Benjamin R. Barber: "Consumed!"

Wie der Markt Kinder verführt, Erwachsene infantilisiert und die Demokratie untergräbt


Interessante, nachvollziehbare Darstellung des Problems, unbefriedigender Ausblick

Menschen, die wirkliche Bedürfnisse haben, besitzen nicht die finanziellen Mittel, um diese zu befriedigen, und dem, der genug Geld hat, um sich viele erdenkliche Wünsche zu erfüllen, fehlt es an den Bedürfnissen. Dies ist, wie Benjamin R. Barber in "Consumed!" ausführt, ein zentrales Problem des so genannten Konsumkapitalismus, der sich nicht mehr dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage unterwirft, sondern ein Überangebot produziert und deshalb Scheinbedürfnisse wecken muss, um die Nachfrage zu erzeugen und sicherzustellen.

Der Autor zeigt die Mechanismen dieser Form eines degenerierten Kapitalismus auf: Während Kinder wie Erwachsene konsumieren sollen, verstricken sich Erwachsene in einem regelrechten Peter-Pan-Syndrom - ganz im Sinne einer Industrie, die sie bereitwillig mit Videospielen, Unterhaltungselektronik und schnelllebiger Kleidermode versorgt, die eigentlich auf Kinder und Jugendliche abzielen. Es kommt zu einer Infantilisierung der Erwachsenen und in der Folge zu einer Verflachung der Kultur, denn die modernen Peter Pans leben für den Augenblick und lassen sich im raschen Auf und Ab der Modeströmungen treiben, anstatt Verantwortung zu übernehmen und sich auf Dauerhaftes, Beständiges einzulassen, was Pflichten mit sich brächte. Und diese sind den nur auf ihre Rechte erpichten volljährigen "Spielkindern" unwillkommen.

Barber weist auf die Rolle des Marketings und der Werbung hin, die sich bereits den Jüngsten zuwenden; er widmet sich auch den Phänomen des "Brandings", also des Einschwörens der Konsumenten auf bestimmte Marken, mit denen sie sich identifizieren, die sie regelrecht lieben sollen. Die Industrie scheut sich nicht zurück, Konsumenten in Süchte zu treiben, und damit ist nicht nur die bereits recht weit verbreitete Einkaufsucht gemeint. Unter anderem geht der Autor intensiv auf "Fastfood" ein und die Tendenz, dem Konsumenten Fettes, Salziges und Süßes aufzuschwatzen, teils durch Ausschaltung anderer Angebote regelrecht aufzuzwingen, etwa, indem us-amerikanische Schulen finanzielle Zuwendungen von Firmen erhalten, wenn sie Getränkeautomaten nur mit deren Zuckerlimonaden füllen.

Auch die im Sinne eines liberalen Wirtschaftsdenkens vorgenommenen Privatisierungen prangert Benjamin R. Barber an, die möglicherweise ähnlich wie im zuletzt genannten Beispiel dazu führen können, dass Firmen Schulen und andere scheinbar öffentliche Einrichtungen sponsern und diese im Gegenzug, beispielsweise durch Benennung nach der Geld gebenden Firma, als Werbeträger fungieren.
Von Demokratie bleibt, so der Tenor des Buchs, dann bald nicht mehr viel übrig, zumal die Globalisierung den Konsumkapitalismus weiter in die Welt trägt.

Lösungen hat der Autor auch parat, doch diese wirken wenig überzeugend: Warum eigentlich sollten beispielsweise, wie von Barber propagiert, die Firmen Verantwortung übernehmen und sich im Sinne der Bürger engagieren, wenn sie doch dem Autor zufolge die Schuld an der Infantilisierung und dem damit verbundenen gesellschaftlichen Niedergang tragen - und daran auch noch prächtig verdienen?

Die Idee, dass verbliebene, nicht von der Infantilisierungswelle hingeraffte kritische Bürger durch zielgerichteten Konsum den Teufelskreis durchbrechen sollen, wirkt apart, aber etwas naiv.

