Urszula Bonter: "Das Romanwerk von Paul Heyse"


Über die Romane eines fast vergessenen Nobelpreisträgers

Er galt einst als der legitime Nachfolger Goethes, als der Dichterfürst Paul Heyse, ihm wurde als erstem deutschen Dichter der Nobelpreis für Literatur zugesprochen. Aber wer kennt diesen Autor und sein umfangreiches Werk heute noch? Kaum jemand. In München, wo er lange Zeit gelebt hat, erinnert noch eine Straße an ihn. Für die meisten modernen Leser jedoch wird Paul Heyse wohl ein nahezu unbeschriebenes Blatt sein.

Urszula Bonter hat nun den lobenswerten Versuch unternommen, dieses unbeschriebene Blatt mit informellem Gehalt zu füllen. Dabei hat sie sich speziell Heyses Romanwerks angenommen, einem Gebiet, das von der literarischen Forschung bislang besonders vernachlässigt wurde. Obwohl es gerade seine Romane waren, die Heyse den größten kommerziellen Erfolg bescherten.

Urszula Bonters vorliegende Publikation zum Romanwerk Paul Heyses ist nun nicht unbedingt dazu angetan, das Interesse an diesen vergessenen Romanen neu zu beleben. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Autorin die Romane selbst kaum für wert erachtet, neu gelesen zu werden. Dies jedenfalls kam als unterschwellige Botschaft beim Rezensenten an, obwohl Frau Bonter dies natürlich nicht explizit behauptet. Doch in ihren Betrachtungen zu Paul Heyses Romanwerk herrscht nach meinem Empfinden eine kühl-nüchterne Distanz vor, es scheint mir eine emotionale Bindung zum Gegenstand ihrer literaturwissenschaftlichen Untersuchungen zu fehlen. Kein Funke des Interesses - von Begeisterung ganz zu schweigen - der auf den Leser überspringen könnte, nur ein dumpfes Glosen unter der Asche des Vergessens, was exakt dem Bild entspricht, das Paul Heyse in der Ahnengalerie der Nobelpreisträger einnimmt. Das ist aber nicht als ein Mangel in Urszula Bonters Darstellung zu sehen, ihre strikte Objektivität wahrende Zurückhaltung ist im Gegenteil eher als eine Stärke ihrer Untersuchung zu werten. Und als unvoreingenommener Leser fragt man sich sogar, was die Damen und Herren vom Nobelpreiskomitee damals wohl dazu bewogen haben mag, ausgerechnet Paul Heyse den Literaturnobelpreis zu verleihen.

Urszula Bonter weist in ihrer Untersuchung immer wieder auf die Kluft hin, die sich zwischen Heyses erster und zweiter Romanschaffensphase auftut. "Der progressiv-unangepasste und engagierte Schriftsteller aus den 1870er Jahren mutierte zu einem harmlosen Trivialautor des beginnenden 20. Jahrhunderts." Heyse versandete schließlich dermaßen in den Untiefen des Trivialen, dass die Kritiker ihn geradezu mit Lachsalven überschütteten. Die zeitgenössische Heyse-Rezeption, ob nun durch die Presse, durch Schriftstellerkollegen oder durch seine Leser, nimmt breiten Raum in Urszula Bonters Abhandlung ein. Viele der damaligen Kritiker und Rezensenten werden hier zitiert, Rezensenten, bei denen auch die ersten vier Romane Heyses, die allgemein als Werke von literarisch höherer Qualität eingestuft werden, nicht immer ungeteilte Zustimmung fanden.

Ein wenig zu kurz kommt in Urszula Bonters Buch die Persönlichkeit des Dichters Paul Heyse, wir erfahren nur sehr wenig über den Menschen Paul Heyse, den man ja auch in Verbindung mit seinen Werken sehen muss. Auch wenn es sich bei dem hier vorliegenden Buch nicht um eine Biografie handelt, hätte man gern etwas mehr dazu erfahren. Die Autorin beschränkt sich auf eine durchaus gelungene Darstellung der acht Romane sowie deren Rezeption durch die zeitgenössische Kritik und das damalige Lesepublikum.

Handelt es sich bei den Romanen Paul Heyses um zu Recht vergessene Werke? Ein stärkeres Interesse an irgendeinem dieser Romane konnte Urszula Bonter mit ihrem Buch jedenfalls bei mir nicht wecken. Aber das liegt keinesfalls an ihrer Darstellung, die ganz im Gegenteil recht interessant zu lesen ist. Trotzdem dürfte ihr Buch, ebenso wie das Romanwerk Paul Heyses, nur einen relativ kleinen Leserkreis ansprechen.

(Werner Fletcher; 06/2008)


Urszula Bonter: "Das Romanwerk von Paul Heyse"
Königshausen & Neumann, 2008. 262 Seiten.
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Urszula Bonter, Dr. phil. habil., ist Hochschuldozentin am Institut für Germanistik der Universität Wroclaw (Polen).