Wolfgang Schuller: "Die Welt der Hetären"

Berühmte Frauen zwischen Legende und Wirklichkeit


Wolfgang Schuller ist vielen wohl ein Begriff. Der Altertumswissenschaftler veröffentlichte bereits Beiträge in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und in der "ZEIT-Geschichte". Seine Schwerpunkte liegen unter anderem in der griechischen Antike und antiker Frauengeschichte, und so ist Schuller wohl ein besonders geeigneter Autor, wenn es um ein Buch über Hetären geht. Ein ebensolches erschien nun im März 2008 bei Klett-Cotta. Die gebundene Ausgabe trägt den Untertitel "Berühmte Frauen zwischen Legende und Wirklichkeit".

Ein passender Untertitel, denn bis heute ist nicht zu verallgemeinern, was eine Hetäre genau ist. Eine alleinstehende Frau, die Beziehungen zu verschiedenen Männern hatte, diese unterhielt, mit ihnen schlief und im Gegenzug Geschenke erhielt und Ansehen genoss. Doch das scheint eine zu einfache und geradezu unglaubliche Definition zu sein. Dass es auch nicht ganz so simpel ist, beschreibt Schuller in seinem Werk anschaulich.

Interessanterweise hat der Autor sein Buch chronologisch angeordnet. Beginnend bei der archaischen Zeit bis hin zur Spätantike befasst er sich mit den Hetären, dazwischen in einem separaten Kapitel auch noch einmal konkret mit dem Leben der Hetären.

Den Abschluss bildet ein Kapitel mit dem Titel "Andere Zeiten, ähnliche Sitten: Vergleiche". Zur Definitionsproblematik ist dieses Kapitel das interessanteste, denn es greift gern hinzugezogene Vergleiche auf: Ist eine Hetäre eine Hure, eine Kurtisane, wie eine Geisha? Doch auch Annahmen und Ansichten zu Hetären im Verlauf der Zeit werden thematisiert. Was sind "moderne Hetären", gibt es sie, und wenn ja, was macht sie aus? Wie haben sich bekannte Dichter und Denker zu Hetären geäußert?

Doch auch die chronologischen Kapitel lassen sich gut lesen, tatsächlich sogar fast wie ein Roman. Schuller schildert die Geschichten einzelner Hetären und der Umgebungsfaktoren sehr anschaulich, beruft sich immer wieder auf diverse Quellen, was dem Werk zusätzliche Glaubwürdigkeit verleiht, doch Fußnoten gibt es nicht. Es handelt sich um ein Sachbuch, das für jedermann interessant ist, nicht nur für Wissenschaftler. Jeder, dem Quellen dennoch besonders wichtig sind, wird in der achtzehn Seiten umfassenden Bibliografie am Ende des Buches sicherlich zusätzlich zu den teils ausreichend konkreten Nennungen im Textverlauf selbst fündig werden. Für Suchende spezieller Themen ist auch ein umfassendes Personen- sowie Sachregister enthalten.

Empfehlenswert ist die Lektüre dieses Buches in jedem Fall. Obwohl man durchaus nur konkrete Absätze lesen kann oder in jedem beliebigen Kapitel einen Einstieg findet, lohnt sich die Lektüre von Anfang bis Ende jedoch am meisten. Ein kurzweiliges, spannend, gut und fundiert erzähltes Sachbuch für jedermann!

(Tanja Thome; 05/2008)


Wolfgang Schuller: "Die Welt der Hetären. Berühmte Frauen zwischen Legende und Wirklichkeit"
Klett-Cotta, 2008. 304 Seiten.
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Weitere Buchempfehlungen:

Debra Hamel: "Der Fall Neaira. Die wahre Geschichte einer Hetäre im antiken Griechenland"

