Jörg Kastner: "Die Tulpe des Bösen"
Tulpenwahn und Tulpenmorde
Ein Krimi im Amsterdam des 17. Jahrhunderts
Die Tulpe eine Blume des Bösen? Mitnichten, aber in den Niederlanden der frühen
Neuzeit ein durchaus plausibler Gedanke, hat sie doch die Wirtschaft beinahe in
eine Katastrophe gestürzt. Daher mag vorweg ein Blick in die Geschichte
hilfreich sein, um Jörg Kastners fiktive Tulpenmörder und die reale
Tulpenhysterie im Amsterdam des 17. Jahrhunderts besser einordnen zu können.
Wie viele gefährliche Liaisonen fing auch die Beziehung der Niederländer zu
den Tulpen gänzlich harmlos an. Im Laufe des 16. Jahrhunderts kam sie gemeinsam
mit anderen Blumen des orientalischen Raumes
vom
Osmanischen Reich nach Europa, breitete sich rasch aus und wurde als
exotische Schönheit gefeiert, begehrt, gezüchtet und gehandelt. Besonders die
Vielfalt ihrer Farben und Blütenmuster machte sie zu einem begehrten
Statussymbol. Eine gewichtige Rolle bei der Verbreitung und Zucht spielte ein
gewisser Carolus Clusius, Leiter des Botanischen Gartens in Wien, der Ende des
16. Jahrhunderts an die Universität Leiden berufen wurde. Allein
in
den Niederlanden allerdings wurde durch die steigende Nachfrage die
Tulpenzwiebel von einer Handelsware zu einem Spekulationsobjekt. Der Tulpenwahn,
von dem die Niederlande im 17. Jahrhundert kollektiv erfasst wurden, ist
Legende. Ein ganzes Haus für drei Tulpenzwiebel! Optionsscheine für
Tulpenzwiebelanteile! Der Höhenflug und der Niedergang der Spekulationsblase um
Tulpenzwiebeln gilt noch immer oder gerade wegen ihrer ungebrochenen Aktualität
in Zeiten von Finanzmarktkrisen als Paradebeispiel einer fehlgeleiteten
Marktentwicklung.
Nachdem der erste Börsenkrach der Geschichte ausgestanden war, schien das
Goldene Zeitalter, wie die Niederlande ihr 17. Jahrhundert nennen,
wiederhergestellt zu sein. Wirtschaft und Künste florierten, die Tulpe hatte
ihre Liebhaber, zog aber keine Spekulanten mehr an. Oder doch? Die Ruhe erwies
sich als trügerisch, als geheimnisvolle Morde an den ehrenwertesten Bürgern
der reichen und mächtigen Handelsstadt verübt wurden. Sie muteten wie ein
Vorbote von unheilvollen Zeiten an. Getrieben von einer unbestimmten Ahnung über
eine große Gefahr, die in den Schatten des nächtlichen Amsterdam zu lauern
schien, nimmt Amtsinspektor Jeremias Katoen seine Ermittlungen auf. Bald stellt
sich heraus, dass es sich nicht um Raubmorde handelt. Stattdessen legte der Mörder
seinen Opfern ein Blatt einer außergewöhnlichen Tulpe in die Hand. Tiefschwarz
mit tropfenförmigen roten Flecken. Die Tulpe des Bösen?
Jörg Kastner, Jurist und Schriftsteller, führt seine Leser in seinem
historischen Thriller in die dunkle, geheimnisvolle Seite der Amsterdamer
Gesellschaft. Spannend wird das Szenario entwickelt und von unterschiedlichen
Seiten punktgenau beleuchtet. Man lernt Tulpenfanatiker aller Art kennen, Hasser
wie Verehrer, begleitet den Kommissar in die schummrigen Hafenviertel, um
Kuppler zu jagen und dabei Nachtläuferinnen, wie Prostituierte genannt wurden,
bei ihrem Geschäft zu beobachten. Man wird Augenzeuge von grausamen
Justizpraktiken und erfährt einiges über die hohe Kunst und das Ansehen der
Kartenmacher. Der Kriminalfall, der am Anfang der Geschichte steht, wird zu
einem multifunktionalen Werkzeug, um eine Epoche der niederländischen
Geschichte wieder in Erinnerung zu rufen. Dabei gelingt es dem Autor überzeugend,
Fiktion und Realität gekonnt miteinander zu verknüpfen und zu verweben, so dass
beide Varianten der Geschichte eigentlich glaubhaft erscheinen. "Zuweilen
sind eben die unglaublichsten Dinge möglich", wie Kastner in seinem
Nachwort versichert. Aber mit der Gewissenhaftigkeit eines Juristen, der er ja
auch ist, erklärt er genau, welche Teile seiner Geschichte der Realität und
welche seiner Fantasie entsprungen sind.
