Michael Köhlmeier: "Idylle mit ertrinkendem Hund"


Rückkehr ins Leben

Nach seinem im Jahr 2007 erschienenen und für den "Deutschen Buchpreis 2007" nominierten Opus Magnum "Abendland" legt Michael Köhlmeier nun dieses kleine, große Bändchen mit dem außergewöhnlichen Titel "Idylle mit ertrinkendem Hund" vor, das zwar ganz anders, aber mindestens genauso großartig daherkommt wie sein fast 800 Seiten starkes Geschichtsepos.

"Wie kann ich über den Tod unserer Tochter schreiben?"
"Willst du denn darüber schreiben?"
"Das möchte ich, ja."
"Ich denke, ich weiß, wo das Problem liegt. Du bist dir nicht sicher, ob du Literatur machen willst oder bloße Erinnerung, hab ich recht?"
"Ich will, dass sie bei mir ist. Und ich habe die Hoffnung, dass sie näher bei mir ist, wenn ich über sie schreibe."


Dieses fiktive Gespräch beinahe am Ende des schmalen Büchleins, das der Ich-Erzähler, der unschwer als Michael Köhlmeier persönlich zu erkennen ist, in Gedanken mit seinem Lektor führt, offenbart erstmals deutlich, worum es dem Autor in diesem stillen, leisen Buch geht: um die Aufarbeitung eines schweren Schicksalsschlags, der seine Familie unverhofft im Jahr 2003 traf. Damals verunglückte die 21-jährige Tochter und vielversprechende Jungautorin Paula Köhlmeier bei einem Spaziergang tödlich. "Sie war nie richtig auf der Welt gewesen", sagt Köhlmeiers Frau, die Schriftstellerin Monika Helfer, im Buch, "sie hat den Boden nur mit den Fußspitzen berührt."

(Sturm, Nacht, Heide, eine Hütte, Lear und sein Narr)
Diesen szenischen "Drehbuch"-Einschub setzt der Autor über jenes erdachte innere Zwiegespräch. Nun hat Köhlmeier seine Tochter keineswegs wie Shakespeares König verstoßen, - im Gegenteil - die Familienmitglieder pflegten einen sehr harmonischen Umgang miteinander, aber die Qual steht der des englischen Dramenhelden kaum nach. Schlaflose Nächte, hypochondrische Ängste und Gedanken quälen ihn, und nur Betäubungsmittel können den Schmerz ein wenig "lindern".

Da ihm die Träume verwehrt bleiben, die ihm den notwendigen Abstand und gleichzeitig die erforderliche Nähe geben könnten, (auch hier werden wieder Vergleiche gezogen, so zum Beispiel zu Grillparzers "Der Traum ein Leben"), wählt er das, was sein Lebenselixier ist - das geschriebene Wort. "Ich will, dass sie bei mir ist. Und ich habe die Hoffnung, dass sie mir näher ist, wenn ich über sie schreibe. (...) Ich glaube an die Literatur, (...), sonst hätte ich mein Leben verfehlt ...", sinniert der Autor in seinem halluzinatorischen Dialog.

Symbolhaftigkeit durchzieht die ganze Geschichte latent metaphorisch. Szenenbeherrschend ist dabei immer der eigenwillige Besucher, Köhlmeiers Lektor Dr. Johannes Beer, der sich für mehrere Tage im Haus der Familie in Hohenems einquartiert, um über das neue Buch des Autors zu sprechen. Wohl oder übel gibt jener den Narren, (obwohl ihm im Lauf der Erzählung auch andere Vergleiche anhängig werden, so etwa der augenscheinlich biedere, jedoch janusköpfige Adolf Verloc aus Joseph Conrads "Der Geheimagent" oder der verwegene Jacob Grimm).

Der aufmerksame Leser kann aber noch viele andere allegorische Vergleiche entdecken. Da werden zum Beispiel - eher unauffällig und beinahe nebenher - ein Zöllner und Dantes "Inferno" erwähnt. Ein schwarzer Hund wiederum, (ein altes Zeichen für den Tod), spielt eine maßgebliche, ja richtungsweisende Rolle, die alles Andere als eine augenscheinlich harmonische, häusliche Idylle und Routine oder plätschernd beschauliche Alltagsbetrachtungen im winterlich verschneiten Ort offenbart, sondern den verzweifelten Kampf Köhlmeiers mit dem Dämon - mit Luzifer – höchstpersönlich.

Ein sehr persönliches Buch des Autors
Michael Köhlmeier "spricht" in prägnanten Sätzen, ohne Schnörkel und unnötiges Beiwerk, beinahe distanziert, über Tod, Erinnerung und Schreiben, um die Sprachlosigkeit zu überwinden, die durch den Verlust der Tochter entstanden ist.
Vorangestellt hat er seiner Erzählung ein Zitat Paulas, das sich erst nach der Lektüre in seiner vollen Tragweite erschließt:
"Der eine und der andere sitzen am Alten Rhein und warten auf den Engel. Damit er vielleicht die Nacht mit ihnen verbringe. Es ist kalt, aber sie trauen sich nicht, im Auto zu schlafen, weil sie Angst haben, den Engel zu verpassen. Sie denken sich: Der Engel wird bestimmt nicht auf uns warten. Wenn wir schlafen, wird der Engel uns nicht wecken."

Dieses Buch empfiehlt sich nicht nur ein zweites Mal zu lesen, sondern es erscheint beinahe notwendig. Denn Köhlmeier schafft auf fast magische Art und Weise eine unglaubliche Nähe und Vertrautheit zu seiner ganz persönlichen Gefühls- und Gedankenwelt, die viel Raum für eigene Assoziationen lässt. "Ich glaube doch, dass es mir gelungen ist, den Raum des Erzählbaren zu vergrößern", resümierte Köhlmeier in einem Interview. "Bei diesem Buch habe ich einen Punkt gefunden, an dem ich es nicht für möglich gehalten habe, weiterzuerzählen." Danke, dass er es trotzdem getan hat.

Fazit:
Eine unaufdringliche leise, berührende und ausdrucksstarke Geschichte hat Michael Köhlmeier vorgelegt, welche von Ängsten und Wünschen, ausgelöst durch einen ganz persönlichen Schicksalsschlag, den tragischen Tod seiner Tochter Paula, erzählt und dabei auf eindringliche Art und Weise aufzeigt, wie zerbrechlich das Leben ist. Ein Buch, das seine volle Entfaltung beim Lesen "zwischen den Zeilen" erfährt.

(Heike Geilen; 08/2008)


Michael Köhlmeier: "Idylle mit ertrinkendem Hund"
Gebundene Ausgabe:
Deuticke im Paul Zsolnay Verlag, 2008. 109 Seiten.
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Taschenbuchausgabe:
dtv, 2010. 112 Seiten.
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