Bleiben also Lösungsansätze und Fazit auch etwas unbefriedigend, so weiß der Autor doch die Problematik gut darzustellen und logisch herzuleiten. Den Kapitalismus möchte der linksliberale Autor definitiv nicht abschaffen, wohl aber liegt es ihm am Herzen, dem Konsumkapitalismus den Garaus zu machen. Dem dürften sich die meisten Leser voll und ganz anschließen, denn wenn man sich im Lauf der Lektüre kritisch den Spiegel vorhält, erkennt man rasch, wie sehr man selbst in den Mechanismen des Marktes festhängt.

Das Buch ist insgesamt anschaulich geschrieben und präsentiert eine Fülle von Beispielen, die allerdings größtenteils für die USA typisch sind und auf Europa nicht unbedingt voll zutreffen. Manchmal wirkt der Stil etwas sperrig, und man hätte das Buch ohne einen Verlust an Inhalt und Lesbarkeit beträchtlich straffen können: Bisweilen gerät die Darstellung so üppig, dass sich die zentrale Aussage eines Abschnitts nicht mehr einwandfrei erschließt. Hier und da stören zudem unnötige inhaltliche Wiederholungen, und auch die ständige Wiederaufnahme des Begriffs "Infantilisierung" wirkt bisweilen etwas ermüdend.

Es lohnt sich jedoch durchaus, dieses Buch zu lesen, denn es zeigt gut nachvollziehbar auf, was der Untertitel angibt: wie Kinder frühzeitig in den Konsumzirkus getrieben werden, während Erwachsene sich in einem umfassenden Jugendwahn wie Kinder verhalten, und wie mittelfristig Demokratie und Vielfalt auf der Strecke bleiben.

(Regina Károlyi; 03/2008)


Benjamin R. Barber: "Consumed!
Wie der Markt Kinder verführt, Erwachsene infantilisiert und die Demokratie untergräbt"

C.H. Beck, 2008. 395 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen

Prof. Dr. Benjamin R. Barber ist Professor of Civil Society an der University of Maryland und einer der einflussreichsten Politikwissenschaftler der USA. Er war innenpolitischer Berater der Clinton-Regierung.

Weitere Buchtipps:

Albrecht Müller, Gunter Haug: "Meinungsmache. Wie Wirtschaft, Politik und Medien uns das Denken abgewöhnen wollen"

Demokratie am Ende? Nicht ohne Grund empfinden so viele Menschen ein Unbehagen an der Politik: Es wird über ihre Köpfe hinwegregiert. Mit systematisch inszenierten Kampagnen wird die öffentliche Meinung beeinflusst. Albrecht Müller und Gunter Haug decken auf, wer diese Kampagnen steuert und was wir dagegen tun können. An vielen Beispielen weisen die Autoren nach: Die öffentliche Meinungsbildung und damit auch die politischen Entscheidungen werden von kleinen Zirkeln und sehr großen Interessen bestimmt. Sie betreiben den Ausverkauf des Landes - des öffentlichen Vermögens und auch von privaten Unternehmen. Das Gemeinwohl hat abgedankt, das Profitinteresse triumphiert. Mittels strategisch geplanter Kampagnen wird gezielte Desinformation betrieben - auf fast allen Kanälen und so lange, bis alle der Botschaft glauben, die durch vermeintliche Experten in die Köpfe gestreut wird. Dieses Buch ist Aufklärung im besten Sinne - und eine Ermunterung, sich einzumischen: für alle, die sich das Denken nicht verbieten lassen. (Droemer) zur Rezension ...
Buch bei amazon.de bestellen

Wolfgang Ullrich: "Habenwollen. Wie funktioniert die Konsumkultur?"
Wie leben wir mit verschiedenen Produkten, und warum wollen wir sie überhaupt besitzen? Wer und was wirkt bei ihrer Entwicklung alles mit? Wolfgang Ullrich zeigt, dass sich unsere Konsumkultur verändert hat und was wir dadurch über unsere Werte und Wünsche erfahren können. (Fischer)
Buch bei amazon.de bestellen

