Philipp von Boeselager: "Wir wollten Hitler töten"

Ein letzter Zeuge des 20. Juli erinnert sich


Sachliche Autobiografie eines Helden des Widerstandes

Philipp von Boeselager, 1917 geboren, steht für eine typische Adelsfamilie aus dem Rheinland. Er und seine Geschwister wurden katholisch, zugleich aber auch relativ liberal und in einem nationalen Geist erzogen, der nur wenig mit den Ideen des Nationalsozialismus gemein hatte.

Als fast letzter Überlebender aus dem Kreis der am Anschlag vom 20. Juli 1944 Beteiligten hat von Boeselager kurz vor seinem Tod seine Erinnerungen herausgegeben. Er beschreibt seine Kindheit und Jugend, die Schulzeit in einem jesuitischen Internat und den für seine Gesellschaftsschicht nicht ungewöhnlichen Werdegang als Berufssoldat: Von Boeselager möchte seinem Vaterland dienen, ebenso sein zwei Jahre älterer Bruder Georg.

Der Autor berichtet von den ersten Jahren unter dem Nationalsozialismus, vom Kriegsbeginn und der allmählich keimenden Einsicht, dass Hitler getötet werden müsse. Zum aktiven Widerstand treiben ihn die Massenerschießungen in der Sowjetunion. Da er und sein Bruder Georg inzwischen in der Wehrmacht aufgrund ihres Mutes und ihrer militärischen Fähigkeiten Karriere gemacht haben, kommen sie auch in Kontakt mit der Widerstandsgruppe um den General Tresckow, die schließlich das Attentat vom 20. Juli 1944 plante - und zwei weitere gescheiterte Versuche zuvor. Von Boeselager schildert in diesem Zusammenhang auch die Wege anderer prominenter Verschwörer zum Widerstand sowie die Gewissensbisse, die lange dem "Tyrannenmord" im Wege standen, ebenso jedoch die praktischen Hindernisse, die erste Mordversuche vereiteln, insbesondere, weil Rudolf Heß bei zwei Gelegenheiten kurzfristig absagt (den Verschwörern ist es aus nahe liegenden Gründen wichtig, sämtliche bedeutende Persönlichkeiten der Nazi-Führungsriege auszuschalten) und es einmal zu technischem Versagen kommt.

Es ist von Boeselager, der den Sprengstoff für die bei den Attentatsversuchen eingesetzten Sprengsätze bereitstellt. Detailliert erzählt er davon, wie er sich um den 20. Juli, fernab von Stauffenberg, dem Plan entsprechend verhält, vom Scheitern erfährt und fortan um sein Leben fürchtet. Der Leser erfährt zudem, wie die prominenten Verschwörer ums Leben kamen. Philipp von Boeselager verliert auch seinen Bruder Georg, allerdings im regulären Kriegsgeschehen. Den Abschluss des Buchs bildet das Kriegsende, wie er es erlebt hat.

Es gibt viele Bücher über den Widerstand im Nationalsozialismus, zum Teil vielleicht, um zu beweisen, dass es auch "die anderen Deutschen" gab, was durchaus der Fall war, zum Teil, weil dieser Aspekt selbstverständlich ebenso zur Geschichte des Dritten Reichs gehört wie die unter den Nazis verübten Gräuel.

Selten jedoch wird zugleich so sachlich und so menschlich von den Ereignissen um den 20. Juli 1944 berichtet wie im vorliegenden Buch. Es ist subjektiv und objektiv in einem, verknüpft individuelle Schicksale mit dem großen Ziel, Deutschland und die Welt von der Tyrannei Hitlers zu befreien.

Während der Lektüre verblüfft nicht nur die detaillierte Erinnerungsfähigkeit des Autors, der ja nicht nur das Attentat und seine Vorgeschichte, sondern im Grunde auch den gesamten Zweiten Weltkrieg vor des Lesers Augen Revue passieren lässt, sondern auch von Boeselagers Fähigkeit, kausale Zusammenhänge mit wenigen Sätzen herzustellen. Wer sich je gefragt hat, warum das Attentat fehlschlug und vorhergehende Pläne erst gar nicht umgesetzt wurden, wird hier kurz und schlüssig aufgeklärt von dem Mann, der aufgrund seiner Stellung in der Wehrmacht problemlos Sprengstoff besorgen und zur Verfügung stellen konnte.

