Joram Harel (Hrsg.): "Der unbekannte Hundertwasser"
Ein wahrer kreativer Alphabet
Das vorliegende Buch erschien anlässlich der
Ausstellung 'Der Unbekannte Hundertwasser' im KunstHausWien (20.11.2008-15.3.2009)
- im Grunde handelt es sich also um den Ausstellungskatalog in allerdings
anspruchsvoller Aufmachung mit 200 Farbabbildungen und Zwischentexten auf Deutsch/Englisch.
Die Ausstellung möchte das Bild, das sich die Kunstwelt von Hundertwasser
gemacht hat, erweitern oder auch korrigieren. Hundertwasser wäre im Dezember
2008 hundert Jahre alt geworden - er hat mit künstlerischen, architektonischen,
ökologischen und sozialen Ideen provoziert. Präsentiert werden hier auch Entwürfe
und Projekte, die entweder unrealisiert blieben oder erst nach seinem Tod
vollendet werden konnten. Im übrigen war Hundertwasser selbst der Gründer vom
KunstHausWien, welches 1991 eröffnet wurde.
Für Hundertwassers Schaffen und Denken waren seine sogenannten 5 Häute
charakteristisch: Haut, Kleidung, Haus, Identität, globales Umfeld. Bekannt ist
sein Einsatz für ein Leben im Einklang mit der Natur und eine
menschengerechtere Architektur. Er stand ebenso für die Begrünung der Dächer
wie für die Wiederherstellung gesellschaftlicher Werte und der natürlichen
Kreisläufe. Er verbreitete seine Botschaft der natürlichen Harmonie und lebte
auch selbst danach. Sein Credo fasste er bei der Eröffnung des Museums so
zusammen:
"Kunst muss wieder einen Sinn bekommen. Sie muss bleibende Werte
schaffen und Mut machen zur
Schönheit in Harmonie mit der
Natur. Kunst muss
wieder die Natur und ihre Gesetze, den Menschen und sein Streben nach wahren und
dauerhaften Werten einbeziehen. Sie muss wieder eine Brücke zwischen der Schöpfung
der Natur und der Kreativität der Menschen sein. Die Kunst muss alle Menschen
ansprechen und darf nicht nur für eine Insider-Gruppe gemacht werden."
Man machte sich bei Hundertwasser Gedanken darüber, wie sich Kunst und
Vermarktung vertragen - gestaltet sich das Frühwerk noch experimentell, neigt
Hundertwasser später zum Populismus. Er setzt die Spirale als weltanschauliches
und bildnerisches Element ein. Der Bildraum erscheint gleichermaßen potenziell
unendlich als auch energetisch verdichtet. Trotz linearer Anlage wirken seine
Bilder flächig, und trotz changierender Brüche bekommen sie einen
kontemplativen Effekt. Hergestellt wird quasi eine Kommunikation mit natürlichen
Kreisläufen. In seinem 'verschimmelungs-manifest gegen den rationalismus in
der architektur' wettert Hundertwasser gegen eine industrialisierte Ästhetik.
Er war eine zentrale Figur in der Avantgarde-Kunst der 1950er-Jahre in vielen
europäischen Ländern. Dabei griff er die Führungsschicht mit seinen
Kunstinstitutionen an und bewerkstelligte eine Kommunikation mit dem breiten
Publikum. Seine Bilder waren immer irgendwie umweltbezogen, und seine Auftritte
hatten häufig "Happeningcharakter".
In einem Brief an Jörg Lampe verwehrte sich Hundertwasser gegen eine zu enge
Zuordnung: "Der, der heute in einer bestimmten Manier, innerhalb eines
bestimmten Ismus arbeitet, ist ein Lügner, zumindest ein Beschränkter, ein
'Spezialist', denn das Weltall, die mannigfaltigen Geschehnisse, die uns tagtäglich
über den Haufen werfen, kennen keinen Ismus; die Gestaltung muss aber den
Geschehnissen ein Gleichnis sein." (29.1.1953). Damit distanziert sich
Hundertwasser nicht nur von einer zu einschränkenden Einordnung, er verrät im
Grunde auch, dass seine Bilder eher innere Abbildungen sind statt realistische
Eindrücke bzw. eher noch eine Art Übersetzung der Eindrücke in chiffrierte
Formen und Farben.
Im vorliegenden Band gibt es zu vielen Bildern Erklärungen von Hundertwasser
selbst, was bei Künstlern eher unüblich ist. Nach eigener Aussage sammelte
Hundertwasser mehr negative als positive Kritiken - selbstironisch bezeichnet er
sich als "Maler der heilen Welt". Bereits 1956 hat er einmal in
Paris geäußert: "Unser wahres Analphabetentum ist das Unvermögen,
kreativ schöpferisch tätig zu sein." Insofern ist Hundertwasser wohl
ein wahrer kreativer Alphabet. In gewisser Weise ein symbolisches Glanzlicht ist
die Gestaltung der öffentlichen Toilette in Kawakawa auf der Nordinsel von
Neuseeland, wo Hundertwasser in den späten 1990er-Jahren lebte. Als Gegenpol
quasi hat er aber auch einen Riesenkomplex für ein 5-Sterne-Hotel auf Teneriffa
entworfen. Hundertwasser bekämpfte das Mittelmaß, das Nivellierende, das
Menschenverachtende in der Architektur - wobei er sich selbst nie als Architekt
bezeichnete.
Kann man sich vorstellen, dass dieser Mann auch Kleidung, Schmuck und Uhren
entwarf, am Außendesign für die "Boeing Condor" arbeitete -
Blumenvasen, Segelboote, Bucheinbände, Kirchenfenster, Briefmarken - seine
Kreativität fand in vielen Bereichen Ansatzpunkte. Dass er als Halbjude auch in
der Hitlerjude war, erfährt man übrigens in einem autobiografischen Anhang.
Ein wirklich beeindruckendes Buch, welches nahelegt, den Weg nach Wien ins
KunstHaus zu unternehmen, noch dazu, wo sich das Hundertwasserhaus in der
Kegelgasse keinen halben Kilometer entfernt befindet.
(KS; 12/2008)
Joram Harel (Hrsg.): "Der unbekannte
Hundertwasser"
Prestel Verlag, 2008. 320 Seiten,
200 farbige Abbildungen.
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