Dieter Bachmann: "Die Vorzüge der Halbinsel"

Auf der Suche nach Italien


Im Land der "Olivenbauerndarsteller"
Ein sich Wiederfinden in der Fremde


Italien unser aller Traum: Olivenbäume, Zypressen, Wein und Oleander, immer Sonne, wunderbares Wetter, Kunst, Muße und die Leichtigkeit des Seins.
Doch was der Urlauber genießt, kann für den, der sich dieses Land zum Wohnsitz erkoren hat, alles andere als romantisch sein. Der gebürtige Basler Autor und Herausgeber mehrerer Bücher, Dieter Bachmann, der lange Jahre die Zeitschrift "du" leitete und dem "Istituto Svizzero" in Rom als Direktor vorstand, nahm vor sieben Jahren Wohnsitz in Italien und erlebt es seither von einer ganz anderen Seite.
Vorbei mit dolce vita?

"Für uns, die Dunklen, aus der Gotik Geborenen,
die das Schattenreich bevölkern,
in der Nacht die schweren Lieder singen,
die das Licht als Sensation erschreckt,
als Blick, Richtung und Sehnsucht,
wir, die vom Glanz Geblendeten,
die aus der Dämmerung der schroffen Hügel
giftige Blicke werfen.

Italien!

Die Helle, die Schöne,
das Land,
das Griechenland Arkadien stahl
und uns glauben macht,
das Glück sei lichte Bläue,
trug unsere Sehnsucht dazu bei,
diesem strahlenden Raum Schwärzen zuzufügen.
Und aus dem Zwang, dieses Land zu begreifen,
suchen wir es heim
und belästigen es mit Liebe."


Diese lyrischen, ironischen, aber doch sehr wahren Worte des deutschen Malers und Bildhauers Markus Lüpertz aus der Rede zur Eröffnung der Ausstellung "Ein Arkadien der Moderne? 100 Jahre Villa Romana in Florenz" im neuen Museum Weimar könnten eine treffende Einführung in das Buch von Dieter Bachmann "Die Vorzüge der Halbinsel. Auf der Suche nach Italien" sein.

Italien, ein Land mit eigenem Blutkreislauf
Es gibt wohl kaum jemanden, der nicht gern die Leichtigkeit des Seins in diesem von der Sonne verwöhnten Landstrich atmet, der den vermeintlich lebendigen Geist Europas und gleichzeitig den der Antike spüren möchte: die alten Städte mit ihren vielen Sehenswürdigkeiten, ihrer überwältigenden Kunst und Kultur, den aus ihnen hervorgegangen großen Namen wie 

Leonardo da Vinci, Michelangelo, Raffael oder Verdi - um nur einige zu nennen.
Und dann natürlich das Meer, die traumhaften Landschaften: Harmonie, Lebensfreude und Kultur pur.

Man verfällt sehr leicht dem Charme und der bunten Magie dieses Landes mit den vielen Gesichtern. Bella Italia: so wunderbar, aber gleichzeitig auch so schwierig.
"Lob der Halbinsel! Meer und Festland zugleich, ein Land, und zugleich seine Begrenzung. Land plus Meer, beides reichlich, und manchmal beides nur halb. Man kann, wenn man will, sich als Festländer fühlen. Und wenn dir die andern nicht passen, spielst du Insulaner. Bis du die anderen wieder brauchst. Ein Spiel, ein sehr italienisches Spiel in einem Land, in dem die Geste zählt und nicht immer nur das Ergebnis, das Resultat", so der Autor.

Dieter Bachmann hat Italien kennengelernt, besser und anders, als es ein Tourist je könnte. Ihm begegnete dort das alte Wunderland - und zugleich eine neue Unvertrautheit, manchmal in einer rigorosen Konfrontation. Für ihn ist die Halbinsel ein Körper, in dessen Landbein sich ein eigener Blutkreislauf zu drehen scheint.

Der Autor berichtet in einem äußerst amüsanten, witzigen, unterhaltsamen und mit viel Selbstironie verfassten Buch über Erlebnisse, die die alte Zärtlichkeit für dieses Land bekräftigen, aber auch über den Wunsch, den "Stiefel" einfach abzutrennen und ihn wie ein Floß ins Mittelmeer hinaustreiben zu lassen, weit weg vom Festland und Europa: das Floß der Medusa.

Pointierte und witzige Momentaufnahmen
In manchmal sehr kurzen, dann auch wieder längeren Geschichten und Essays durchmisst er die Gegenden der Halbinsel - von Nord nach Süd und wieder zurück. Mit unbestechlichem Blick liefert er komische, melancholische, liebevolle, aber auch wütende, vor allem jedoch ungeheuer pointierte Momentaufnahmen von diesem einmaligen Landstreifen im Mittelmeer und seiner neugierigen (Bachmann interpretiert dies als gierig auf alles Neue) Bewohner. Er echauffiert sich - aber immer mit einem selbstironischen Blick - über deren Schlamperei, das ewige Chaos, ihre Sondergenehmigungen und Ausnahmeerlässe, kurz: die ganze italienische Gleichgültigkeit. "Man ist ganz unerschütterlich bei sich selbst", so Dieter Bachmann

Wunderbar spielt er mit Worten und Floskeln, den kulturellen Differenzen auf der einen, aber auch der anderen, der nördlich der Alpen gelegenen Seite. Er versucht zu hinterfragen und zu erklären, warum das Miteinander manchmal so schwierig ist. Vielleicht ist es "das Fremde in dir, das, was in deinem Schatten verborgen ist, das, was unter dem dir bekannten Teil deines Wesens ruht, das dir dieses nahe Fremde so schwermacht. Es ist vielleicht etwas von dir selbst, das dir in den anderen so fremd erscheint. Entdecke in deinem Schatten den Teil, der dir bisher verborgen war, und du wirst dich wundern, wie sehr gerade dieser Teil zu deiner neuen Umgebung passt", sagte einmal ein Freund zu ihm. Vielleicht hat er ja Recht?

Auf jeden Fall hat Bachmann einen vorzüglichen "Reiseführer" der ganz besonderen Art geschrieben. Ein Buch, das uns das wirkliche Land zeigt, mit all seinen Schwächen und seiner unprätentiösen Selbstsicherheit - ein großartiger Lektüregenuss.

Fazit:
"Vorzüge der Halbinsel" ist vielfach interpretierbar, aber dahinter steht auf der einen Seite so etwas wie unser aller Italiensehnsucht, die ein Traum ist, der Traum dort zu leben und auf der anderen die Realität, wenn man tatsächlich dort lebt. Bei diesem Zusammenprall von Bachmann hat es Funken geschlagen, und das merkt man deutlich in diesem Buch.
Denn "es ist zweierlei Ding, von einem Land zu schwärmen oder es als Ansässiger alltäglich zu erleben." Aber gerade diese Mischung macht es so interessant.

(Heike Geilen; 06/2008)


Dieter Bachmann: "Die Vorzüge der Halbinsel. Auf der Suche nach Italien"
marebuchverlag, 2008. 254 Seiten.
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