Gerafft, aber nie zu straff und trocken erzählt und erläutert von Boeselager, wie sein Bruder und er von überzeugten Soldaten des Reichs zu potenziellen Tyrannenmördern wurden - und vieles Wissenswerte über den Krieg und die eigene Biografie. Obwohl sich der Autor jeglicher Sentimentalität enthält, gelingt es ihm, den Schmerz um persönliche Verluste offenzulegen, deren schlimmster der Tod des innig geliebten Bruders ist. Bemerkenswert erscheint zudem von Boeselagers Fähigkeit, sachlich die eigenen Tätigkeiten und Verdienste zu schildern, ohne sie, was durchaus berechtigt gewesen wäre, in den Mittelpunkt zu rücken: In diesem Buch spricht eine souveräne Persönlichkeit, bescheiden und unbestechlich.

Wer sich für den Nationalsozialismus und insbesondere den Widerstand interessiert, kommt an diesem Buch nicht vorbei. Einerseits enthält es eine aufgrund der Perspektive einzigartige Wegbeschreibung hin zur Mordabsicht, andererseits repräsentiert es die Schicksale von Millionen Soldaten - und darüber hinaus ist es in einem angenehmen, schlichten und gerade deshalb stark anrührenden Stil geschrieben.

(Regina Károlyi; 07/2008)


Philipp von Boeselager mit Florence und Jérôme Fehrenbach:
"Wir wollten Hitler töten. Ein letzter Zeuge des 20. Juli erinnert sich"

(Originaltitel "Nous voulions tuer Hitler. Le dernier survivant du complot du 20 juillet 1944")
Aus dem Französischen von Reinhard Tiffert.
Mit einem Nachwort von Peter Hoffmann.
Gebundene Ausgabe:
Hanser, 2008. 191 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen
Taschenbuchausgabe:
dtv, 2011. 192 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen

Baron Philipp Freiherr von Boeselager, 1917 geboren, gestorben im Mai 2008, war einer der letzten noch lebenden Verschwörer des 20. Juli. Nach dem Krieg verwaltete er die familieneigene Land- und Forstwirtschaft. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Ehrenmitgliedschaften.

Weitere Buchtipps:

Stephan Malinowski: "Vom König zum Führer. Deutscher Adel und Nationalsozialismus"

Die erste umfassende und hoch gelobte Analyse des Niedergangs der jahrhundertealten Herrschaftselite des deutschen Adels. Die Selbstzerstörung adliger Traditionen und Werte, die im Kaiserreich mit der Annäherung an rechtsradikale Bewegungen beginnt, kulminiert in der widersprüchlichen Mitwirkung in der NS-Bewegung. (Fischer)
Buch bei amazon.de bestellen

Brigitte Hamann: "Hitlers Edeljude. Das Leben des Armenarztes Eduard Bloch"
Die Wiener Historikerin und Erfolgsautorin erzählt die unglaubliche Lebensgeschichte des Linzer Armenarztes Eduard Bloch, der als "Edeljude" unter dem besonderen Schutz des "Führers" stand.
Dr. Eduard Bloch (1872-1945) war in Linz Hausarzt von Hitlers Mutter Klara. Aufopfernd begleitete er 1907 ihr Sterben. Damals entwickelte sich eine herzliche Beziehung zwischen dem frommen Juden und dem 18-jährigen Adolf Hitler. Als der "Führer" 1938 in Linz einzog, erwähnte er mehrfach lobend den "Edeljuden Dr. Bloch". Er sorgte dafür, dass Bloch von der Linzer Gestapo "geschützt" wurde und 1940 mit seiner Frau in die USA emigrieren konnte. Doch Amerika wurde ihnen nicht mehr zur Heimat. Brigitte Hamann erzählt aus vielen privaten Quellen von Bloch und dessen großer Familie, von einem Leben in politisch wirren Zeiten. In "Hitlers Wien" hat sie die Ursprünge von Hitlers Antisemitismus erklärt. Hier widerlegt sie auch die absurde These, der jüdische Arzt Dr. Bloch sei einer der Auslöser dafür gewesen. (Piper)
Buch bei amazon.de bestellen

