Michael Maier: "Die ersten Tage der Zukunft"

Wie wir mit dem Internet unser Denken verändern und die Welt retten können


World. Wide. Web.
Wie Michael Maier die Welt retten möchte.


Michael Maier, 1958 in Klagenfurt geborener Journalist und IT-Unternehmer, hält sich gar nicht lange damit auf, wie er eine Welt, die sich stetig und unaufhörlich dem Abgrund zubewegt, retten könnte. Nein, er weiß, dass er sie retten wird. Oder besser gesagt, welche Technologie und welches Instrumentarium uns dazu befähigt: das Internet, das als neue Kommunikationsform unser aller Denken nicht nur vernetzt, sondern auch ändert und uns damit in die Lage versetzen würde, unsere Welt und unsere Spezies zu retten. Dass dies ein hehres Ziel ist, steht außer Frage. Selbst Eltern, deren Kinder stunden- und tagelang vor dem Computer sitzen, müssten dies, so der Autor, einsehen. Lasst sie doch spielen und chatten und herunterladen, sie retten doch gerade die Welt.

Die These ist provokant. Und Maier ist optimistisch, laut und einseitig. Mit großem Enthusiasmus und vielen Kenntnissen beschreibt er die neue Welt des Internet mit all seinen (positiven) Erscheinungsformen. Wie sehr das Internet als neues Kommunikations- und Informationssystem unser Tun und Denken, unsere Möglichkeiten und Perspektiven gestaltet, wird ausführlich und informativ beschrieben. Ob E-Mail, IM, Chats, Communities und Groups, Blogs, "YouTube", sie alle haben unser Leben verändert und vermutlich verbessert. Es ist ein Medium, das offen, demokratisch und dynamisch ist. Mit seiner Hilfe können alle sich zu Wort melden, jeder kann alles sein, Künstler, Journalist, Unternehmer. Neue bunte Wirtschaftsformen entwickeln sich: Open-source-Bewegung, "Google", "ebay", "Wikipedia".

Das Internet ist tatsächlich ein faszinierendes Medium, das dynamisch und basisdemokratisch ist. Jeder, der mag und Zugang zum Netz hat, kann sich weltweit vernetzen, seine Meinung kundtun, Kontakte knüpfen und an diversen Meinungsbildungsprozessen, die bisher einer intellektuellen Elite vorbehalten waren, aktiv teilnehmen. Das Internet ist jung, dynamisch, kreativ, bringt neue Kulturformen hervor. Aber ersetzt es auch Inhalte? Ergeben sich Inhalte, und zwar die richtigen, positiven, allein durch ein ständiges Netzwerken mit Feedback und Einbindung aller, allein durch den "Delfincode", wie Maier es nennt, in Analogie zu der Kommunikationsform, dem Echolotsystem von Delfinen? Und hier ist der Punkt, den der Autor geflissentlich übergeht und lediglich mit Wunschdenken begegnet: Alles wird gut, das Netz reguliert sich von selbst. Er scheint vollstes Vertrauen in eine dem Internet immanente Fähigkeit zur Selbstreinigung zu haben, die auch seine dunklen Seiten - als Plattform für Terrorismus und Pornografie etwa - korrigieren soll.

Man kann sich nicht des Eindrucks erwehren, dass Michael Maier durchgehend und systematisch "neue Form" mit "neuem Inhalt" verwechselt. In seinen Argumenten schimmert eine vage Kapitalismuskritik durch, wenn den alten Eliten in Kultur, Wirtschaft und Politik der Untergang und die neue global vernetzte Massenkultur als lichte Zukunft vorhergesagt wird. Beispiel "YouTube". Alle, die willens und fähig sind, ein Video aufzunehmen und einen Internetzugang haben, können auf dieser Plattform publizieren. Steckt reiner Spaß und Freude am Tun dahinter oder gar eine mehr oder weniger hehre Absicht? Für Maier ist jedoch klar, dass jeder damit zur Weiterentwicklung der "kollektiven sozialen Intelligenz" der Menschheit beitragen wird.

Schon von den ersten Seiten seines Buches an ist die Botschaft klar: Das Internet ist mehr als eine Technologie. Mit ihm entsteht eine neue soziale Intelligenz, die ein Überleben der Menschheit gewährleisten kann. Und Kapitel für Kapitel hämmert Maier diese These den Lesern ein: Es geht um die Rettung der Spezies, um das Überleben der Gattung Mensch. Mit dem Internet gibt es ein globales Werkzeug, das eine neue kollektive Intelligenz, ein Superhirn entstehen lässt, das allein imstande ist, alle  Menschheitsprobleme zu lösen und somit die Menschheit vor dem Untergang retten kann. Wie jedoch diese Intelligenz global und kollektiv handlungsfähig werden kann und wie die alten Eliten zum Abdanken überredet werden können, bleibt unklar. Maiers Begeisterung für die Internet-Revolution kümmert sich nicht um die Durchführung.

Den Abschluss seiner Streitschrift bilden zehn Thesen, die seine Theorie kurz und prägnant zusammenfassen und die vielleicht besser als jede Besprechung den Charakter des Buches illustrieren:

"1. In der Krise wächst die Menschheit über sich hinaus.
2. Wir kupfern bei den Delfinen ab.
3. Das Internet wird unser Echolot.
4. Jedes einzelne Gehirn ändert sich.
5. Google, Wikipedia und YouTube beweisen die neue soziale Intelligenz.
6. Wir werden immer besser.
7. Je mehr, desto vernünftiger.
8. Der Mensch ist von Natur aus moralisch.
9. Die Gefahren zu erkennen, heißt sie bannen.
10. Wir erleben ein Happy End."


Amen. Michael Maiers Buch "Die ersten Tage der Zukunft" liest sich wie eine Werbeschrift einer IT-Firma, die für die Lösungskompetenz ihres Produktes wirbt, ohne eine Gebrauchsanweisung für die Durchführung zu geben.
Wer sich eine fundierte Analyse und Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Implikationen des Internet erwartet, der wird enttäuscht sein. Wer aber auf der Suche nach Material für die Plauderei bei der nächsten Abendgesellschaft ist, der ist damit bestens bedient.

(Brigitte Lichtenberger-Fenz; 09/2008)


Michael Maier: "Die ersten Tage der Zukunft.
Wie wir mit dem Internet unser Denken verändern und die Welt retten können"

Pendo Verlag, 2008. 278 Seiten.
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Zwei Buchtipps:

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