Michael Klonovsky: "Der Schmerz der Schönheit"
Über Giacomo Puccini
Musikalische
Lava con passione disperata (mit verzweifelter Leidenschaft)
"Die Literaturgeschichte lehrt, dass das Werk eines jeden
großen Dichters in zwei Teile zerfällt: in den, den
wir weiter bewundern, und in den, der die Literatur beeinflusst hat."
Dieses Zitat des kolumbianischen Denkers
Nicolás Gómez Dávila
könnte stellvertretend für jenen Mann stehen, dem
Michael Klonovsky das vorliegende Buch gewidmet hat, das man beinahe
als Liebeserklärung lesen könnte.
Schon die ersten Zeilen offenbaren eine tiefe Empathie für den
Mann aus Lucca: "Giaccomo Puccini war beziehungsweise ist
einer der größten Schenker der bisherigen
Weltkulturgeschichte. Er gehört zu jenen raren und im Grunde
höchst unwahrscheinlichen Wunderwesen, die unaufgerufen, oft
gegen Widerstände und nur aus eigenem Antrieb tätig
werdend, eine schönere Welt hinterlassen, als sie vorgefunden
haben. Wer, außer vielleicht Mozart, hätte mehr
musikalische Zärtlichkeit auf diesen Planeten gebracht als er?
Millionen Hörer sind durch Puccinis Musik in
Gefühlsräusche versetzt und zu Tränen
gerührt geworden. Zu ihnen zählt, mit einer ihn
selbst frappierenden Beharrlichkeit, der Verfasser dieser Betrachtung."
Kampf der Liebe gegen die Übermacht von Leiden und Tod
Der Schriftsteller und Journalist Klonovsky (Jahrgang 1962), der als
Chef vom Dienst beim Magazin "Focus" arbeitet, bereits einige Romane
veröffentlichte (u. a. "Land der Wunder", "Der
Ramses-Code") und außerdem bekennender Bach- und
Wagner-Liebhaber ist, hat sich nun eines Mannes angenommen, dessen
Bewunderer immer ein wenig unter vorgehaltener Hand ihre Begeisterung
aussprechen, die "sich sozusagen nur mit gedämpfter
Stimme zu ihrer Leidenschaft bekennen." Der Autor ist der
Meinung, dass dem italienischen Komponisten unrecht getan wird, wenn
man ihn als zweitrangigen Komponisten abtut. Für ihn ist
Puccini ein "enormer Meister und musikdramatischer
Alleskönner".
In seinem flüssig und unterhaltsam zu lesenden Buch zeichnet
Klonovsky nicht nur ein liebevolles Bild des Lucchesers, sondern
gewährt einen fundierten, analysierenden Blick in dessen
wiewohl nicht sehr umfangreiches Lebenswerk, das, neben einigen
Stücken geistlicher Musik, drei kleinen, im allerweitesten
Sinne sinfonischen Orchesterwerken und ein bisschen Kammermusik, "nur"
aus neuneinhalb abendfüllenden Opern besteht.
Beginnend mit einem einleitenden Gesamtüberblick, in dem auch
die Frühwerke "Le Villi" und "Edgar" ("Die Libretti
[...] gehören zum Beknacktesten, was die an
Dämlichkeit bekanntlich reiche Operntextliteratur in petto und
auf dem Kerbholz hat") nicht vergessen werden,
ermöglicht Klonovsky mit seiner Werkschau vor allem in
"Tosca", "Madama Butterfly" und "La Fanciulla del West", die den
Weltruhm Puccinis begründeten, einen detaillierten und
tiefgreifenden Einblick.
Der Autor stellt sich die Frage, warum Puccini heutzutage - wenn
überhaupt - in Monografien nur als "randständigste
Randfigur" erwähnt wird, obwohl dessen Werk die
Opernbühnen der Welt beherrscht wie kaum ein zweites? Michael
Klonovsky begründet dies dahingehend, dass der italienische
Komponist nie als "modern", "fortschrittlich" oder "avanciert" galt.
Auf seine Art widersetzte er sich dem Zeitgeist der westlichen Welt,
der fordert, "dass man sich auf der Seite des sogenannten
Fortschritts, an der Spitze des Neuen, auf der Höhe der Zeit
eben aufzuhalten habe." Puccini habe zwar all diese
Entwicklungen beobachtet und ließ sie auch in sein Werk
einfließen, doch "von ihm selbst ging kein Impuls
aus, das musikalische Material zu erneuern", so Klonovsky.
Mitten ins Herz treffende "Sirenengesänge"
"Der Mann aus Lucca hat den musikalischen 'Fortschritt' nicht
sonderlich befördert, aber er hat etwas überzeitlich
Gültiges universell verständlich in ultimative
Töne gefasst: den Kampf der Liebe gegen die Übermacht
von Leiden und Tod", erklärt der Autor. Und daher
auch der Titel des Buches: "Der Schmerz der Schönheit".
