Gyula Krúdy: "Das Gespenst von Podolin"
Düsterer
Liebesroman mit übersinnlichen
Elementen
Antschurka, ein junges Waisenmädchen, findet Zuflucht bei
ihrer Tante im
Karpatenstädtchen Podolin. Diese führt dem
schwerreichen, eigenbrötlerischen
Herrn Riminszky den Haushalt. Antschurka findet sich rasch in diese
eigenartige
Lebensgemeinschaft ein, obwohl sie darin zunächst gar keine
eigene Rolle
zugewiesen bekommt.
Alles ändert sich, als Riminszky längere Zeit krank
wird und sich täglich zur
Unterhaltung Antschurka und ihr Kätzchen aufs Zimmer holt. Der
nicht mehr junge
Mann verliebt sich in das hübsche Mädchen und bringt
es auf die nahe gelegene,
einsame, halb verfallene Burg Nizsder: Dort soll es eine
standesgemäße
Ausbildung erhalten, und zwar beim mit Riminszky allem Anschein nach
außerordentlich
gut bekannten Burgherrn persönlich, der eigentlich eine Dame
ist. So munkelt
man zumindest in den Orten um Nizsder.
Antschurka aber wird unschuldig mitten hineingeworfen in eine
verhängnisvolle
Geschichte um Liebe, Eifersucht, Mord und Intrigen, muss für
die Auswirkungen
einer fatalen Dreiecksbeziehung büßen, die sich
allmählich als Viereck
entpuppt, und weiß bis zum Ende ihres Aufenthalts in Nizsder
nicht, wie ihr
geschieht.
Der Leser lernt zuerst die wechselhafte Geschichte der Region um
Podolin mit
einiger romantischer Verbrämung kennen und mit ihr das
Geschlecht der
Riminszkys und seinen letzten Spross, einen der Protagonisten des
Romans. Auch
Antschurka und der geheimnisvolle Schlossherr von Nizsder werden
frühzeitig
vorgestellt.
Eine lange Rückblende, im Heidelberger Bürger- und
Studentenmilieu des 19.
Jahrhunderts angesiedelt, erhellt schließlich die
Vorgeschichte. Passagen aus
der Erzählgegenwart werden mit ihr verquickt,
schließlich verschmelzen beide
Erzählstränge miteinander; das Rätsel
löst sich, jedoch nicht vollständig,
denn wenn auch die insgesamt realistische Vorgeschichte nun bekannt
ist, nimmt
die Handlung eine Wende
hin zum Fantastischen, die vorzüglich
zum düsteren
Rahmen passt.
Dieser wurde mit einer verfallenen Burg, die eine Reihe von skurrilen
Besitzern
vorweisen kann, und einem aus politischen Gründen im
Mittelalter "hängen
gebliebenen" Landstrich um Podolin geschickt gewählt.
Gyula Krúdy versteht sich auf die Konstruktion komplexer,
vielschichtiger
Charaktere, denen er schlichte Gemüter wie das
Bauernmädchen Antschurka gegenüberstellt.
Gegensätze beleben auch die Handlung und die
Erzählweise. Über weite Strecken
besitzt der Roman, wie erwähnt, einen realistischen Charakter;
immer wohnt ihm
jedoch auch etwas Übersinnliches, tendenziell Surreales inne,
gleichsam als
feine Würze. Gegen Ende scheint es regelrecht
natürlich, dass die fantastischen
Elemente zu dominieren beginnen. Diese Gegensätzlichkeit und
der geradezu lässige
Umgang mit dem Übersinnlichen, passend zu einer dem
Mittelalter verhafteten,
einfachen Bevölkerung, bedingen den Zauber von
Krúdys Roman.
Die nicht gerade einfache Übersetzung aus dem Ungarischen ist
György Buda
hervorragend gelungen. Er weiß die besonderen, von
Krúdy geschaffenen
Stimmungen so zu übertragen, dass der Eindruck von
Authentizität und nicht von
einer Übersetzung entsteht, und bedient sich einer
Krúdys Zeit gemäßen
Sprache.
"Das Gespenst von Podolin", Werk eines der großen ungarischen
Romanciers des frühen 20. Jahrhunderts, ist ein spannungs- und
emotionsgeladener Liebesroman mit geschickt eingeflochtenen
fantastischen
Elementen, der auch heute das Publikum zu fesseln vermag, insbesondere
in der
vorliegenden schönen Übersetzung.
(Regina Károlyi; 02/2009)
Gyula
Krúdy: "Das Gespenst von Podolin"
(Originaltitel "A podolini kísértet")
Deutsch von György Buda, mit einem Nachwort
von
György Dalos.
Kortina Verlag, 2008. 267 Seiten.
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Gyula
Krúdy (1878-1933) war
einer der bedeutendsten ungarischen Prosaautoren.
Der Sohn eines kleinadeligen Anwalts und einer Bauerstochter konnte wie
kaum
einer Romantik und Realismus, den
nostalgischen Impressionismus des Fin
de
siècle und feine Ironie verbinden. "Das Gespenst von
Podolin" (1906)
wurde sein literarischer Durchbruch und bereitete den Weg für
den Erfolg seiner
wichtigsten Werke, der "Sindbad-Novellen" und des Romans "Die
rote Postkutsche".