Frido Mann: "Achterbahn"
Ein Lebensweg
Die
Kunst des Loslassens
Der Lieblingsenkel des "Zauberers" schildert sein unstetes Leben im
Bann eines allmächtigen Namens - dem seines
Großvaters Thomas Mann
Am Ende der Autobiografie des ersten Enkels Thomas Manns, des 1940 im
Kalifornischen Exil geborenen Fridolin Mann, ist ein Gespräch
mit seinem Sohn
Stefan wiedergegeben. Auf die Frage, ob er gegenüber seinem
Großvater, dessen
ausgesprochener Lieblingsenkel er war, große Dankbarkeit
empfindet, antwortet
Frido: "Ich weiß nicht, was ich ohne ihn
wäre. Denn für mich war er
offensichtlich ein sehr viel größerer Segen als
für seine drei Söhne, möglicherweise
auch mehr als für seine Töchter. Aber es sind
eigentlich nur er und meine Großmutter
Katia, denen ich bis heute dankbar bin."
In diesen Worten schwingt eine große
Liebe, aber auch Verbitterung und Wehmut mit. Drei Sätze, die
eigentlich das gesamte Leben Frido Manns umschreiben, vergleichbar mit
einer Fahrt auf der Achterbahn: ein permanenter Wechsel zwischen Hoch
und Tief, ein Auf und Ab zwischen Himmel und Erde, und ständig
versuchen die Fliehkräfte, den eigenen Wagen aus der Bahn zu
werfen. Und genau dieses spektakuläre Gefährt hat er
zum Titel seiner Autobiografie erkoren. |
Traum
vom Fliegen |
Steter
Wechsel von Licht und
Schatten
Hatten bereits die Kinder des "Zauberers" allesamt Probleme, ihren
Platz in der Gesellschaft zu finden, so ging diese schwere
Bürde - das
sogenannte Enkel-Klischee - auch auf Frido über, der
zeitlebens - jedoch
einseitig - an seinem übermächtigen
Großvater gemessen wurde und immer noch
wird und dementsprechend überhöhte Erwartungen weckt.
Nach den ersten, wohl augenscheinlich glücklichsten Jahren in
Kalifornien,
aber schon damals mit einem völlig unberechenbaren und
extremen
Stimmungsschwankungen unterlegenen Vater Michael Mann und der
gleichmäßig
unterkühlten und eher desinteressiert wirkenden Art seiner
Mutter Greta,
beginnt ein Leben mit ständig wechselnden Wohnsitzen und
Bezugspersonen, in dem
das Wort
Elternliebe
kaum auftaucht.
Dieses Unstete setzt sich gleichfalls in Frido Manns späteren
Jahren fort. Sein
Berufsweg reicht vom Dirigenten über den katholischen
Theologen zum klinischen
Psychologen (um "etwas über die 'Seele' meiner
Familie, meines Vaters, und
damit auch etwas über mich selbst zu erfahren").
Letztlich wurde er zum
freien Schriftsteller. Auch studierte er einige Semester Medizin.
Dabei war ihm das Gutbürgerliche stets suspekt. Ja, er
entdeckte sogar die DDR
für sich und pendelte eine Zeitlang zwischen West und Ost,
lehrte Psychologie
in Leipzig, habilitierte an der dortigen Karl Marx Universität
- ganz zum
Entsetzen seines Onkels Golo.
Ein ständiges Suchen und auch Weglaufen vor seiner
allmächtigen Familie. Ein
steter Wechsel von Licht und Schatten, Hoffnung und Verzweiflung,
Schuld und
Vergebung - auch seine Frau sollte er zweimal heiraten.
Zeitreise, Bestandsaufnahme und therapeutische Verarbeitung
Nicht stringent chronologisch durchschreitet der Leser Frido Manns
Lebensweg,
sondern es ist eher ein Ineinanderschwimmen von Gegenwart und
Vergangenheit,
beinahe protokollartig, aber immer ungeheuer lesenswert. Viele
berühmte Namen
kreuzen seine Bahn: so zum Beispiel der Dirigent Bruno Walter, der
katholische
Theologe Karl Rahner, der Psychologe Reinhard Tausch und auch der
Physiker und
Philosoph Werner
Heisenberg, dessen Schwiegersohn er wurde.
Man liest über
Erika und Klaus Mann, über Golo, Fridos Patenonkel,
oder die
familiäre Außenseiterin Monika. Doch Klatsch und
Tratsch erwartet man
vergeblich. Frido Mann verschweigt zwar nicht alle Macken, Ecken und
Kanten
seiner Verwandtschaft,
doch er erzählt sie stets unprätentiös und
weiß sie
geschickt in den ganz normalen Alltag zu integrieren.
Dieses Buch ist nicht nur eine Zeitreise, sondern gleichfalls eine
Bestandsaufnahme und eine therapeutische Verarbeitung seiner
traumatischen
Erlebnisse in der
Großfamilie Mann.
Bei dem eingangs erwähnten Gespräch mit seinem Sohn
wirft dieser noch eine
andere Frage auf: Wo er - Frido Mann - nun seinen Platz auf der Welt
sieht, als
Theologe, als Psychologe oder als Schriftsteller. "Ich
möchte mich nicht
gern ausschließlich auf eines dieser Gebiete festlegen lassen",
antwortet
dieser, "Aber mein Wunsch ist es, bei jeder
möglichen Gelegenheit
engagierte und verantwortungsbewusste Menschen aus den Bereichen
Religion und
Ethik, Kunst, Naturwissenschaft und Naturschutz an einen Tisch zu
bringen und
sie dazu zu ermutigen, einen allgemeinen Nenner zu finden."
Fazit:
Ein wirklich bemerkenswertes Leben schildert Thomas Manns
Lieblingsenkel.
Nun ist sicherlich schon jede Menge über die Familie Mann
geschrieben worden, Frido Mann fügt
jedoch ein ganz eigenes, schonungslos offenes
und zudem spannendes Kapitel hinzu, mit jeder Menge durchaus noch
unbekannter
biografischer und zeitgeschichtlicher Details.
(Heike Geilen; 06/2008)
Frido
Mann: "Achterbahn. Ein Lebensweg"
Rowohlt Reinbek, 2008. 383 Seiten.
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