Bereits Schopenhauer schrieb von dem Phänomen, dass "der
künstlerisch reproduzierte Schmerz bisweilen schön
sein kann". Puccini selbst erklärte einmal, der Sinn
seiner Musik bestünde darin, das Dasein "weniger
unerträglich" zu machen.
Klonovsky ist sich sicher, dass es beinahe unmöglich ist, von
Puccinis "Sirenengesängen" nicht
berührt zu werden. Sie treffen den Hörer mitten ins
Herz und spenden "Tränen und Trost zugleich"
(Wagner, "Die Walküre"). Schon andere Komponisten
rührten mit ihren Werken ihre Hörer zu
Tränen. So schrieb Adorno 1928 in seinem Schubert-Aufsatz: "Vor
Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne
erst die Seele zu befragen: so unbildlich und real fällt sie
in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen, warum; weil wir noch nicht so
sind, wie jene Musik es verspricht." Bei Puccini, ist sich
Klonovsky sicher, verhält es sich andersherum: "Wir
weinen, weil wir genauso sind, wie diese Musik es beschreibt [...] Wer
Schubert (oder Bach oder
Mozart)
hört, mag mitunter meinen, in den Himmel zu blicken. Wer
Puccini hört, schaut immer in den Spiegel."
Fazit:
Wer schon ein heimlicher oder vielleicht gar bekennender
Puccini-Liebhaber ist, für den ist dieses Buch sicher ein
absoluter Lesegewinn. Voller Ironie, Sprachwitz und mit eleganter
Virtuosität, die der Tonkunst des eleganten, toskanischen
Meisters in nichts nachsteht, ergreift Michael Klonovsky Partei
für den "musikdramatischen Alleskönner".
Dabei bleibt sicher alles eine Spur subjektiv. Aber das ist es wohl
immer, wenn es um die Kunst geht.
Doch vielleicht erreicht der Autor den einen oder anderen
"Puccini-Phoben" oder auch nur Desinteressierten und demzufolge eher
zufälligen Leser, der sich dann fragt, ob er "tatsächlich
eines Tages sterben [will], ohne beispielsweise die Einschiffungsszene
aus Manon Lescaut, das 'Te Deum' aus der Tosca, das
ungeheuerlich-todesahnende 'Che tua madre' der Butterfly oder das gegen
sein elendes Kos gestoßseufzte 'Hai ben ragione!' des
Proleten Luigi aus Il Tabarro gehört zu haben."
Die Rezensentin, die sich zur letzten Gruppe zählt, zeigt nach
diesem Buch jedenfalls echtes Interesse an der Musik dieses ehemals "komponierenden
Millionärs und traurigen Casanovas".
(Heike Geilen; 02/2009)
Michael
Klonovsky: "Der Schmerz der Schönheit.
Über
Giacomo Puccini"
Berlin Verlag, 2008. 304 Seiten.
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Noch
ein Buchtipp:
Volker Mertens: "Giacomo Puccini. Wohllaut, Wahrheit und
Gefühl"
Wie kein anderer Komponist wollte Puccini sein Publikum ergreifen,
rühren und
unterhalten. Schönklang, Effektsicherheit und eine mit viel
Aufwand
hergestellte Couleur locale machten ihn zu einem
der meistgespielten
Opernkomponisten.
Der Anerkennung dieses populären Künstlers stand
immer der Zweifel an seiner
Seriosität gegenüber. Erst seit wenigen Jahrzehnten
existiert eine
Puccini-Forschung, die die Virtuosität seines musikalischen
Handwerks neben die
melodische Erfindungskraft stellt. Doch Puccini war mehr als der
geniale
Melodiker, der Theaterpraktiker, er entwickelte
die Oper weiter und
erneuerte
sie.
Basierend auf neuesten Forschungsergebnissen hat Volker Mertens dieses
Puccini-Kompendium verfasst. "La Bohème", "Tosca", "Madama
Butterfly" - und alle anderen Werke unterzieht der Autor einer
tiefgreifenden Analyse und verwebt diese kenntnisreich und lebendig mit
der
Biografie des Meisters.
Er zeichnet das Bild eines Prototypen modernen Künstlertums in
der Puccini
eigenen Mischung aus Bodenständigkeit und
weltmännischer Art und entwirft ein
Panorama der Oper dieser Zeit.
Diskografische Empfehlungen und eine kommentierte Bibliografie runden
diese wohl
umfassendste Darstellung der Lebens- und Schaffenswelt Puccinis ab.
(Militzke)
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