Wolf Singer, Matthieu Ricard: "Hirnforschung und Meditation"

Ein Dialog


Wolf Singer ist einer der weltweit führenden Hirnforscher. Matthieu Ricard war Molekularbiologe, wurde dann buddhistischer Mönch - und Erfolgsautor. Für dieses Buch treten beide in einen Dialog über die Beziehung zwischen Hirnforschung und Bewusstseinstraining.

Vor einigen Jahren wurden unter der Ägide des Dalai Lama die Frage untersucht, was sich in den Gehirnen von geübten Meditierern durch die und während der Meditation verändert. Die Ergebnisse dieser Studie hat einige erstaunliche Tatsachen aufgezeigt und gleichzeitig eine Menge neue Fragen aufgeworfen, die Folgestudien bedingten, wie sie zum Beispiel vom Leiter des Max Plack-Instituts in Frankfurt am Main, Wolf Singer, durchgeführt und betreut werden. Einer der Meditierer, der solcherart untersucht wurde, ist der ehemalige Mikrobiologe Matthieu Ricard, der seit Jahrzehnten als buddhistischer Mönch in Katmandu lebt.

In diesem kleinen Bändchen bringt der "reine" Naturwissenschaftler seine Art der Fragestellung dem ehemaligen Kollegen und jetzigen Vertreter der anderen Art zu lernen entgegen, und so entsteht ein Gespräch, als dessen Zeugen der Leser eine Vorstellung davon bekommen kann, was Neurobiologen eigentlich den ganzen Tag tun und inwiefern dies nutzbare Erkenntnisse zum menschlichen Denken und Handeln erbringt.

Schnell fällt dabei eine interessante Diskrepanz auf. Die "Geisteswissenschaft" des Buddhismus - und vieler anderer meditativ arbeitender Denklehren - ist um einen bedeutenden Faktor älter als die modernen Wissenschaften, und viele Erkenntnisse der Neurologie und Psychologie der letzten Jahrzehnte sind - wie zuvor schon in der Physik und der Quantenmechanik - durchaus in anders formulierter Form in Traditionstexten dieser Denk- und Forschungsformen wiederzufinden. Und so ist der meditierende Ex-Naturwissenschaftler keineswegs durch die neuesten Überlegungen und Fragen seines Gegenübers zu irritieren; Fragen, die dieser übrigens mit einer erstaunlichen Bescheidenheit vorträgt.

Diese Art des Dialoges hat natürlich didaktischen Wert, denn durch Wolf Singers Fragen - und auch durch die eher wenigen, aber sehr pointierten Fragen Matthieu Ricards - wird der Leser zusehends in diese doch sehr komplexe Thematik eingeführt. Und auch grundlegende Fragen, wie "Ist der Mensch von Natur aus gut oder schlecht?", werden dabei kurz noch einmal angerissen.

Das Buch bietet ein erstaunlich breites thematisches Spektrum auf vergleichsweise wenigen Seiten und muss dabei notwendigerweise einige Thesen eher nur andiskutiert im Raum stehen lassen (z.B. dass Altruismus im buddhistischen Sinne eine intelligente Form des Egoismus darstellt, da altruistisches Handeln im Handelnden positive Wirkungen hervorruft, ein Aspekt, über den De Sade bereits Einiges zu sagen hatte), was aber folgerichtig ist, denn die Forschungen sind bei Weitem noch nicht abgeschlossen, und entsprechend wird der Dialog zu diesen Themen noch lange weitergehen.
"Hirnforschung und Meditation" gibt Neueinsteigern eine gute Möglichkeit, an dieser Diskussion teilzunehmen.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 07/2008)


Wolf Singer, Matthieu Ricard: "Hirnforschung und Meditation. Ein Dialog"
Übersetzt von Susanne Warmuth und Wolf Singer.
Suhrkamp edition unseld, 2008. 134 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen

Weitere Buchtipps:

Andreas Sentker, Frank Wigger (Hrsg.): "Schaltstelle Gehirn. Denken, Erkennen, Handeln"

