Gilles Leroy: "Alabama Song"
Die
Salamanderfrau oder: der
Krieg zu zweit
Gilles Leroy erzählt die Geschichte von Zelda Sayr Fitzgerald,
der Frau des berühmten
F. Scott Fitzgerald, der mit "Der große Gatsby" in die
Literaturgeschichte eingegangen ist
"Ich weiß nicht, was für ein Buch ich da in
einem Rutsch, mit einer
einzigen Tintenfüllung, geschrieben habe. Ich weiß
nicht, was daran gefallen könnte
- es gibt keine Liebesaffäre, keine Verwicklungen, keine
Gefühlsverwirrungen
-, doch etwas Wichtiges spüre ich: eine Spannung,
die das Ganze vom
ersten bis zum letzten Satz zusammenhält. Eine vibrierende
Saite ... kurz vor
dem Zerreißen?" So lässt Gilles Leroy
seine Protagonistin sinnieren,
die, eingesperrt in einer psychiatrischen Klinik, zwischen
Elektroschocks und
Kaltwasserbehandlungen zur "Reinigung" ihres verworrenen Geistes,
heimlich einen Roman schreibt. Sie ist niemand Geringeres als die Frau
des
"großen Gatsby", des "letzten Tycoons",
des Urgroßneffen
des Dichters der us-amerikanischen Nationalhymne. Sein Name: Francis
Scott
Fitzgerald.
Virtuos zeichnet der Autor Zelda Sayr Fitzgeralds Leben nach, von der
lebenshungrigen, exzentrischen femme fatale aus Alabama, bis zur
gebrochenen
Frau, die zuletzt an zu viel Leben "verhungerte" und ihren
alkoholkranken Mann nur um acht Jahre überlebte.
Die zwei zuvor zitierten Sätze offenbaren eine
Schlüsselfunktion. Zum Einen können
sie auf Zeldas Leben, zum Anderen auf den Roman und dessen
Lektüregenuss
angewandt werden.
"In einem Rutsch" wurde aus der lebenshungrigen,
sich nach
Freiheit sehnenden Südstaatenschönheit, der
jüngsten Tochter eines Richters
und Enkelin eines Gouverneurs und Senators aus dem Provinznest
Montgomery, an
der Seite ihres Jazz-Ära Wunderkindes und dessen Erfolges,
eine Berühmtheit
der Oberschicht der 1920er-Jahre in New York, Paris und der
Côte d'Azur: "Ich
rauche, ich trinke, ich tanze und ich treibe es, mit wem ich will."
Nervenzusammenbrüche, Hysterie und Depressionen
"Es gibt keine Liebesaffäre, keine Verwicklungen,
keine Gefühlsverwirrungen
...", schreibt sie über ihren Roman. Oh nein, dieser
Satz trifft
wahrhaftig nicht auf ihr Leben und das ihres Mannes zu. Hier muss das
Wörtchen
"keine" einfach aus dem Satz gestrichen werden, denn
Liebesaffären,
Verwicklungen und Gefühlsverwirrungen gibt es bei beiden en
masse.
Durch Scotts zunehmende literarische Schaffenskrise Ende der Zwanziger
und den
damit einhergehenden vermehrt exzessiven Alkoholkonsum sowie Zeldas
Langeweile
am Lebensstil der Reichen und Schönen, der sie trotz eigener
künstlerischer
Aktivitäten - sie schreibt, tanzt und malt - nicht
erfüllt, kommt es bei
beiden zu tiefen partnerschaftlichen Beziehungsproblemen,
verstärkt noch durch
finanzielle Schwierigkeiten.
Nach einer intensiven Liebesaffäre mit einem
französischen Piloten und der von
ihrem Mann erzwungenen Abtreibung der daraus gewachsenen Liebesfrucht,
ist ihre
Ehe endgültig zerrüttet und wird zum Martyrium.
Gegenseitige Kränkungen,
Eifersuchtsszenen und Vorwürfe begleiten ihren banalen Alltag.
Sie wirft ihm
vor, er würde ihre Ideen und Manuskripte stehlen und unter
eigenem Namen veröffentlichen:
"Ich war einmal seine Modellpuppe, nun bin ich sein
Meerschweinchen.
Seine Versuchsvogelscheuche. Ich bin in seinen Augen mittlerweile ein
solches
Nichts, dass er sich kaum die Mühe gemacht hat, meine
Formulierungen zu ändern."
Auch Hemingway,
(der im Roman einen anderen Namen erhält), und
seine
(angebliche) Affäre mit Scott werden an die
Öffentlichkeit gezerrt.
Nervenzusammenbrüche, Hysterie und Depressionen lassen Zelda
die letzten
siebzehn Jahre ihres Lebens zu einem großen Teil in
Nervenheilanstalten
zubringen. Im Jahr 1948 kommt die nunmehr verwelkte "Muse" ihres "Goofos"
- wie sie Scott zärtlich nennt -, bei einem Klinikbrand ums
Leben. Die
Salamanderfrau, deren Leben einst lichterloh in Flammen stand, konnte
ihr Feuer
zeitlebens nicht löschen, und die "vibrierende Saite",
die
letztendlich der Spannung nicht gewachsen war, zerriss.
"Eine Spannung, die das Ganze vom ersten bis zum letzten Satz
zusammenhält.
Eine vibrierende Saite ... kurz vor dem Zerreißen",
so kann man auch
den Duktus des Buches bezeichnen, welches anno 2007 den "Prix
Goncourt",
die höchste Auszeichnung der Literaturwelt Frankreichs,
erhielt. Gilles Leroy,
der sich bei den Lesern seiner Generation immer
größer werdender Beliebtheit
erfreut und schon mehrere Preise einheimste, begreift den Prozess des
Buch-Schreibens als "Zitat des Zitats des Zitats".