Peter Broucek (Hrsg.): "Ein österreichischer General gegen Hitler. FML Alfred Jansa - Erinnerungen"
Alfred Jansa schildert sein Leben als Generalstabsoffizier bei österreichischen, deutschen und bulgarischen Armeekommanden im Ersten Weltkrieg und im Bundesheer der Republik Österreich, sowie als Militärdiplomat in Berlin, schließlich als militärischer Mitarbeiter des österreichischen Bundeskanzlers Kurt Schuschnigg. Er war mit seiner Familie im Zweiten Weltkrieg in Erfurt interniert und brachte 1946 seine politisch und militärisch aufschlussreichen Erlebnisse mit österreichischen Staatsmännern zu Papier. Auch die Auseinandersetzung mit dem deutschen Generalfeldmarschall im Verlauf des Zweiten Weltkrieges Erich v. Manstein, der in seinen Memoiren einem nicht im Amt befindlichen österreichischen Chef des Generalstabes der Bewaffneten Macht im März 1938 Fahnenflucht vorwarf, wird dokumentiert und kommentiert. (Böhlau Wien)
Buch bei amazon.de bestellen

Kathrin Kompisch: "Täterinnen. Frauen im Nationalsozialismus"
Lange Zeit wurde die Rolle von Frauen im "Dritten Reich" meist auf die von Opfern reduziert. Die Täterinnen-Ebene blendeten Forschung und Öffentlichkeit gerne aus. Allzu schnell war vergessen: Frauen waren Angehörige der SS gewesen, hatten Konzentrationslager bewacht und weibliche Häftlinge brutal misshandelt, als Ärztinnen und Krankenschwestern bei Menschenversuchen und "Euthanasie"-Aktionen assistiert oder als Fürsorgerinnen die nach NS-Ideologie "Minderwertigen" zur Zwangssterilisation vorgeschlagen. Den wenigen Frauen, die wegen ihrer Beteiligung an den menschenverachtenden Taten des NS-Regimes verfolgt und verurteilt wurden, wurde eine besonders grausame und eher unweibliche Natur nachgesagt. Mit dieser Dämonisierung machte man nicht nur die Auseinandersetzung mit ihren Taten und Motiven überflüssig, sondern schuf zudem eine Distanz zur Mehrheit der "normalen" Frauen. Daher ist noch heute das populäre Bild des "Dritten Reiches" durch die männlichen Nazi-Größen und -Mitläufer geprägt. Einen Eindruck des breiten Spektrums weiblicher Täterschaft vermittelt nun dieses Buch von Kathrin Kompisch. Angefangen von den KZ-Aufseherinnen über Frauen in Polizei und Justiz, im Kriegseinsatz, im Sozial- und Gesundheitswesen bis zu den am Holocaust beteiligten Schreibtischtäterinnen beschreibt und analysiert die Autorin, welche Rolle das "schwache Geschlecht" während des "Dritten Reiches" spielte. Als Schlaglichter gesetzte Kurzbiografien einzelner Täterinnen verleihen dabei dem Phänomen auf eindringliche Weise ein konkretes Gesicht. (Böhlau Köln)
Buch bei amazon.de bestellen