Werden wir das Gehirn je verstehen? Wissen wir, was wir denken? Können wir unser Fühlen, Wollen und Handeln erklären, indem wir die chemischen und elektrischen Prozesse in den Nervenzellen aufzeichnen und analysieren? Dieser Band der "ZEIT WISSEN Edition" liefert einen schillernden Statusbericht von der neuro- und kognitionswissenschaftlichen Forschung. In den zahlreichen Beiträgen zeigen Psychologen, Hirnforscher und Biologen auf, was wir heute über die zentrale Schaltstelle Gehirn und ihre Aufgaben wissen - und welche Rolle sie für unser soziales Miteinander spielt. Wie gewohnt, ordnen Autoren von "ZEIT" und "ZEIT WISSEN" die wissenschaftlichen Positionen in das Gesamtbild ein. Dieser Band beschließt die sechsteilige Edition, die spannende Entdeckungsreisen in die Welt der Forschung ermöglicht und Wissenschaft lebendig und erlebbar macht. (Spektrum Akademischer Verlag)
Buch bei amazon.de bestellen

Christine Zunke: "Kritik der Hirnforschung. Neurophysiologie und Willensfreiheit"
Da das Gehirn naturkausal determiniert ist, ist der Mensch in seinen Handlungen nicht frei. Das ist der populärste und umstrittenste Schluss der modernen Hirnforschung. Mit naturwissenschaftlichen Methoden soll so eine philosophische Grundfrage beantwortet sein. Das vorliegende Buch zeigt mit klaren Argumenten, dass die Prämisse vom naturkausal bestimmten Gehirn zwar richtig, aber der Schluss auf die menschliche Unfreiheit unzulässig ist.
Christine Zunke lässt die Argumente von Hirnforschern an deren inneren Widersprüchen scheitern. Mit großer Sachkenntnis auf dem Gebiet der Neurophysiologie und auf einem soliden philosophischen Fundament, das sich vor allem auf Kant und Hegel stützt, wird die Ursache dieser Widersprüche deutlich: Jede Erkenntnis hat die Freiheit zur notwendigen Bedingung; ein Denken, das seine Freiheit leugnen will, entzieht sich darum sein eigenes Fundament.
Hierbei wird der ideologische und gesellschaftspolitische Gehalt der modernen Hirnforschung sichtbar gemacht. Indem die Hirnforschung empirische Phänomene menschlicher Unfreiheit naturalisiert, produziert sie Blindheit angesichts der wahren Ursachen von Unfreiheit und Unterdrückung. Mit dieser Kritik entwickelt die Autorin zugleich eine klare Darstellung des Verhältnisses zwischen menschlicher Natur und Freiheit. (Akademie Verlag)
Buch bei amazon.de bestellen

Dalai Lama: "Tantra-Yoga. Der Königsweg der buddhistischen Meditation"
Tantra-Yoga (oder Guru-Yoga) ist eine zentrale Meditationspraxis des Buddhismus, dessen komplexe, tiefgründige Techniken auch noch die verborgensten inneren Kräfte aktiviert.
Tantrische Meditation verleiht dem Übenden ganz besondere Vitalität, die Kraft, auch schwierigste Hindernisse zu überwinden, bis hin zu der Fähigkeit, das Nirvana oder die Erleuchtung zu erlangen.
Die verschiedenen Stufen dieser Meditation von der Initiation über die Hauptaspekte des gewöhnlichen Weges bis hin zur Stufe der Erfüllung erläutert und vertieft der Dalai Lama anhand eines klassischen Textes von Panchen Losang Ckökyi Gyaltsen (17. Jh.). Schritt für Schritt - angefangen von den verschiedensten Vorbereitungsübungen, über die Sitzhaltung, die Darbringung bestimmter Opfergaben bis hin zu Visualisierungen im fortgeschrittenen Stadium - begleitet der Dalai Lama auf inspirierende Weise den Meditierenden auf seinem Weg und zeigt ihm, wie er die dabei gewonnenen tiefen Erkenntnisse in eine weise Lebenspraxis umsetzen kann, die das eigene und das Wohlergehen der Anderen steigert. (O.W. Barth)
Buch bei amazon.de bestellen