Robert Misik: "Das Kult-Buch. Glanz und Elend der Kommerzkultur"
Konsumkritik - aber richtig!
Waren sind Kultobjekte, mit denen wir angeblich unsere Identität zum Ausdruck bringen. Mit dem Turnschuh kaufen wir "Fitness", mit dem "iPod" "Trendyness", mit der Obstpresse das gute Gewissen gesunder Ernährung. Eine pointierte Bestandsaufnahme des "Lifestyle"- Kapitalismus von heute.
Ökonomie und Kultur sind zwei Seiten einer Medaille: Die Wirtschaft vermarktet Lebensstile. Investmentfonds spekulieren mit Kunstobjekten. Politik wird zu Unterhaltung. Innenstädte werden zu Kommerzzonen. Künstlertugenden halten Einzug ins Wirtschaftsleben ("Sei kreativ!"), die Wirtschaft wird moralisiert. Gegen den globalisierten westlichen Lebensstil steht der "Kampf der Kulturen". (Aufbau-Verlag)
Buch bei amazon.de bestellen

Marita Vollborn, Vlad Georgescu: "Konsumkids. Wie Marken unseren Kindern den Kopf verdrehen"
Welche Eltern kennen das nicht? Übervolle Kinderzimmer, vollgestopft mit "Barbies", Spielkonsolen, "Lego"-Steinen, "Playmobil"-Burgen und "Pokémon"-Karten. Und ständig das Quengeln nach mehr.
Die aggressive Offensive der Konzerne scheint aufzugehen. Noch nie gab es soviel Werbung, die einzig und allein dazu dient, Kinder zum Konsum zu bewegen. Klare Markenbindungen werden gezielt aufgebaut, denn die Kinder von heute sind die Konsumenten von morgen. Die Konsumevolution von "Immer-mehr" zum "Alles" scheint geradezu zwangsläufig. Für die Konzerne lohnt es sich: In Deutschland verfügen allein 6 bis 13-Jährige jährlich über eine Finanzkraft von über sechs Milliarden Euro, trotz sinkender Realeinkommen in den Familien. (Fischer)
Buch bei amazon.de bestellen

Gerlinde Unverzagt, Klaus Hurrelmann: "Wenn Kinder immer alles haben wollen. Weniger ist mehr"
Markenkleidung, Mobiltelefon, Computer, "Lifestyle" und jede Menge Kohle: "Kinder bekommen zu wenig von dem, was sie wirklich brauchen, wenn sie zuviel von dem bekommen, was sie wollen." Ein Buch, das nicht beim Lamento stehen bleibt, sondern Eltern und Erziehern konkrete Wege zeigt. (Herder)
Buch bei amazon.de bestellen

Armin Reller, Heike Holdinghausen: "Wir konsumieren uns zu Tode.
Warum wir unseren Lebensstil ändern müssen, wenn wir überleben wollen"
Wir können uns unseren Lebensstil nur auf Kosten Anderer leisten. Das ist bekannt. Unbekannt ist hingegen, dass sich schon Alltagsgegenstände wie Mobiltelefone oder Kugelschreiber unmittelbar auf Kinderarbeit, umkippende Gewässer, Verarmung und Versteppung ganzer Landstriche auswirken. Armin Reller zeigt die fatalen ökologischen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen unseres Lebensstils.
Ob Zucker oder Fleisch, Zement oder Kupfer - wir nutzen und benutzen diese "Stoffe" täglich, aber über ihre physische Realität, ihre Herkunft, ihre Geschichte, ihre Zukunft wissen wir fast gar nichts. Mit ihnen untrennbar verbunden sind Fragen nach Gerechtigkeit und Verantwortung, Energieverbrauch und Wirtschaftlichkeit.
Armin Reller, Professor am europaweit einzigen Lehrstuhl für Ressourcenstrategie, veranschaulicht, dass derartige Vernetzungen unseren kompletten Alltag durchziehen, sei es in den Bereichen Essen und Trinken, Kleidung, Wohnen, Mobilität oder Kommunikation. Und er zeigt, wie sich unser Alltag, unsere Politik, unsere Art zu wirtschaften verändern, wenn wir endlich anfangen, verantwortungsvoll mit den Ressourcen umzugehen. (Westend)

Buch bei amazon.de bestellen

Gerald Groß: "Wir kommunizieren uns zu Tode" zur Rezension ...
Über die Schattenseiten der digitalen Medien