Franz Hohler: "Das Ende eines ganz normalen Tages"
Erzählungen
"Seine
Fantasie bleibt
immer in der Wirklichkeit geerdet. Seine Fantasien sind nie
Fluchtmittel, im
Gegenteil, sie helfen uns, mit dem Wirklichen freier umzugehen."
(Urs
Widmer in seiner Laudatio für Franz Hohler,
"Aargauer Kulturpreis"
2002)
Geschichten aus dem Alltag
Franz Hohler, bekannter Schweizer Schriftsteller und Kabarettist,
erzählt in
diesem Buch Kurz- und Kürzestgeschichten über
Ereignisse des Alltags. Dabei
liegt die Betonung auf "Alltag" und nicht auf "Ereignis", da
es oft die kleinen Dinge des Lebens sind, auf denen der Fokus liegt.
Autor
Hohler versteht es, alltägliche Beobachtungen und eigene
Erlebnisse pointiert
darzustellen, so dass für die Leser eindeutige Botschaften
erkennbar werden.
Die Ausführungen sind kurz gehalten und leicht
verständlich.
In mehreren Erzählungen beschäftigt sich Franz Hohler
mit dem Alter.
Auffallend, dass der Protagonist dieser Geschichten meist er selbst
ist. So
verzweifelt er in "Ich werde alt" an den Tücken eines
Fahrkartenautomaten und in "Ich werde noch älter" an der
Schalteranordnung in einem Hotelzimmer. Es wäre aber fatal,
ihn auf dieses
Thema zu reduzieren oder ihm Melancholie vorzuwerfen. Die Geschichten
sind
humorvoll und haben nur in der Bewertung des Autors etwas mit dem Alter
zu tun.
Mit Bonuspunkt- und Rabattaktionen in unserer Geschäftswelt
setzt sich der
Autor in der Satire "Gutscheine" auseinander. Profitieren die Kunden
tatsächlich davon? Ja, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt mit
den richtigen
Gutscheinen im richtigen Geschäft einkaufen. Das gleiche Thema
behandelt der
Autor auch gesellschaftskritisch in der Geschichte
"Profitierungsangebot". Hier geht es um die vergeblichen Versuche
einer älteren ausländischen Frau, ihre Gutscheine
einzulösen.
Ist es denkbar, dass Menschen zweckgerichtete Handlungen vornehmen,
ohne dass
der Zweck zum Zeitpunkt der Handlung erkennbar ist? Einen solch
teleologischen
Ansatz vertritt der Autor in "Der Vater meiner Mutter". Der
Großvater
erwirbt ein Cello, mit dem er aus physischen Gründen nicht
umgehen kann. Erst
der Enkel verwirklicht die Träume des Großvaters und
erlernt den Umgang mit
diesem Instrument. Er wird ein begeisterter Cellospieler, als ob das
Instrument
für ihn beschafft worden wäre.
Franz Hohler schreckt auch vor politisch brisanten Themen nicht
zurück. Er
berichtet in "Im gelobten Land" über eine Reise nach Nahost
und äußert
sich
zur Situation der Palästinenser. Kritisch ist auch sein
Resümee aus
"Sonntagsspaziergang", wo er dem eigenen Volk mangelnde
Hilfsbereitschaft unterstellt. Ganz anders dagegen sind seine
Reiseberichte
"Mit Katharina in Indien" und "Eine mongolische Hochzeit".
Hier werden den Lesern fremde Kulturen auf humorvolle Weise
nahegebracht.
Der Mensch hat, evolutionär bedingt, nur eine emotionale
Bindung zu Menschen
aus seinem näheren Umfeld bzw. zu Ereignissen, die ihn
unmittelbar betreffen.
Dies ist die Quintessenz aus "12.30 Uhr", in der eine Alltagssituation
in Beziehung gesetzt wird zu Katastrophenmeldungen aus der weiten Welt.
Diese
Ereignisse werden mangels Empathie im Alltag nicht wirklich
wahrgenommen.
Vielleicht ist der Mensch überfüttert mit negativen
Meldungen, und es sollte
auch einmal über positive Ereignisse aus dem lokalen Umfeld
berichtet werden,
wie in "Die Nachricht vom Kellner" reklamiert.
In "Wildnis" singt Franz Hohler ein Hohelied auf die Kraft der Natur.
Man glaubt ihm, dass Asseln länger als Autobahnen und
Schöllkraut länger als
Schallschutzmauern existieren werden. Seine Naturverehrung wird noch
gesteigert
durch die poetischen Beschreibungen in "Es wird regnen". Hier ist von
Wolken die Rede, die Purzelbäume schlagen und von Thymian, der
sich am Boden
festkrallt.
Fazit:
Franz Hohler schreibt Satiren, liefert humorvolle Unterhaltung,
äußert sich zu
politischen Themen, übt Gesellschaftskritik und bringt den
Lesern fremde
Kulturen nahe. Angereichert wird diese Themenvielfalt durch Poesie und
naturverbundene Geschichten. Seine Erzählungen sind nicht
grotesk, wie die
Kurzgeschichten von
Etgar
Keret, sondern eher humorvoll und besinnlich. Er bewegt sich
mit seinen Erzählungen
in der Wirklichkeit. Das Buch lebt nicht von der einzelnen Geschichte,
sondern
von der Vielfalt der Themen. Franz Hohler ist zweifelsohne ein
vielseitiger
Autor.
(Klemens Taplan; 09/2008)
Franz
Hohler: "Das Ende eines ganz normalen Tages"
Luchterhand Literaturverlag, 2008. 112 Seiten.
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Hörbuch:
Gekürzte Lesung, gesprochen von Franz Hohler.
Random House Audio, 2008. 2 CDs; Spieldauer ca. 140 Minuten.
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