten dieses Kriegs einen dramatischen
Höhepunkt darstellt; die Autorin stellt auch den
Rückzug dar, ausgelöst von der Aussicht auf einen
harten Winter in einem feindlichen, verödeten Land.
Der Schwerpunkt des Buches liegt bei den Persönlichkeiten, die
Einfluss auf den Russlandfeldzug nahmen, vor allem natürlich
Napoleon
selbst, dazu seine wichtigsten Befehlshaber und die
Führer der russischen Armee, die aus unterschiedlichen
Nationen stammten und daher häufig dem Neid und den Intrigen
der Russen ausgesetzt waren. Anka Muhlstein zieht Augenzeugenberichte
heran, die sowohl einen Eindruck der sinnlos anmutenden
Brutalität der Kämpfe und des Massensterbens auch
abseits der Schlachtfelder, aufgrund von Seuchen und
Erschöpfung, als auch der strategischen und politischen
Hintergründe von Napoleons Russlandfeldzugs vermitteln. Auf
diese Weise entsteht ein vielschichtiges Bild eines der
größten militärischen Desaster, das sich
freilich auch bei besserer Kenntnis der Lage kaum hätte
vermeiden lassen, es sei denn, Napoleon hätte ganz auf den
Feldzug verzichtet.
Eingehend widmet sich die Autorin zudem der viel diskutierten Frage,
wer denn nun Moskau in Brand gesteckt habe. Sie hält sich wie
gewohnt eng an die Quellen und an Augenzeugenberichte, sodass auch hier
eine realistische Einschätzung möglich wird.
An den Text schließt sich eine Reihe von Abbildungen der
wichtigsten Protagonisten beider Seiten des Russlandfeldzugs an.
"Der Brand von Moskau" schildert eindringlich jenes
militärische Projekt, in dem es im Grunde nur Verlierer gab,
und das Hunderttausenden einen völlig sinnlosen Tod bescherte,
häufig nach längerem Leiden. Ein ausgezeichnetes,
dramatisches, dabei sehr sachliches Buch, das so spannend verfasst ist,
dass man es kaum aus der Hand legen mag!
(Regina Károlyi; 03/2008)
Anka
Muhlstein: "Der Brand von Moskau. Napoleon in Russland"
Aus dem Französischen von Ulrich Kunzmann.
Insel, 2008. 323 Seiten.
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Anka Muhlstein, geboren 1935 in Paris, ist Historikerin, seit 1974 in New York wohnhaft. Sie veröffentlichte mehrere Monografien u.a. über Cavelier de la Salle und James de Rothschild. Für ihre Astolphe de Custine-Biografie erhielt sie 1996 den "Prix Goncourt".