Ingrid Brugger, Florian Steininger: "Monet - Kandinsky - Rothko und die Folgen"
Wege der abstrakten Malerei
Abstraktion
des Bewusstseins
"Seelische Vibrationen" beim Betrachten eines abstrakten
Gemäldes
Der Eine findet ein abstraktes Bild aus diversen wüsten
Farbklecksen genial,
der Andere ist der Ansicht, dass es sich dabei um dilettantisches
Geschmiere
handelt. Manch Einer hat auch schon beim Anblick von moderner Kunst
gesagt:
"Hätte ich auch gekonnt!" Gerade die abstrakte Malerei spaltet
die Öffentlichkeit.
Liegt es nur am Auge des Betrachters?
Abstrakte Bilder zu betrachten ist mehr als das "normale" Sehen, es
ist ein sehendes - ein freigesetztes, konstruktives, imaginatives -
Sehen. Paul
Cézanne wusste es treffend auszudrücken: "Der
Inhalt der Kunst liegt
nicht in dem, was unsere Augen sehen, sondern was unsere Augen denken."
Sehen - also Wahrnehmen - allein genügt nicht. Kunst zu
betrachten hat etwas
mit (ästhetischem) Empfinden zu tun.
Vom 28. Februar bis 29. Juni 2008 fand im "BA-CA Kunstforum Wien" eine
Ausstellung der Superlative statt: "Monet - Kandinsky - Rothko und die
Folgen: Wege der abstrakten Malerei", anlässlich derer die
vorliegende
Publikation erschien. Allein der Gesamtversicherungswert dieser
Ausstellung mit
knapp 70 Bildern betrug stolze 180 Millionen Euro. Zu bestaunen gab es
die
Pioniere der Moderne wie Claude Monet, Wassily Kandinsky oder
Kasimir
Malewitsch, über die Protagonisten des Abstrakten
Expressionismus mit Mark
Rothko, dem Primus am Kunstmarkt nach 1945, oder Willem de Kooning bis
zu
den aktuellen Positionen eines Gerhard Richter, eines Brice Marden oder
eines
Sean Scully.
Die Ausstellung konzentrierte sich, so Direktorin und Kuratorin Ingried
Brugger,
auf Abstraktionsprozesse innerhalb des Bildgevierts. Es wurde nicht auf
Chronologie Wert gelegt, vielmehr auf Themenstränge, die
Künstlerinnen und Künstler
unterschiedlicher Epochen zueinander in Verbindung setzen. Faktoren wie
Monochromie, Faktur, Gestus, Prozessualität, Farbfeld,
Geometrie und
Konstruktion spielen dabei ebenso eine übergeordnete Rolle wie
die spirituelle
und meditative Aura des abstrakten Bildes.
Pendant zur Wiener Ausstellung
Wer sich dieser visuell-mentalen Erfahrung nicht stellen konnte, hat in
dem
vorliegenden Buch ein fast ebenbürtiges Pendant gefunden, das
den Grundgedanken
der Ausstellung wunderbar in Bild und Text fügt. Hier
erfährt der Leser, warum
abstrakte Kunst Kunst ist und in welcher Tradition diese steht, oder
warum die
Entwicklungen
des 20. Jahrhunderts in der Kunst fast
zwangsläufig waren.
Dem Buch vorangestellt sind neben einem Vorwort der Direktorin vier
großartige
Essays von bekannten Kunsthistorikern bzw. -theoretikern (Richard
Shiff,
Johannes Meinhardt, Gabriel Ramin Schor und Elisabeth von Samsonow) zum
Thema.
Der anschließende ausführliche Bildteil mit
Textbeiträgen von Florian
Steininger gibt einen großartigen Einblick in die Entwicklung
und die
unterschiedlichen Stilrichtungen dieser Kunstform.
Der Leser erfährt, warum der Bildgegenstand aufgegeben,
weshalb vereinfacht und
reduziert wird, hält doch das Gegenständliche den
Geist des Betrachters nur
gefangen und hindert ihn, sich zum Beispiel für das
Spirituelle zu öffnen. Die
Künstler verfolgten dieses Abstrahieren im Laufe der
Entwicklung teilweise so
stark, dass dies irgendwann zum Beispiel im totalen Schwarz von Ad
Reinhard oder
im Grau von Richter endete.