Die Anklagerede des Apollodoros im Prozess gegen Neaira gehört zu den großen Reden, die uns aus dem antiken Griechenland überliefert sind. Im Zentrum der Anklage steht Neaira, eine Frau Mitte Fünfzig, angeklagt, als 'Fremde' in unrechtmäßiger ehelicher Gemeinschaft mit Stephanos, einem Bürger Athens, zusammenzuleben und Kinder zu haben.
Doch wer war diese Frau, wer war Neaira? Debra Hamel zeichnet die Lebensgeschichte einer außergewöhnlichen Frau, die im 4. Jahrhundert v. Chr. in Griechenland lebte. Als Prostituierte in einem Bordell in Korinth groß geworden und früh zur Edel-Hetäre avanciert, verschlägt es Neaira durch wechselhafte Beziehungen und widrige Verhältnisse nach Megara und schließlich nach Athen.
Debra Hamel beleuchtet die Umstände, unter denen Neaira als Prostituierte lebt, die rechtliche Situation ebenso wie Lebensbedingungen und Gesellschaft in einer griechischen Stadt wie Korinth oder Athen. Dabei gelingt es ihr außerordentlich gut, Neairas spannende Geschichte, ihr persönliches Schicksal mit rechtlichen und sozialgeschichtlichen Reflexionen zu verbinden. Eine Vielzahl von Aspekten wird so beleuchtet: Prostitution, Ehebruch, religiöse Bräuche, Sklaverei, Wahlrecht und vieles mehr.
Debra Hamel erzählt die Geschichte von Neaira, einer außergewöhnlichen Frau im antiken Griechenland, und ihrem Weg von einer Hetäre zur Lebensgefährtin eines Athener Bürgers. Doch Hamel bietet nicht nur eine spannende Biografie, sondern darüber hinaus auch ein lebendiges Porträt des antiken Griechenlands im 4. Jahrhundert v. Chr. (Primus Verlag)
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Angelika Dierichs: "Erotik in der Kunst Griechenlands"
Erotisch-sexuelles Tun verlockt zu allen Zeiten. Bildlich deutlich dargestellt und wörtlich fantasieanregend beschrieben, mag es sogar Stimulans für die Libido sein. Exzellente Abbildungen und prägnante Texte zeigen freiwillig gewährte oder berechnend erkaufte Liebe zwischen Zärtlichkeitstausch und Geschlechtsakt - im Spannungsfeld von Gesellschaft, Religion, Alltag und Fest. Göttliches und menschliches Lieben wird lebendig wiedergegeben an Kunst- und Gebrauchsgegenständen, die mitunter dezent, mitunter aber auch drastisch belegen: Im Alten Griechenland genoss man anmutige Körperlichkeit, zärtliches Miteinander, hetero- und homosexuelle Beziehungen und zahlreiche andere Facetten erotischer Aktivität. (Zabern)
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Peter C. Bol, Wolf-Dietrich Niemeier, Robert Strasser: "Griechenland. Ein Führer zu den antiken Stätten"
Dieser Führer zu den "klassischen" Stätten Griechenlands fasst die archäologische Kenntnis der sichtbaren Kultur griechischer Antike zusammen, von Ort zu Ort und A bis Z, von den Denkmälern der Kretisch-Mykenischen Palastkultur bis zum Ende des Hellenismus. Die Erläuterung der Tempel, Heiligtümer und Museen schließt die Dokumentation des Mythos und der Geschichte ein. Situations- und Architekturpläne gehören selbstverständlich dazu. Dem Hauptteil mit Ortsartikeln sind eine historische Einführung und eine Zeittafel vorangestellt. (Reclam)
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Elke Hartmann: "Frauen in der Antike. Weibliche Lebenswelten von Sappho bis Theodora"
Elke Hartmann bietet einen lebendigen Überblick über die Geschichte der Frauen in mehr als eintausend Jahren griechischer und römischer Geschichte. Sie beschreibt zum einen, wie die Zeitgenossen über die Stellung der Frau dachten, zum anderen, wo die Frauen real ihren Platz in Haus, Gesellschaft, Wirtschaft, Religion, Philosophie, aber auch in der Politik fanden, und schließlich, welche Aktivitäten und Erfahrungen von Frauen in diesen Zusammenhängen vorstellbar sind. Die informative Mischung aus anschaulichen Einzelbeispielen und zusammenhängenden weiblichen Lebenswelten in den jeweiligen Epochen machen den besonderen Reiz dieses Buches aus. (C.H. Beck)
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Michael Stein: "Japans Kurtisanen. Eine Kulturgeschichte der japanischen Meisterinnen der Unterhaltungskunst und Erotik aus zwölf Jahrhunderten"
Dieses Buch versucht, die Geschichte der Kurtisanen in Japan von den Anfängen bis zur Gegenwart in ihrem gesellschaftlichen und kulturellen Kontext aus der Perspektive der Kurtisanen darzustellen und dabei, so gut es die Quellen zulassen, ihr künstlerisches Selbstverständnis in den Mittelpunkt zu rücken.