Mit einem
einfachen und klaren Stil in der Ich-Form, mit kurzen Sätzen
wie in Stein gemeißelt,
ohne irgendwelche literarische Ausschmückungen - jedes Mehr
wäre zuviel
gewesen -, beleuchtet der Franzose das Leben aus der Perspektive Zeldas
neu.
Auch wenn er sich von einer biografischen Lesart seines schmalen Buches
distanziert, spielt er virtuos mit den Vorwürfen der
authentischen Figur und lässt
seine literarische als ihre eigene Wahrheit verkünden.
Eine Wiedergutmachung
Dabei geht der Autor nicht chronologisch vor, sondern springt in
verschiedenen
Zeitebenen vor und wieder zurück; eine Geschichte in
Rückblicken, deren Stil
an Tagebuchaufzeichnungen erinnert. Wunderschöne
Sätze (z.B. "... Wie
die Treppen der Metro glitzern, (...) schwarzer Teer mit
Glimmersteinchen, so
dass aus jedem Schritt, aus jeder Stufe ein langsamer Abstieg in den
umgekehrten
Himmel wird, in die schwarze Tunnelnacht, wo du vergeblich eine
bekannte
Konstellation am Gewölbe suchst") wechseln sich mit
nüchternen
Feststellungen ab (z.B. "Ich habe einen ehrgeizigen
Künstler
geheiratet, und jetzt, zwölf Jahre später, finde ich
mich als alte Schachtel
an der Seite eines Säufers mit einem Berg von Schulden wieder.")
und
wurden von Xenia Osthelder ohne Abstriche harmonisch ins Deutsche
übertragen.
Leroy versteht es virtuos, magische Momente mit schockierenden zu
alternieren,
spitzt manchmal zu und übertreibt, um im nächsten
Satz zärtliche, hoch
emotionale, aber niemals weinselige Töne anzuschlagen und
somit das Bild dieser
zerrissenen Frau großartig wiederzugeben.
Einfache Lektüre ist das Buch jedoch nicht. Aber wenn man sich
in dem ungewöhnlichen
Stil "eingerichtet" hat, nimmt es gefangen, fasziniert und erzeugt "eine
Spannung, die das Ganze vom ersten bis zum letzten Satz
zusammenhält. Eine
vibrierende Saite ... kurz vor dem Zerreißen".
"Alabama
Song" ist selbst, was die Protagonisten verkörperten:
Literatur - auf
keinen Fall leichte Unterhaltung.
Und: Das Buch ist eine Wiedergutmachung: "Adieu, Zelda. Es
war mir eine
Ehre", lautet der letzte Satz.
Fazit:
Gilles Leroy erzählt mit einem großartigen,
kunstvollen Duktus von zwei
Menschen, die an zu viel Leben zerbrechen. Atemberaubend gelingt ihm
vor allem
die glaubhafte Darstellung einer Frau, die einst keine Grenzen kannte
und
glaubte, durch das Feuer gehen zu können, ohne sich zu
verbrennen.
"Trennt euch, das ist das Einzige, was man tun kann."
"Aber wie sollen wir leben?"
"Wie Menschen."
(Aus "Pedro Páramo" von Juan Rulfo)
(Heike Geilen; 09/2008)
Gilles
Leroy: "Alabama Song"
(Originaltitel "Alabama Song")
Aus dem Französischen von Xenia Osthelder.
Kein & Aber, 2008. 240 Seiten.
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Gilles Leroy wurde am 28. Dezember 1958 bei Paris geboren und studierte Geisteswissenschaften mit besonderem Schwerpunkt auf der us-amerikanischen und der japanischen Literatur.
Noch ein Buchtipp:
Juan Rulfo: "Pedro Páramo"
Comala ist ein wüster
Steinhaufen inmitten einer sonnenverbrannten Einöde. Die Einen
arbeiten sich zu
Tode, um überleben zu können, die Anderen beuten das
Volk aus, betrügen,
unterdrücken und morden. Pedro Páramo,
Großgrundbesitzer und Dorftyrann, hat
in dem heruntergekommenen Dorf "Ordnung" geschaffen. Doch die Toten
geben keine Ruhe und reden in ihren Gräbern weiter von seinen
Untaten.
Kein
anderer Schriftsteller hat so viel Einfluss auf nachfolgende
Generationen in Südamerika
ausgeübt wie Juan Rulfo. Sein einziger Roman ist ein dunkles
Epos von Tod und
Gewalt, das bis heute nichts von seiner Wucht verloren hat und jetzt in
einer
Neuübersetzung von Dagmar Ploetz vorliegt.
Der mexikanische Schriftsteller Juan Rulfo wurde 1917 in Sayulo
geboren. Schon
im Alter von zehn Jahren wurde er Vollwaise und verbrachte seine
restliche
Kindheit in einem Internat in Guadalajara. Nach zahlreichen Reisen
durch Mexiko
und kleinen Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften
erschien 1953 sein Erzählband
"Der Llano in Flammen" und bald darauf sein Roman "Pedro
Páramo",
der seinen Ruhm als einer der bedeutendsten
Schriftsteller
Lateinamerikas begründete.
Der Roman gilt als ein Schlüsseltext der lateinamerikanischen
Literatur.
Nach seinen Veröffentlichungen zog sich Rulfo vom Schreiben
zurück und
arbeitete bis zu seinem Tod als Fotograf und als Herausgeber
verschiedener
Forschungsbände am "Instituto Nacional Indigenista de
México" in
Mexiko-Stadt, wo er am 7. Jänner 1986 verstarb. (Hanser)
zur Rezension ...
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