Thomas Lange: "Hört doch endlich mal auf mit dem blöden Literaturunterricht"

Ein Schulbuch


2008 veröffentlichte Königshausen & Neumann das (Schul-)Buch eines gewissen Thomas Lange mit dem ungewöhnlichen Titel "Hört doch endlich mal auf mit dem blöden Literaturunterricht". Ist der Titel auch lang, so ist das Buch kurz geraten: Auf 150 Seiten breitet der Autor seine Ansichten zum Literaturunterricht und dazu, wie man diesen besser gestalten könnte, aus.

Abgesehen von der Kürze des Buches verfügt eben jenes auch über eine gewisse Würze. Es ist sehr salopp und unkonventionell verfasst, und Lange spricht den Leser direkt an, so als befinde er sich mit diesem in einem Dialog. Trotz dieses durchgängigen Eindrucks fehlt einem etwas, und es dauert eine Weile, bis man dahinter gekommen ist: Das Buch enthält zu viel Luft, kommt zu wenig auf den Punkt. Lange erinnert sich an seine Schulzeit, an bestimmte Fächer, Lehrer und Ereignisse, thematisiert konkrete Werke, die üblicherweise im Unterricht durchgenommen werden, lockert dann ein wenig mit einem Kapitel über Jungen und Mädchen auf, nur um dann wiederum irgendwelche wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema Lernen heranzuziehen, mit denen er seine Absichten zu stützen vermag.

Doch diese angesprochene Absicht ... worum geht es ihm eigentlich genau? Lange fordert eine Abschaffung des üblichen Literaturunterrichtes. Er fordert eine Lockerung, eine Loslösung vom Deutschunterricht, träumt von einem neuen Fach wie "Medien", in dem nicht nur der Blick für die Literatur geschärft wird, sondern auch der für Musik, Kunst, Filme und so weiter. Ein allgemein ästhetisches Unterrichtsfach also, vielleicht gar Epochenunterricht, und führt an, dass man sich auf diesem Wege auch deutlich mehr Wissen zu weiteren Themen, beispielsweise aus der Geschichte, aneignen könnte. Nicht nur, weil sie so spannender aufbereitet wurden, sondern auch, weil das zu Lernende dadurch einen Kontext bekommt, der im klassischen "Interpretationsunterricht" fehlt. Lange fordert, die Schüler mehr selbst tun zu lassen, mindestens fünfzig Prozent eigenes Schaffen (von Gedichten, Drehbüchern, Grafiken, ...) zuzulassen und individuell zu bewerten.

Klingt alles ziemlich toll, ist aber letztlich nicht wirklich zu gebrauchen und der Leser am Ende so schlau wie vorher, zumal der Autor sich des Öfteren verhaspelt, verliert oder auch schlicht in Widersprüche verstrickt. So ist Interpretieren doof und Selbermachen angesagt. Dazu zählt aber nicht das (durchaus übliche) Umschreiben oder Modernisieren einer Szene aus einem Jahrhunderte alten Stück, sondern es soll von Grund auf etwas Neues sein. Dabei darf es dann auch ruhig einmal einen Fünfer für Schüler geben, aber das sei ja egal, weil in Langes Welt ein Fünfer beispielsweise in Musik ja nicht über eine Ausbildung beispielsweise im Bäckerhandwerk entscheiden sollte.

Er kritisiert das Durchkauen klassischer Werke und den Aspekt, dass dies den Schülern das Lesen überhaupt verleide und sie vielleicht nie mehr ein Buch in die Hand nähmen, schon gar keinen "Klassiker". Sich selbst führt er dabei als Beispiel an, nur um dann seitenlang klassische Werke aus Literatur, Kunst et cetera zu benennen und zu thematisieren.

Dass Herr Lange selbst auffordert, Schüler einen Text selbst verfassen zu lassen, dann aber bitte schön mit abzuleitender Moral, widerspricht gänzlich seinen Aussagen von Anfang bis Mitte des Buches, Werke zu entdecken und nicht auf Absichten zu beschränken.

Ein sehr enthusiastisches und idealistisches Buch hat Herr Lange, von dem leider keine Vita mitgedruckt wurde und über den man lediglich auf der Verlagsseite erfährt, dass es sich um einen Lehrer handelt (was man im Buch selbst auch bereits von Lange selbst erfahren konnte), geschrieben. Leider orientiert es nicht an der Realität. Literatur als eigenständiges Fach gibt es beispielsweise nicht einmal überall. Manchmal wird Literatur von Deutsch abgekoppelt, meist dann im Rahmen einer AG. Epochenunterricht oder Themenunterricht ist nicht nur an Waldorfschulen seit jeher beliebt, sondern wurde mindestens schon Anfang der 1990er-Jahre begeistert von vielen Schulen praktiziert. Bei der Aussage, an Schulen herrsche kein Zeitdruck und seien die Themen nicht so stark vorgefasst wie an der Universität, würden ihm so einige Lehrer widersprechen, auch wenn ihnen gleichzeitig ziemlich egal sein dürfte, ob Herr Lange nun für oder gegen Raucherpausen auf seinem Balkon ist (was durchaus auch im Buch vorkommt). Während der Autor viele Seiten für die Darstellung unterschiedlicher Intelligenz- und Talenttypen nutzt, erwähnt er (vielleicht durchaus bewusst?) nirgendwo die Tatsache, dass zum Schreiben vor allem Handwerk statt Kunstverständnis gehört - und somit auch zum Lesen und, da haben wir es wieder, zum Interpretieren. Macht aber nichts, denn auch die lange Darstellung der Intelligenztypen hält ihn nicht davon ab, das Schreiben einer Rezension eher für das Gymnasium als für die Hauptschule zu empfehlen und durch die Unterscheidung von Schultypen somit die vorherigen wissenschaftlichen Ergüsse (anderer Leute) ohnehin zu ignorieren. Wie es eben gerade so am besten hinhaut im Fluss des Schreibens.

Lange möchte Lehrer und Schüler weg vom "Was will der Autor sagen?" hin zum "Welche Wirkung will der Autor erzielen?" bringen. Gibt es dazwischen tatsächlich einen solch großen Unterschied, dass sich 150 Seiten und der dreiste Preis für dieses Taschenbuch dafür wirklich lohnen?

(Tanja Thome; 11/2008)


Thomas Lange: "'Hört doch endlich mal auf mit dem blöden Literaturunterricht.' Ein Schulbuch"
Königshausen & Neumann, 2008. 150 Seiten.
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