Das Buch ist diachronisch angelegt, weil die traditionelle Einteilung der japanischen Epochen in den meisten Fällen auch markante Abschnitte der Kurtisanengeschichte umreißt. Aus jeder Epoche werden die Eigenheiten des zeitgenössischen Kurtisanenwesens, seine Anpassung an die Veränderungen der gesellschaftlichen, kulturellen und historischen Umwelt, neue Bräuche und Strömungen sowie möglichst auch das Bild der Kurtisanen in der Gesellschaft aufgezeichnet, so dass sich anhand dieser Darstellung die Entwicklungslinien vom Altertum bis zur Neuzeit leichtverständlich nachvollziehen lassen.
Inhalt: Teil I: Magische Kräfte der Weiblichkeit. Kurtisanen in Vorzeit und Altertum (bis 794); Teil II: Sangesgöttinnen in Menschengestalt. Kurtisanen in der Heian-Zeit (794-1185); Teil III: Marketenderinnen der Unterhaltungszeit. Kurtisanen in der Kamakura-Zeit (1185-1333); Teil IV: Wohlfeile Ware der Menschenhändler. Kurtisanen in der Muromachi- und Momoyama-Zeit (1333-1603); Teil V: Sklavinnen im Bambus-Käfig. Kurtisanen in der Edo-Zeit (1603-1868); Teil VI: Magierinnen der guten alten Zeit. Kurtisanen im modernen Japan (seit 1868). (Iudicium Verlag)
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Benedetta Craveri: "Königinnen und Mätressen. Die Macht der Frauen - von Katharina de'Medici bis Marie Antoinette"
Wahre und käufliche Liebe, Sex und Eifersucht, Tod durch Dolch, Gift oder Guillotine, noble Gefühle und niedrige Motive, Gemeinheit, Intrige, Bigotterie und echte Frömmigkeit: keine Geschichte könnte spannender, bizarrer, bewegender und abenteuerlicher sein als die der Frauen am Königshof in Frankreich. Da sind die Gattinnen, geehelicht aus Gründen der Staatsräson: Katharina von Medici, Königin Margot, Maria von Medici, Marie Antoinette, und die anderen: Diane de Poitiers, die drei Schwestern Mailly, Madame de Maintenon und die du Barry. Benedetta Craveri hat mit den Porträts dieser manchmal liebenswerten, manchmal abstoßenden, aber immer faszinierenden Frauen eine intime wie brillante Sitten- und Kulturgeschichte Frankreichs geschrieben, die jeden Roman in den Schatten stellt. (Hanser)
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Robert Muchembled: "Die Verwandlung der Lust. Eine Geschichte der abendländischen Sexualität"
Der renommierte Pariser Kulturhistoriker Robert Muchembled erzählt die Geschichte der Sexualität vom 16. Jahrhundert bis zur sexuellen Revolution der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Die Geschichte der Sexualität ist aber auch eine Geschichte ihrer Unterdrückung und Sublimierung. Die körperliche Lust, so Muchembled, wurde verwandelt und machte die Menschen kreativ und innovativ.
Ab dem 16. Jahrhundert wurde die Sexualität im Abendland vonseiten der Kirche und des Staates zunehmenden Restriktionen unterworfen, Lust wurde geächtet, Sex durfte nur in der Ehe stattfinden und wurde auch hier auf Fortpflanzung reduziert. Allerdings, und das ist Muchembleds überzeugende These, wirkte sich diese Überwachung des Körpers und der Seele, die Michel Foucault beschrieben hat, unerwartet positiv aus. Die unterdrückte Lust wurde gleichsam verwandelt und entwickelte sich zum versteckten Motor, der Europa zu großen innovativen künstlerischen, kriegerischen und ökonomischen Leistungen verhalf und es schließlich zur Weltmacht aufsteigen ließ. Robert Muchembled beschreibt die Geschichte der Sexualität während der letzten fünfhundert Jahre und auf der Grundlage vielfältiger Quellen, die einen faszinierenden Blick in das Alltagsleben der Menschen geben. Die erste umfassende Geschichte der Lust im modernen Europa. (DVA)
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Siegfried Obermeier: "Das Spiel der Kurtisanen"
Rom um 1500. Wie ein blutiger Schatten lasten die Borgias über der Stadt. Papst Alexander VI. und sein Sohn Cesare üben eine Gewaltherrschaft aus, die keine Gegner duldet. Zwei Frauen sind es, die das gesellschaftliche Leben bestimmen: Fiametta, die Geliebte von Cesare Borgia, und Imperia, die auch den Finanzier von Papst Alexander VI. zu ihren Freiern zählt. Beide wissen, wie betörend Macht sein kann - und nutzen das, was sie im Geheimen erfahren ... (LangenMüller)
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Leseprobe:

1. KAPITEL: In ganz Hellas besungen. Die archaische Zeit

Griechenland und seine Kultur traten im 8. Jahrhundert v. Chr. in die Geschichte ein. Die ersten drei Jahrhunderte danach waren eine Zeit lebensvollster, vielfältigster politischer, künstlerischer und geistiger Entwicklung. Der griechische Stadtstaat, die Polis, bildete sich heraus mit seinen durchgebildeten Verfassungen, die Griechen besiedelten die Küsten Siziliens, Süditaliens und des Schwarzen Meeres; die Westküste Kleinasiens war schon jahrhundertelang griechisch gewesen. Mit den beiden Großepen Homers, der Ilias und der Odyssee, trat die griechische Kultur mit einem Schlag in die Weltliteratur ein, bald darauf entstand die Lyrik mit unzähligen, sich als Individuen zu erkennen gebenden Dichtern und Dichterinnen - Archilochos, Alkaios, Sappho und vielen anderen -, die ersten Philosophen traten hervor, ebenfalls scharf ausgeprägte schöpferische Individuen. Der Tempelbau, die bildende Kunst, die Vasenmalerei und vieles andere entstand fast aus dem Nichts und erreichte bald den höchsten Grad der Vollkommenheit - und die ersten Hetären betraten die Bühne der Geschichte.

Ausdrücklich hören wir zum ersten Mal von Hetären aus Naukratis im Nildelta, der einzigen Griechenstadt in Ägypten. Herodot, der im 5 . Jahrhundert schreibende Historiker, berichtet, Naukratis sei berühmt für seine schönen Hetären gewesen, und die berühmteste von ihnen war Rhodopis, "wie eine Rose anzuschauen". Sie lebte zur Zeit des Pharaos Amasis - desjenigen Ägypterkönigs, mit dem der Tyrann Polykrates von Samos befreundet war -, war eine Thrakerin und gehörte ursprünglich als Sklavin einem gewissen Iadmon aus Samos, der Fabeldichter Äsop soll einer ihrer Mitsklaven gewesen sein. Dann kaufte sie ein anderer Samier, Xanthos, und reiste mit ihr nach Ägypten, um mit ihren Liebesdiensten Geld zu verdienen. Das wurde ein größerer Erfolg, als Xanthos sich das möglicherweise gedacht hatte. Rhodopis war nämlich eine so wunderbare Frau, daß sich ein junger Adeliger aus Lesbos namens Charaxos derart heftig in sie verliebte, daß er sie für teures Geld kaufte und dann freiließ; viel Geld hatte er ja, denn er handelte in großem Stil mit griechischem Wein, den er in Ägypten absetzte. Wenn er allerdings gedacht haben sollte, daß das Mädchen bei ihm bleiben würde, dann irrte auch er sich. Rhodopis, jetzt frei geworden, nahm sich andere Liebhaber, und von deren Geschenken wurde sie sehr reich und so berühmt, daß ganz Griechenland von ihr sprach und sich Geschichten über sie erzählte.

Später hieß es sogar, sie sei so reich gewesen, daß sie sich in Ägypten ein riesiges Grabmal habe bauen lassen, und zwar die dritte, zwar kleinste, aber immer noch gewaltige der drei Pyramiden von Gize. Das kann nicht stimmen, meint mit Recht Herodot, denn abgesehen davon, daß dies die Pyramide des Königs Mykerinos aus dem Alten Reich war, womit Herodot wieder recht hat, war Rhodopis dann doch nicht so ungeheuer reich, wie es der Bau einer Pyramide erfordert hätte. Herodot konnte nämlich ihren - immer noch beachtlichen - Reichtum ziemlich genau abschätzen: Rhodopis habe, um für Griechenland dauerhaft in Erinnerung zu bleiben, von dem zehnten Teil ihres Vermögens ein kostbares Weihgeschenk dem Apoll von Delphi gestiftet. Es befinde sich hinter dem Altar, den die Leute von Chios in Delphi errichtet hatten, gegenüber dem Tempel, er, Herodot habe es selbst gesehen, und wer wolle, könne es dort ebenfalls betrachten. Daran könne man erkennen, daß Rhodopis zwar nicht so reich war wie ein ägyptischer Pharao, aber immer noch eine außerordentlich wohlhabende Dame.

