Jochen Köhler: "Helmuth James von Moltke"
Geschichte einer Kindheit und Jugend
Wertvolles
Fragment einer
Biografie
Graf Helmuth James von Moltke gehört zu den großen
Figuren des Widerstandes
gegen das NS-Regime, der "Kreisauer Kreis" zu den bekanntesten
Widerstandszellen. Uns Nachgeborenen bleiben die Protagonisten des
Widerstandes
jedoch größtenteils recht fremd: Es fällt
schwer, sich in ihr historisch
gewachsenes soziales Umfeld zu versetzen.
Jochen Köhler, laut eigener Aussage stark von der
68'er-Bewegung
geprägt, hat sich jahrzehntelang für Moltke und
dessen Familie interessiert.
Seit den 1980er-Jahren hat er bezüglich Moltkes recherchiert
und viel mit
dessen Angehörigen gesprochen. Das vorliegende Buch zeichnet
Helmuth James von
Moltkes Familiengeschichte, Kindheit und Jugend bemerkenswert
detailliert nach.
Köhler wollte eine umfassende Biografie des
nonkonformistischen Grafen
verfassen, doch seine Krankheit und sein früher Tod
verhinderten die Vollendung
des Projekts, sodass das vorliegende Buch nur die Jahre bis etwa 1930
abdeckt.
Der Leser lernt eingangs insbesondere Helmuth James'
Großeltern und Eltern
kennen, einen schlesischen Grafen und Großgrundbesitzer,
somit einen der
klassischen nationalistischen ostelbischen Junker, sowie einen in
Südafrika
lebenden, schottischstämmigen britischen Bürger, der
die Geschicke Südafrikas
nicht unwesentlich beeinflusste und folglich geadelt wurde.
Helmuth von Molke, Neffe eines erfolgreichen Feldherrn, und Dorothy
Innes
verwandeln das Gut Kreisau mittels einiger Experimente in ein
fortschrittliches
Anwesen. Moltke, aufgrund seiner kränklichen Konstitution kein
erfolgreicher
Militär und somit in Preußen ein
Außenseiter, kann seinen fünf Kindern
zunächst
nur lokales Ansehen bieten. Es ist Dorothy, deren Charme und
welt"männisches"
Auftreten Türen öffnen. Ihr ältester Sohn
Helmuth James wandelt sich von
einem mittelmäßigen Schüler im Potsdamer
Internat zu einem sozial engagierten
jungen Mann mit Kontakten zu den besten Kreisen, zwei
Hohenzollern-Prinzen
eingeschlossen.
Das Buch zeigt bereits Helmuth-James von Moltkes Streben nach einer
gerechten
Gesellschaft auf. Es endet mit dessen Heirat mit Freya Deichmann und
enthält
ein Nachwort, in dem Moltkes Vorfahren Würdigung finden.
Wer in diesem Titel ein Werk über Helmuth-James von Moltkes
Rolle im Widerstand
erwartet, wird enttäuscht sein. Dem Vorwort zufolge plante
Jochen Köhler, ein
entsprechendes Werk zu verfassen, doch der Tod kam ihm zuvor.
Sehr detailliert und anschaulich hingegen beschreibt der Autor die
familiäre
"Vorgeschichte" des "boy", und zwar
hauptsächlich
anhand der Briefe von Dorothy an ihre Eltern, in denen sie recht offen
ihr Verhältnis
zu ihrem Erstgeborenen darlegt. Helmuth James von Moltke wird hier zu
einer
bemerkenswerten Persönlichkeit, deren Rolle im Widerstand sich
schon frühzeitig
abzeichnet. Zugleich aber erhält der Leser einen tiefen
Einblick in die Denkart
des in der Geschichtsschreibung oft geschmähten "ostelbischen
Junkertums". Der bekennende 68'er Köhler entwirft ein so
realistisches wie
bestürzendes Bild von den zahlreichen Adligen jener Zeit, die
reich an Boden
und arm an anderen Werten waren und nicht erkannten, dass sich die Welt
um sie
rasch und unwiderruflich wandelte.