In Kastners Roman stehen die Tulpenmorde am Anfang einer Entwicklung, die das
Ende des Goldenen Zeitalters der Niederlande einläutete. Die Handlung, die der
Autor entwirft, ist reich an Tempo und gleicht dem kleinwinkeligen Labyrinth
einer mächtigen Handelsstadt zu Beginn der Moderne. Der Handlungsverlauf ist in
der Tat genial ... Verschwörung, Verrat, Serienmörder,
Nebel, Sex ..., alles ist da. Und ein Amtsinspektor, der wie "James
Bond" fechtend und schießend durch die Erzählung wirbelt.
"Die Tulpe des Bösen" ist spannend zu lesen und bestens geeignet für
lange, nebelige und dunkle Herbstabende. Da stört es dann auch nicht allzu
sehr, wenn die literarische Ausführung holprig daherkommt, wenn die Sprache die
Handlung nicht immer zu eigenem Leben erweckt und sie auch immer wieder in die
Weiten des Kitsches abzudriften droht. "Die Tulpe
des Bösen" ist ein historischer Krimi, der im 17. Jahrhundert spielt, und
ein klassischer Fall von "Wer hat es getan?" mit einem überraschenden
Ausgang. Eigentlich wünscht man diesem Stoff eine gute Verfilmung durch einen
Regisseur, der die rasante Handlung tatsächlich im Amsterdam des 17.
Jahrhunderts ansiedelt.
(Brigitte Lichtenberger-Fenz; 11/2008)
Jörg
Kastner: "Die Tulpe des Bösen"
Knaur, 2008. 455 Seiten.
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Hörbuch (autorisierte Lesefassung):
Sprecher: Wolfgang Condrus.
Argon, 2008. 6 CDs; Spieldauer ca. 466 Minuten.
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Weitere Buchtipps:
Mike Dash: "Tulpenwahn"
Sie verhexte Kaiser und Könige, trieb reiche Kaufleute in den Ruin und vereinte
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Anklang fand. Hier entspann sich bald ein intensiver Tulpenhandel, und die Blume
wurde zum Anlage- und Prestigeobjekt Nummer eins. Doch als 1637 plötzlich die
Preise in den Keller fielen, folgte ein wirtschaftliches Desaster von ungeahntem
Ausmaß, das zum ersten Börsenkrach in der Geschichte führte ... (List)
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Deborah Moggach: "Tulpenfieber"
Amsterdam 1636: die Stadt ist im Tulpenfieber. Aus dem Fernen Osten stammt diese
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seiner Geliebten die Flucht in die Neue Welt zu ermöglichen. Doch dann passiert
das Schreckliche: der gesamte Tulpenmarkt bricht zusammen ... (Fischer)
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Anna Pavord: "Die Tulpe.
Eine Kulturgeschichte"
Anna Pavords Buch "Die Tulpe" ist eine Liebeserklärung. In sieben
Kapiteln erzählt die Autorin die erstaunliche Geschichte der Tulpe. Zuerst im
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galt sie bald als exquisiteste und teuerste Blume. So konnte eine einzige
Tulpenzwiebel um 1650 den Wert eines Hauses in bester Amsterdamer Stadtlage
erreichen. Die weniger Betuchten mussten sich deshalb mit Tulpengemälden begnügen.
Hundert Jahre später war die Tulpomanie, die große Vermögen geschaffen und
vernichtet hatte, vorerst verflogen. Anna Pavord beschreibt auch anschaulich die
Kultivierung der Tulpe, die vielen Versuche der Züchter, immer neue Arten und
Farben zu erzeugen. Die Geschichte einer der schönsten Blumen der Welt. (Insel)
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