Silke Kettelhake: "'Erzähl allen, allen von mir!' Das schöne kurze Leben der Libertas Schulze-Boysen 1913-1942"
Was bewegt eine junge Frau aus besten Kreisen, die sich zunächst von den machtvollen Botschaften des Hitler-Regimes mitreißen lässt und dann den Weg in den Widerstand findet? Welche inneren Hürden überwindet sie, um trotz größter Gefahr zur Rettung Deutschlands aufzurufen? Libertas Schulze-Boysen - eine lebenshungrige, faszinierende Frau in einer unheilvollen Zeit.
Am 22. Dezember 1942 endete im Gefängnis Plötzensee das schöne kurze Leben der Libertas Schulze-Boysen. Zusammen mit ihrem Mann, dem Luftwaffenoffizier Harro Schulze-Boysen, wurde sie als Mitglied der Widerstandsgruppe "Rote Kapelle" von der Gestapo hingerichtet. Unbändige Begeisterungsfähigkeit und Freiheitsdrang kennzeichneten Libertas schon als junges Mädchen; sie liebte ihren Mann und flüchtete sich doch in zahlreiche Affären. In ihrem Aufbegehren gegen den Kriegswahnsinn durchlitt sie eine Gratwanderung zwischen Mut und Angst. Was Libertas von der Mehrheit der Deutschen in jener Zeit unterschied, war Zivilcourage. "Kurz und schön" hatte sie sich als 15-Jährige ihr Leben ausgemalt. Auf grausame Art ist dieser Wunsch in Erfüllung gegangen. (Droemer)
Buch bei amazon.de bestellen

Ian Kershaw: "Wendepunkte. Schlüsselentscheidungen im Zweiten Weltkrieg"
Der Beginn des Zweiten Weltkriegs stellte die Regierungschefs der Welt vor lebenswichtige Entscheidungen. In London, Berlin, Washington, Rom, Moskau und Tokio mussten Politiker und Generäle weitreichende Beschlüsse fassen. Ian Kershaw nimmt zehn Entscheidungen, die für den Verlauf des Zweiten Weltkriegs von zentraler Bedeutung waren, unter die Lupe und macht deutlich, dass in diesem Kampf nichts vorherbestimmt war.
Die Ereignisse, die den Beginn des Zweiten Weltkriegs markierten, versetzten weite Teile der Welt in eine Art Schockzustand. Plötzlich schien es keine Regeln mehr zu geben. Die Aggressoren kannten für ihr Tun keine Grenzen, für ihre Opfer aber zogen dunkle Zeiten herauf. Im Strudel dieser Ereignisse sah sich eine kleine Gruppe von Politikern mit zentralen Entscheidungen konfrontiert, die in dieser Auseinandersetzung Triumph oder Untergang bedeuten konnten.
In seinem Buch "Wendepunkte" vermittelt der Historiker Ian Kershaw dem Leser einen einzigartigen Eindruck davon, wie groß der Entscheidungsspielraum der einzelnen Politiker tatsächlich war und welche Rolle ihre ganz individuelle Persönlichkeit spielte: Warum entschloss sich Churchill, nach der französischen Kapitulation weiterzukämpfen? Warum vertraute Stalin darauf, dass Hitler die UdSSR nicht überfallen würde? Und warum griffen die Japaner Pearl Harbor an? Diese und weitere Entscheidungen veränderten den Lauf der Welt.
Die zehn wichtigsten Entscheidungen des Zweiten Weltkriegs und die Männer, die sie trafen. (DVA) zur Rezension ...
Buch bei amazon.de bestellen

Gerhard Schreiber: "Kurze Geschichte des Zweiten Weltkriegs"
58 Staaten nahmen an diesem Weltkrieg teil, etwa 110 Millionen Soldaten standen von 1939 bis 1945 unter Waffen. Mehr als 60 Millionen Menschen starben, davon allein in der ehemaligen Sowjetunion 25 Millionen. Viele Millionen Menschen in Europa und Asien verloren durch Flucht und Vertreibung ihre Heimat. Auch der Holocaust, die Ermordung der europäischen Juden, ist ohne die Geschehnisse des Zweiten Weltkriegs nicht vorstellbar.
Gerhard Schreiber, einer der besten Kenner des Zweiten Weltkriegs, gibt in seinem Buch einen konzisen Überblick über die Vorgeschichte und die Ursachen, den Verlauf und die Wirkungen des Zweiten Weltkriegs. Neben den politischen Maßnahmen und militärischen Operationen kommen darin auch eingehend der Vernichtungskrieg gegen Juden, Sinti und Roma sowie die Kriegsverbrechen in Europa und Asien zur Sprache. Vor allem dank seiner nicht nur europäischen, sondern konsequent globalen Perspektive ist das Buch eine ideale Einführung für jeden historisch interessierten Leser.
Mit einer Chronik des Zweiten Weltkriegs. (C.H. Beck)
Buch bei amazon.de bestellen