Der Leser erfährt den jungen Helmuth James von Moltke als
einen vielseitig
interessierten, begabten, sozial engagierten Heranwachsenden, dem mehr
oder
minder zufällig, teils seinem Stand geschuldet, die
"richtigen"
Menschen begegnen. Zugleich aber besticht die Biografie durch ihren
literarischen Wert, will sie doch Moltke als Kind seiner Zeit, als
Produkt
seiner Vorbilder schildern, und das gelingt ihr vorzüglich.
Eingeflochtene
Vitae von Bezugspersonen, Betrachtungen zur politischen Lage und ein
angemessener Anteil Philosophie geben dieser Biografie eine ganz
persönliche
Note. Am Ende wird der Leser bedauern, dass dem Autor die Vollendung
verwehrt
blieb. Wer vermag dieses so faszinierende wie informative Werk
fortzusetzen?
(Regina Károlyi; 08/2008)
Jochen
Köhler: "Helmuth James von
Moltke. Geschichte einer Kindheit und Jugend"
Rowohlt, 2008. 400 Seiten.
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Jochen
Köhler (1944-2007) lebte
in Berlin, arbeitete als Lehrer und verfasste ein viel beachtetes Buch
über das
Leben einfacher Leute in Berlin zwischen 1933 und 1945: "Klettern in
der
Großstadt" (Berlin 1979).
Weitere Lektüretipps:
Günter Brakelmann: "Helmuth James von Moltke 1907-1945. Eine
Biografie"
Günter Brakelmann schildert anschaulich den
ungewöhnlichen Lebensweg Helmuth
James von Moltkes, der als Gründer und Vordenker des
"Kreisauer Kreises"
eine der faszinierendsten Gestalten des deutschen Widerstandes gegen
Hitler ist.
Das Buch lässt auf der Grundlage vieler neuer Quellen die
charismatische Persönlichkeit
Moltkes lebendig werden und macht sein Denken und Handeln, das sich
allen
weltanschaulichen Schubladen entzieht, im Kontext seiner Zeit
verständlich.
Geboren und aufgewachsen auf dem schlesischen Gut Kreisau, genoss
Helmuth James
von Moltke durch seine Mutter eine vorwiegend britische, liberale
Erziehung.
Schon früh engagierte sich der angehende Jurist sozial,
knüpfte selbstbewusst
Kontakte zu Politikern und Intellektuellen, übte offen Kritik
an Hitlers
Aufstieg und verzichtete schließlich auf die Richterlaufbahn,
um nicht der
NSDAP beitreten zu müssen. Als glänzender Anwalt in
Berlin und London war er
ebenso erfolgreich wie als Gutsherr von Kreisau, der den verschuldeten
Besitz
rettete. Das von der Aura des preußischen
Generalfeldmarschalls von Moltke
gleichsam beschirmte Gut wurde nach Kriegsbeginn Treffpunkt einer
Gruppe von
Gegnern des Nationalsozialismus. Gleichzeitig nutzte Moltke seinen
Einsatz als Völkerrechtler
im Oberkommando der Wehrmacht zu subversiven Tätigkeiten.
Diese führten Anfang
1944 zu seiner Verhaftung. Am 23. Januar 1945 wurde Helmuth James von
Moltke in
Berlin-Plötzensee hingerichtet.
Günter Brakelmann beschreibt eindringlich das Leben des ebenso
nachdenklichen
wie mutig entschlossenen Widerständlers. Dabei gelingt es ihm
meisterhaft, die
- zunehmend religiösen - Motive von Moltkes Denken und Handeln
verständlich zu
machen. Seine große Biografie ist darüber hinaus ein
eindrucksvolles Porträt
des "Kreisauer Kreises".
