Felicitas Mayall: "Hundszeiten"
Laura Gottbergs fünfter Fall
Felicitas
Mayalls Krimireihe um die Münchner Hauptkommissarin
Laura Gottberg und den italienischen Commissario Angelo Guerrini aus
Siena hat sich mittlerweile zu einer Serie entwickelt, die mit den
besten ihres Genres durchaus mithalten kann.
Felicitas Mayall hat ihre Reihe, "Hundszeiten" ist der fünfte
Band, so angelegt, dass die beiden Protagonisten, obwohl weit
voneinander entfernt lebend, immer wieder für einige Wochen
zusammen sein können und das Berufs- und Privatleben perfekt
kombinieren.
Der Autorin gelingt es dabei sowohl deutsche Zustände und
Befindlichkeiten einzufügen und trefflich zu beschreiben, als
auch italienische. Ihre Bücher sind gut und locker
geschrieben, sie bleiben nicht an der Oberfläche, sondern
suchen nach historischen Bezügen und sind daher nicht nur als
Krimis interessant.
Angelo Guerrini ist 49 Jahre alt und lebt nach einer Dekade Polizeidienst in Florenz seit einigen Jahren wieder in
seinem geliebten Siena.
Laura Gottberg ist die Tochter eines engagierten Staatsanwaltes, der
sie stark mit seinem unabhängigen Denken geprägt hat und mit
dem sie oft auch ihre Fälle bespricht. Im letzten Buch, worin es
in
München um den Tod eines ehemaligen NS-Blockwartes namens
Dobler und in Siena um den Tod des deutschen Schriftstellers Giorgio
Altlander ging, hat Laura ihren Vater nach Siena mitgenommen. Dort hat
er mit Guerrinis Vater, der ihn auch in "Hundszeiten" kräftig
ermutigt, die Beziehung zu Laura auf Dauer zu stellen und irgendetwas
zu unternehmen, dass das auch gelingen kann, Freundschaft geschlossen.
Bevor die beiden, dieses Mal ziemlich am Ende dieses Kriminalromans,
wieder zusammentreffen und auch beginnen, ihrem Leben eine vorsichtige
Wendung in diese Richtung zu geben, ist Laura Gottberg
zunächst - wieder einmal - konfrontiert mit ihrem Leben und
dem Stress, den sie sich macht. Der Sommer in
München
ist heiß und quälend,
ihre beiden Kinder sind gerade zu Sprachferien nach England abgereist,
und Laura freut sich auf Wochen, in denen sie endlich wieder einmal zu
sich selbst kommen will. Doch sofort sind ihre Gedanken bei Angelo, sie
zweifelt an der Ernsthaftigkeit ihrer Beziehung, weil sie an sich
selbst zweifelt. Mit anderen Worten - sie steckt in einer
ausgewachsenen Krise.
Doch wie das so ist im Leben einer Kriminalbeamtin, lässt ihr
der Alltag zum ausführlichen und tiefen Nachdenken gar keine
Zeit. Die große Hitze, die sich wie eine Glocke über
die Stadt gelegt hat, führt dazu, dass die Gewaltbereitschaft
einiger Gruppen erheblich zunimmt. Rechtsradikale Gruppen marschieren
nachts stumm durch die Stadt und lagern tagsüber an den
Isarwiesen. Zwischendurch machen sie zum Teil tödliche Jagd
auf
Obdachlose.
Mit einem dieser Obdachlosen freundet sich Laura an und erhält
einen so vorher nicht gekannten Einblick in die Lebenswelt dieser
Menschen. Felicitas Mayall beschreibt hier eine Gesellschaft, die nicht
nur wegen der großen Hitze an den Rändern
auszufransen und in die
Anarchie abzukippen droht; ein Thema, das auch
Michael Kumpfmüller in seinem
Roman "Nachricht an alle" behandelt hat. Felicitas Mayall ist darin
eine Vertreterin von Literatur, die es sich nicht zur Aufgabe gemacht
hat zu unterhalten, sondern auch etwas zu tun,
das Ingo Schulze in seiner Leipziger Poetikvorlesung 2007
folgendermaßen beschrieben hat:
"Literatur ist dafür da, dass man mit bestimmten
Erfahrungen nicht allein bleibt, mit Erfahrungen, die nicht im
Gespräch oder einer wissenschaftlichen Erörterung
sagbar sind, die in ihrer Universalität und Gleichzeitigkeit
nur in einer Geschichte, einem Gedicht, einem Roman Ausdruck erhalten.
Literatur ist nicht dafür gemacht, etwas zu erklären,
aber sie darf und sollte für eine gesellschaftliche
Selbstverständigung genutzt werden. Denn das Bild, das wir uns
von unserer Zeit, von unserem Ort machen, hat Einfluss auf das, was wir
wollen, was wir tun. In diesem Sinn halte ich diejenige Literatur
für die wirksamste, die unsere Welt am differenziertesten
beschreibt. Die Differenzierungen werden umso bedeutsamer, je
grundsätzlicher die Fragen sind, die aufgeworfen werden. Ich
will eine Literatur lesen, die nichts für
selbstverständlich nimmt und die grundsätzliche
Fragen stellt, eine Literatur, die zu den neuen und alten
Vereinbarungen und Selbstverständlichkeiten dieser
Gesellschaft vordringt, sie befragt und auch in Frage stellt ... Die
Literatur müsste viel mehr staunen und sich wundern."
Der Leser des gegenständlich besprochenen Buches begegnet
darin einer solchen Literatur. Mayall zeigt, dass das auch im
Krimigenre möglich ist. Ihre Protagonistin kommt, gegen Ende
des Buches unterstützt von Angelo Guerrini, nicht nur in
Kontakt mit der Szene der Obdachlosen und ihren
Überlebenstechniken, sondern gleichfalls mit der
rechtsradikalen Szene und ihrer Leitfigur.
Auch die beiden
im vorigen Buch nicht aufgelösten Fälle
Dobler in München und Altlander in Siena werden
weiterverfolgt, und der Leser erfährt nun endlich die wahren
Hintergründe.
(Winfried Stanzick; 07/2008)
Felicitas
Mayall: "Hundszeiten. Laura
Gottbergs fünfter Fall"
Kindler, 2008. 413 Seiten.
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