Das Glück der heutigen Forschung hat uns in Delphi die Inschrift auf einer Marmorbasis beschert, von der die letzten beiden Buchstaben eines Wortes erhalten sind, das hat aufgestellt bezeichnet, und daran schließt sich fragmentarisch an Rhod. Der Schluß liegt sehr nahe, daß wir genau die Weihung vor uns haben, von der Herodot berichtet. Rhodopis ist also noch deutlicher ins Licht der Geschichte getreten als nur durch seine Erzählung. Nicht nur für das damalige Griechenland ist sie also dauerhaft in Erinnerung geblieben: Auch wir entdecken wieder Spuren ihrer Existenz.

Herodot weiß noch mehr. Zum einen teilt er mit, daß Charaxos der Bruder der Dichterin Sappho gewesen sei - sie lebte um 600 v. Chr. - und daß diese ihn in einem Gedicht für seine kostspieligen Eskapaden mit der Hetäre getadelt habe. Und dann berichtet er von einer weiteren Hetäre aus Naukratis, Archidike - ein sehr vornehmer Name -, die einige Zeit nach Rhodopis gelebt habe. Auch sie war in ganz Griechenland bekannt, und während die Berühmtheit von Rhodopis darin bestand, daß man von ihr Geschichten erzählte, wurden über Archidike sogar Lieder gesungen. Es ist zu schade, daß keines von diesen Liedern auf eine schöne Hetäre erhalten ist; andere freilich kennen wir, sie werden noch ausgiebig zur Sprache kommen.

Allerdings werfen spätere Autoren dem Herodot vor, Rhodopis mit einer anderen Hetäre verwechselt zu haben. Ihr kostbares Weihgeschenk wird nicht bestritten, es war ja noch lange zu sehen gewesen, und selbst heute haben wir ja noch Teile von der Inschrift, aber es wird behauptet, nicht Rhodopis sei es gewesen, in die Sapphos Bruder zu seinem Schaden verliebt gewesen sei, sondern eine andere Hetäre namens Doricha. Was sollen wir glauben? Glücklicherweise ist ein Teil eines Gedichts der Sappho auf einem Stück Papyrus wieder ans Tageslicht gekommen, dessen für uns entscheidende Strophe so lautet:

Kypris, dich als strafende Göttin spüre
Doricha! Nicht laß sie sich dessen rühmen,
daß ein zweites Mal in entflammter Liebe
er ihr verfallen!


Kypris ist eine andere Bezeichnung für die Liebesgöttin Aphrodite - es hieß von ihr, sie sei auf Zypern geboren und dann dort dem Meer entstiegen -, und Sappho bittet sie hier, Doricha dafür zu bestrafen, daß sich jemand zum zweiten Mal rettungslos in sie verliebt hat. Daß es also eine Doricha gab, ist damit aus erster Hand bestätigt, daß sie einen der Sappho nahestehenden Mann, nachdem er sich schon einmal von ihr hatte lösen können, zum zweiten Mal an sich gefesselt hat, auch, und schließlich lesen wir ebenfalls ganz authentisch von der Dichterin selbst, daß sie damit gar nicht einverstanden ist. Da ist wohl der Schluß erlaubt, in diesem Text einen Teil genau des Gedichtes zu sehen, von dem es heißt, daß Sappho die Verbindung ihres Bruders mit einer Hetäre heftig mißbilligt habe. Deren sprechender Name Rhodopis statt Doricha dürfte ihr Hetärenname gewesen sein, und solche Umbenennungen werden in der Folgezeit gang und gäbe.

Es gibt weitere poetische Texte der Archaik, durch die wir etwas von Hetären hören, und von dem sozialen Ort, an dem wir ihnen begegnen. Es sind die Symposien, die Gastmähler unter adeligen Männern mit anschließendem Trinkgelage, zu dem die Ehefrauen keinen Zutritt hatten und von denen weiter unten noch eingehender die Rede sein wird. Der Dichter Mimnermos hatte eine Geliebte mit Namen Nanno, und daß sie als Hetäre verstanden wurde, zeigt der Anfang eines Trinkliedes des hellenistischen Dichters Poseidippos, das eine Art Trinkspruch darstellt:

Gieß auf Nanno und Lyde, und gieß, wohlan, auf Mimnermos und auf Antimachos' Geist je einen Becher mir voll!

