Frank Ochmann: "Die gefühlte Moral"

Warum wir Gut und Böse unterscheiden können


"Nur eine starke Moral kann uns zusammen halten."

Frank Ochmann, der 1956 in Marl geborene Autor dieses für alle denkenden und wachen Zeitgenossen, die sich noch ein Gefühl für die Notwendigkeit von Werten und auch entsprechenden Entscheidungen über richtig und falsch, Gut oder Böse bewahrt haben, sehr empfehlenswerten Buches, hat in Physik promoviert, danach Theologie studiert und wurde zum Priester der katholischen Kirche geweiht. Inzwischen übt er diesen Beruf nicht mehr aus und verbindet seine naturwissenschaftlichen, geisteswissenschaftlichen und theologischen Interessen als Journalist für den "STERN".

Nachdem Ochmann ein neues Interesse an Fragen der Moral konstatiert hat, (das Böse und offensichtlich Unmoralische scheint immer weiter um sich zu greifen), und auch der Frage der religiösen oder säkularen Begründung von moralischen Urteilen nachgeht, zeichnet er in sehr verständlicher Form die Forschungsergebnisse der Neurobiologie nach. Sein Fazit nach dieser Einführung lautet: Weder durch die Gene noch durch die Erziehung wird Moral vollständig konstituiert.

Doch auch der absoluten Moral und der metaphysischen Letztbegründung von Gut und Böse erteilt er eine Absage: "Nichts ist 'in sich' gut. Erst durch soziale Vereinbarung wird das 'Gute' vom 'Bösen' und das moralisch 'Richtige' vom 'Falschen' getrennt. Moral, Werte und Normen sind immer Ergebnisse eines gesellschaftlichen Diskurses.
"Der christliche Gott spielt (dabei) keine Rolle mehr: Eher scheint sich so etwas wie ein oberflächlicher Pantheismus breit zu machen, eine weitgehend unreflektierte Vergöttlichung der Natur vor allem."

Doch, so Ochmann, die Frage nach den Wurzeln des Bösen müsse auch in einer nachchristlichen Welt beantwortet werden.

Nach einer langen, sich hauptsächlich auf us-amerikanische Forschung stützenden Diskussion der naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Debatte, vor allem der Erkenntnisse der Neurobiologie und neuerdings der Neuroethik, kommt der Autor am Ende des Buches zur Sache, indem er sich auf den biblischen Mythos vom Sündenfall bezieht, jene alte religiöse Erkenntnis, dass der Weg zum Paradies versperrt ist. Das heißt für Ochmann, "Wir tun gut daran, die Umstände unserer Existenz zu akzeptieren und nach vorne zu blicken, nicht wehmutig zurück ... Wir können nicht aus unserer Haut, wie gesagt, aber wir können durchaus etwas dafür tun, das auf den ersten Blick unentwirrbare Geflecht unserer Beziehungen und der vielen Kräfte, die auf sie wirken, zu begreifen. Einzeln ist das möglich und ebenso in Gemeinschaft - solange wir die wichtigste Regel beherzigen: Was allen dient, gehört belohnt, was dagegen schadet, muss bestraft werden."

Er weist daraufhin, dass sich nach langer Vernachlässigung die von Thomas von Aquin so genannten "Tugenden" wieder großer Aufmerksamkeit erfreuen, obwohl die für diese Tugenden einstmals stehende christliche Religion sich zumindest in Europa auf dem Rückzug befindet. Doch was ist, wenn die sich vom Glauben abwendende Gruppe von Menschen auch die Verpflichtung, entsprechende Normen und Werte zu beachten, nicht mehr ernst nimmt?

Ochmann zitiert neben Anderen, die dieses Dilemma beschrieben haben, den Philosophen Max Horkheimer, der drei Jahre vor seinem Tod auf die Frage, woher denkende Menschen denn wissen könnten, was gut sei, antwortete, "ohne Gedanken an ein Transzendentes" sei das nicht möglich, und den derzeitigen Papst, der zu Beginn des Konklaves, das ihn zum Papst wählte, in seiner Predigt sagte: "Es entsteht eine Diktatur des Relativismus, die nichts als endgültig anerkennt und als letztes Maß nur das eigene Ich und seine Gelüste gelten lässt." In seiner (mancherorts umstrittenen) Regensburger Rede hat Benedikt XVI. diesen Gedanken fortgeführt und vor einer Welt gewarnt, in der das "subjektive 'Gewissen' zur letztlich einzigen ethischen Instanz wird" und nannte diesen "Zustand für die Menschheit gefährlich".

Ochmann findet, dass auch Nichtglaubende diese Warnung ernst nehmen sollten, denn: "Nur eine starke Moral kann uns zusammen halten."
Dem kann sich der Rezensent vollinhaltlich anschließen.

(Winfried Stanzick; 06/2008)


Frank Ochmann: "Die gefühlte Moral. Warum wir Gut und Böse unterscheiden können"
Ullstein, 2008. 316 Seiten.
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