Neil Jordan: "Schatten"
"Ich weiß genau, wann
ich gestorben bin. Es war um zwanzig nach drei am vierzehnten Januar
des Jahres
1950."
Der am 25. Februar 1950 in
Sligo, Irland, geborene Neil Jordan zählt zu den bedeutendsten
Filmemachern und Schriftstellern
seines Landes. Mit "Schatten" versuchte er sich wieder einmal als
Schriftsteller.
Die Schauspielerin Nina Hardy, in den 1920er Jahren aufgrund von
Stummfilmen berühmt
geworden, wird im Garten ihres
Hauses von ihrem Jugendfreund und jetzigen Gärtner George
ermordet. In der
Rolle des Geistes der frisch Verstorbenen beobachtet sie, wie ihre Um-
und
Nachwelt auf ihren Tod reagiert und wie speziell ihr Halbbruder Gregory
und
Janie, die Schwester Georges, die Spuren in ihre gemeinsame
Vergangenheit wieder
aufnehmen.
Da Nina als Geist in allen Zeiten gleichzeitig zu Hause zu sein scheint, erlebt der Leser neben den sich neu entwickelnden Dingen auch die Kindheitserinnerungen Ninas in ihrer jeweiligen kindlichen Wahrnehmung. So sieht man ihr Aufwachsen als privilegiertes Einzelkind bis zum Kennenlernen der Nachbarskinder George und Janie, die wesentlich bescheidener aufwuchsen, sowie das Eintreten des zuvor unbekannten Halbbruders in ihr Leben samt aller emotionalen und sonstigen Verwicklungen, die sich schließlich daraus ergeben. |
Mit großem
Einfühlungsvermögen und sprachlicher
Intensität verwebt Neil Jordan die Schleier der Erinnerung zu
einem schwebenden Gefüge voll subtiler Spannung und elegischer
Reminiszenz. Aus der Geschichte einer Kindheit in der weiten
Flusslandschaft Irlands und dem verstörenden Einbruch der
Erwachsenenwelt setzt sich so Stück für
Stück das Bild einer lebenslangen Freundschaft und Liebe
zusammen, das am Ende auf geheimnisvolle Weise vieles zugleich ist: ein
hintergründiger Kriminalfall, die Tragödie der
verlorenen Unschuld und der wehmütige Abschied von einer
Idylle uneingeschränkter Freiheit und kindlicher Fantasie. |
"Schatten"
bietet eine sehr emotionale Betrachtung der Verknüpfungen
verschiedener Leben im Übergang
vom 19. ins 20. Jahrhundert mit all den dazugehörigen
Wechselfällen, wie sie
besonders in
Irland eine Rolle spielten.
Neil Jordan, der für Filme wie "The Crying
Game" ("Oscar" für das Drehbuch; 1993) und "Michael
Collins"
(für die Regie 1996 bei den Filmfestspielen in Venedig mit dem
"Goldenen
Löwen" ausgezeichnet) irische Geschichte bzw.
Geschichtsschreibung
als Regisseur sehr mitreißend umgesetzt hat und in "Interview
mit dem Vampir" sowie "Mona Lisa" erstaunliche Beziehungsmuster in
den Vordergrund rücken
konnte, hat in seinem Roman in recht poetischer Sprache das Gleiche in
Schriftform
unternommen.
Leider kann er dabei nicht so mitreißen wie auf der Leinwand,
weswegen "Schatten" nicht so sehr wegen seiner poetischen Sprache oder
seiner
komplexen Struktur, sondern wegen seiner zähen
Erzählweise einen guten Ersatz für
verschreibungspflichtige
Einschlafhilfen darstellt.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 09/2008)
Neil
Jordan: "Schatten"
(Originaltitel "Shade")
Übersetzt von Steffen Jakobs.
Berliner Taschenbuch Verlag, 2007. ca. 420 Seiten.
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