Normand Baillargeon: "Crash-Kurs Intellektuelle Selbstverteidigung"
Wie wir die alltägliche Manipulation aus Blenden, Täuschen und Vernebeln durchschauen
Trash statt Crash
"Crash-Kurse" erfreuen sich - so scheint es - einer stetig
steigenden Beliebtheit. Gibt man den Begriff in eine Internet-Suchmaschine ein,
so erhält man Hunderte von Treffern. Kein Wunder, denn der Ausdruck "Crash-Kurs"
erscheint als ein aggressiver, suggestiv wirkender Begriff, bestens geeignet
eben zur Manipulation, vor der Normand Baillargeon seine Leser gerade warnen und
bewahren möchte. Was aber sagt uns der Begriff "Crash-Kurs"
eigentlich wirklich? Im Grunde genommen nichts. Es ist eine leere Worthülse,
die man auf Einfältige und Infantile abschießt, um ihnen auf irgendeinem
Gebiet schnellen Profit in Aussicht zu stellen.
Und auch beim "Crash-Kurs Intellektuelle Selbstverteidigung"
handelt es sich um nichts Anderes, als um einen jener in Mode gekommenen, jedoch
meist völlig nutzlosen, mit leerem Gewäsch angefüllten Ratgeber, die in einer
Sintflut des Schwachsinns den Buchmarkt überschwemmen. Normand Baillargeons
Buch ist von der gleichen Inhaltslosigkeit, die der Autor darin anderweitig
anprangert. Hinter gelehrt klingenden, lateinischen Definitionen wie das "argumentum
ad hominem" oder die "petitio principii" verbergen sich banalste
und allerbanalste Sachverhalte. Beispiel: "Im Krankenhaus steht die Präsenz
von Ärzten in engem Zusammenhang mit der Präsenz von Patienten. Trotzdem sind
die Ärzte nicht die Ursache der Krankheiten." In der Tat eine verblüffende
Erkenntnis! Oder: "Bei meinem letzten Casinogewinn habe ich die rote
Jacke getragen, also werde ich, wenn ich wieder zum Spielen gehe, dieselbe Jacke
anziehen." Baillargeon nennt dies einen "Paralogismus vom Typus
post hoc ergo procter hoc". Ein besonders trügerischer Paralogismus ist
nach Meinung des Autors der "Schluss von der Kollektivbedeutung zur
Distributivbedeutung und umgekehrt", da seine Begründung angeblich "so
unglaublich vernünftig klingt". Und als erstes Beispiel wird dann
angeführt: "Eins und drei sind ungerade Zahlen. Zusammengezählt müssen
sie also wieder eine ungerade Zahl ergeben." Klingt das etwa
unglaublich vernünftig?
Alle diese Beispiele und noch viele andere gleichen Kalibers finden sich im
ersten Teil des Buches, der überschrieben ist mit "Der Werkzeugkasten
des kritischen Denkers", einer Ansammlung von Binsenweisheiten, um
nicht zu sagen ... ausgemachtem Schwachsinn. Dieser "Werkzeugkasten des
kritischen Denkers" ist unterteilt in zwei Fächer; im ersten Fach
befinden sich Werkzeuge, mit denen man Manipulationen durch das Wort auf die
Schliche kommen kann; im zweiten Fach lagern die Werkzeuge, die vor der
Manipulation durch Ziffern und Zahlen schützen sollen. Dieses Arsenal an
Werkzeugen gehört jedoch zur Grundausstattung eines jeden auch nur halbwegs mit
Intelligenz ausstaffierten Hirnkastens. Und diese Werkzeuge sind auch leicht zu
handhaben. Dazu bedarf es nicht dieses Buches.
Der zweite Teil dieses "Crash-Kurses" ist überschrieben mit "Die
Begründung von Überzeugungen" und gliedert sich in drei Unterkapitel.
A: Die persönliche Erfahrung; die Wahrnehmung, Erinnerung sowie Urteilsfindung
beinhaltet. B: Die experimentelle und empirische Wissenschaft. Und C: Die
Medien. Besonders das Kapitel über die Wissenschaft erschien mir sehr
weitschweifend, ermüdend und zäh. Und die Tatsache, dass Manipulation und
Betrug auch in der Wissenschaft immer mehr Fuß fassen, dürfte heute niemanden
mehr verwundern. Überall dort, wo
Macht oder Geld im Spiel sind, wird auch
manipuliert und betrogen. Nicht einmal 50 der insgesamt 384 Seiten befassen sich
mit den Medien, und praktisch gar nichts erfährt man über die Manipulation
durch das relativ junge Medium Internet. Die 50 den Medien gewidmeten Seiten
erschöpfen sich zudem größtenteils in der Anprangerung der von der
US-Administration sowie us-amerikanischer Konzerne lancierten Medienpolitik,
einer mehr oder minder gezielten Desinformation. Überhaupt hat Baillargeons
"Crash-Kurs" bei mir den Eindruck hervorgerufen, als handele es
sich hier um eine verkappte Streitschrift gegen den US-Imperialismus. Der Autor
mag ja mit seiner Einschätzung durchaus richtig liegen, doch bei uns in Europa
oder anderswo auf der Welt ist es sicher auch nicht zum Besten bestellt.
Bleibt also nichts Positives für ein Fazit? Doch. Recht anschaulich und
lehrreich sind zum Beispiel die Ausführungen über das Manipulieren mit Hilfe
von grafischen Darstellungen, obzwar auch das altbekannte und leicht zu
durchschauende Praktiken sind. Interessant und dabei sehr aufschlussreich sind
auch die Enthüllungen im Zusammenhang mit dem "Cold Reading",
wo es um die teils unglaublich ausgebufften Tricks und Methoden von
Geistersehern, Wunderheilern und anderem esoterisch infizierten Gesindel geht.
Das Meiste jedoch, was der Autor seinen Lesern hier auftischt, ist kalter
Kaffee, schal, abgestanden und wieder aufgewärmt. Ich empfehle dem Leser, wenn
er sich denn entscheiden sollte, dieses Buch zu erwerben, die Anleitungen des
Autors konsequent auf dessen eigenes Machwerk anzuwenden, dann wird er immerhin
um eine Erkenntnis reicher sein, die Einsicht nämlich, dass es sich beim Kauf
dieses Buches fraglos um eine Fehlinvestition gehandelt hat.
(Werner Fletcher; 04/2008)
Normand Baillargeon: "Crash-Kurs
Intellektuelle Selbstverteidigung.
Wie wir die alltägliche Manipulation aus Blenden, Täuschen und Vernebeln
durchschauen"
(Originaltitel "A Short Course in Intellectual Self-Defense - Petit cours
d'autodéfense intellectuelle")
Aus dem Französischen von Elisabeth Liebl.
Riemann, 2008. 384 Seiten.
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Normand Baillargeon, geboren 1958, unterrichtet Pädagogik an der Université du Québec in Montreal. Er ist Autor einiger bedeutender Bücher über kritisches Denken und zahlreicher Artikel in Fachzeitschriften.