Aber zumindest
Richter
hat sich dann doch wieder vom radikalen Grau
abgewandt
und brachte abermals "schöne Farben" in seine Werke.
Schöne Farben,
für die der Auslöser der abstrakten Malerei steht:
Kandinsky. Seine Bilder
zaubern nahezu eine heitere Stimmung in die unterschiedlichsten
geometrischen
Formen und Farben, auch wenn nirgends ein Lächeln zu sehen
ist. Oder die
unglaublich intensive Schönheit des blauen Bildes von Yves
Klein. Der us-amerikanische
Maler Robert Ryman formulierte den Grundgedanken der abstrakten Malerei
treffend: "Es geht nie darum, wie man malt. Das Wie des
Malens ist es,
was schließlich das Bild - das 'Erzeugnis' - ausmacht."
Abstrakte
Malerei ist ein "kultureller Quantensprung", mit dem Ziel des
Erreichens eines höheren Grads an Komplexität des
körperlichen Gedächtnisses.
Anregung für Auge und Geist
Wie kam es zu dieser Kunstrichtung? Vielleicht ist es gar nicht so
zufällig, "dass
die Abstraktion in der Malerei just zu dem Zeitpunkt auftrat, als die
medialen
Bilderfluten durch die Fotografie, den Film und dann die Television
ihrer
Tendenz nach ins Uferlose gingen ...", stellt Elisabeth von
Samsonow in
ihrem Essay fest. "Das auf semantische Suchläufe
programmierte Sehen,
das von den Bilderfluten belastete und belästigte, kommt in
der Abstraktion zur
Ruhe, die ihm gestattet, die Ebene zu wechseln. Anstatt etwas zu sehen,
sieht
es. Es sieht, dass und wie es sieht. Damit gerät es in den
meditativen Zustand
der Kooperation mit dem Intellekt. (...) Das Sehen [wird] auf seine
Standards
zurückgeführt, (...) das vor-bildlicher Reiz ist."
Ein Zitat aus dem
Film "American Beauty" ergänzt diese Aussage umso mehr: "Es
gibt manchmal soviel Schönheit auf der Welt, dass ich es fast
nicht ertragen
kann, und mein Herz droht dann daran zu zerbrechen."
Die Bildelemente in der abstrakten Malerei hingegen werden nicht nur
als
optischer Reiz dargeboten, sondern lassen den Betrachter das Materielle
der
Oberfläche erfühlen, regen das Auge immer neu dazu
an, das Bild abzutasten und
dem Gestaltungsakt, dem Werden des Bildes, nachzuspüren.
Sehr schön vereint dieses Buch die Traditionen, Analogien und
Differenzen
verschiedener künstlerischer Strömungen und
demonstriert, welche Entwicklungen
die Abstraktion vom ausgehenden 19. Jahrhundert
bis in die Gegenwart
aufweist.
Ein Verzeichnis der ausgestellten Werke sowie ein Literaturverzeichnis
im Anhang
ergänzen dieses wundervolle Buch, welches sowohl inhaltlich
als auch visuell überzeugt
und ein in sich schlüssiges Konzept darstellt.
Fazit:
In der Kunst trifft das
menschliche
Bewusstsein auf einen
ebenbürtigen Partner
- in der abstrakten Kunst umso deutlicher.
Dieses Buch bietet neben intensiven Bildern einen interessanten Zugang
zu den
Werken der abstrakten Malerei und ist ein wunderbares "Hilfsmittel"
zum Verständnis, wenn es einem beim Betrachten "schwarz vor
den
Augen" werden sollte.
(Heike Geilen; 06/2008)
Ingrid
Brugger, Florian Steininger: "Monet
- Kandinsky - Rothko und die Folgen.
Wege der abstrakten Malerei"
Mit Beiträgen von Johannes Meinhardt, Gabriel Ramin
Schor,
Richard Shiff, Florian Steininger und Elisabeth von Samsonow.
Deutscher Kunstverlag, 2008. 199 Seiten.
Buch
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