Mit dem Brief aus der Gestapo-Haft an seine Kinder "Wie alles
war, als
ich klein war". (C.H. Beck)
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Helmuth
James von Moltke: "Briefe
an Freya 1939-1945"
Hier werden die Briefe veröffentlicht, die Helmuth James von
Moltke, die führende
Persönlichkeit des sogenannten "Kreisauer-Kreises", seit 1939
beinahe
täglich an seine Frau gerichtet hat. Die Briefe vermitteln wie
nur wenige
Dokumente dieser Zeit ein Bild von Deutschland in den letzten Jahren
des
Nationalsozialismus und sind zugleich ein ergreifendes Zeugnis der
Bemühungen
dieses Mannes, sich der Unmenschlichkeit und dem Unrecht
entgegenzustellen. (C.H.
Beck)
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Freya
von Moltke: "Erinnerungen
an Kreisau 1930-1945"
Kreisau ist ein Ort deutscher Geschichte. Hier, auf dem Gut des Grafen
Helmuth
James von Moltke und seiner Frau Freya von Moltke trafen sich seit 1940
die
Frauen und Männer des deutschen Widerstandes, denen man
später den Namen
"Kreisauer Kreis" gegeben hat. Nach dem
20. Juli 1944 wurden die
meisten der führenden Mitglieder als Mitverschwörer
angeklagt und zum Tode
verurteilt. Freya von Moltke erzählt in diesen Erinnerungen:
von der Familie,
in die sie hineingeheiratet hat, dem Gut und den Menschen, die dort
lebten und
arbeiteten, von der Landschaft - und vor allem von Helmuth James
selbst. Eindrücklich
berichtet sie auch von den drei Treffen des "Kreisauer Kreises", gibt
dem Leser eine Vorstellung von der Atmosphäre, in der sie
stattfanden, porträtiert
die Teilnehmer. So meint man etwas von dem Geist zu spüren,
der sie selbst,
ihren Mann und die Freunde in den Widerstand gegen das
nationalsozialistische
Regime trieb. (C.H. Beck)
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Dorothy
von Moltke: "Ein
Leben in Deutschland. Briefe aus Kreisau und Berlin. 1907-1934"
Eingeleitet, übersetzt und herausgegeben von Beate Ruhm von
Oppen.
In welchem Umfeld ist Helmuth James von Moltke, eine der
führenden Persönlichkeiten
des deutschen Widerstands gegen Hitler, aufgewachsen? Die Briefe seiner
Mutter
Dorothy von Moltke, die sie an ihre Eltern in Südafrika
schrieb, reflektieren
neben der Familiengeschichte drei dramatische Epochen deutscher
Geschichte: die
politischen Ereignisse und Entwicklungen im Kaiserreich, in der
Weimarer
Republik und in der Frühzeit des Dritten Reiches. Dorothy Rose
Innes war 21
Jahre alt, als sie den 29-jährigen Grafen Helmut von Moltke,
Majoratsherren von
Kreisau (jetzt Krzyzowa und polnisch) heiratete. Sie war erst 51, als
sie starb.
Die Jahre ihrer Ehe erstreckten sich über drei dramatische
Epochen deutscher
Geschichte. Die liberale Tochter liberaler Eltern beobachtete die
Entwicklungen
im Kaiserreich, in der Weimarer Republik und in der Frühzeit
des Dritten
Reiches mit offenen Augen und klugem Kopf. Sie war entsetzt
über die Politik
der Siegermächte nach dem Ersten Weltkrieg, mehr noch
über die zunehmende Gefährdung
der Republik durch Nationalisten und Nationalsozialisten. Als diese
schließlich
1933 an die Macht kamen, grenzt die Sorge an Verzweiflung. Den Tod
ihres ältesten
Sohnes als Gegner und Opfer des neuen Regimes hat sie nicht mehr
erlebt. (C.H.
Beck)
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Volker
Ullrich: "Der
Kreisauer Kreis"
Dieses Buch schildert die Formierung des "Kreisauer Kreises", die
programmatischen Diskussionen, aber auch die täglichen
Schwierigkeiten, mit
denen der Widerstand zu kämpfen hatte. Ausführlich
eingegangen wird auf die
Rolle der "Kreisauer" bei der Vorbereitung des 20. Juli 1944. Ein
faszinierendes Gruppenporträt auf dem neuesten
Forschungsstand. (rororo Rowohlt)
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