Anakreon, der in der Lyrik des 18. Jahrhunderts zu einem allzu süßlichen Dichter gemacht wurde, redet eine Symposionsteilnehmerin in einem seiner Gedichte als thrakisches Fohlen an, das er zureiten wolle, und das muß gewiß nicht weiter erklärt werden. In einem anderen Gedicht, das nur fragmentarisch erhalten ist, beklagt er sich anscheinend über die Flatterhaftigkeit einer solchen Frau: Er nennt sie leophoros, bezeichnet sie also mit einem Wort, das wörtlich Leuteträgerin und das noch im heutigen Griechisch Hauptstraße bedeutet; das scheint hier anzudeuten, daß Anakreon zu seinem Kummer keineswegs der einzige war, dem sie ihre Liebe gewährte. Wenn wir daraus schließen wollten, daß es sich um eine gewöhnliche Dirne gehandelt haben sollte, dann wäre das ein großer Irrtum. Anakreon ist eifersüchtig, was bei einem solchen Mädchen wohl unangebracht wäre, er dichtet sie an, was ebenfalls nicht paßt, und er nennt sie mit Namen: Herotime, Heldenehre, ein Name, der jedenfalls vom hohen, sogar aristokratischen Anspruch der Trägerin zeugt.

Seit der spätarchaischen Zeit, mit dem letzten Viertel des 6 . Jahrhunderts beginnend, kann man eine Quellengattung für die Hetären heranziehen, die die Forschung zunächst überhaupt nicht berücksichtigt hatte: die Vasenbilder. Mit diesem Zeitpunkt setzen vor allem auf den athenischen rotfigurigen Gefäßen Darstellungen von Symposionszenen ein, auf denen alle Phasen dieser aristokratischen Trinkgelage wiedergegeben sind. Sehr häufig sind sie keineswegs auf die männlichen Teilnehmer alleine beschränkt, sondern es beteiligen sich in fast demselben Ausmaß junge Frauen daran. Diese jungen Frauen werden in verschiedenen Rollen dieser Teilnahme dargestellt, die, vereinfachend gesagt, den Stadien sowohl des Ablaufs des Symposions allgemein als auch der Intensität der Beziehungen zwischen den Männern und den Frauen entsprechen. Zum einen tragen die Mädchen durch Flötenspiel und durch Tänze zum heiteren Ablauf des Festes bei, und es kommt durchaus vor, daß das Mädchen selbst bei noch sehr fortgeschrittener Betrunkenheit der oder eines Symposiasten, also vermutlich gegen Ende des Festes, immer noch als völlig bekleidete Flötenspielerin abgebildet ist.

In zahlreichen weiteren Fällen verläuft alles sehr anders. Man kann im zweiten Teil der Symposionsfeste, dem Komos, Flötenspielerinnen sehen, die bereits halb entkleidet und in zärtliche Beziehungen zu den Männern eingetreten sind, es gibt turbulente Szenen mehrerer unbekleideter Männer und Frauen bei spielerischen Verfolgungsjagden, bei denen die Männer unübersehbar erotisch erregt sind; es gibt Gemeinschaftsszenen, bei denen die Verfolgungen dadurch ihr Ende gefunden haben, daß die einzelnen Paare miteinander im Liebesakt verbunden sind. Vielleicht chronologisch etwas später erscheinen besonders liebevoll wiedergegebene Szenen zwischen einzelnen Paaren, ohne daß andere Paare anwesend sind, oder allenfalls ein weiteres, in allen Phasen des Zusammenseins von der ersten Annäherung bis zur körperlichen Vereinigung. Es gibt auch Darstellungen von Mädchen, die alleine ohne Männer heiter beim Wein oder bei Spielen zusammen sind, zumeist spärlich oder gar nicht bekleidet, oder, wenn sie allein dargestellt werden, laszive Stellungen einnehmen oder sich sogar mit künstlichen männlichen Phalloi selbst befriedigen. Hervorzuheben ist jedoch ebenfalls, daß ab und zu dadurch eine innige seelische Verbundenheit zwischen Frau und Mann dargestellt wird, daß sie sich beim Liebesspiel tief in die Augen schauen. Diese Ambivalenz zwischen manchmal sehr deutlicher Wiedergabe des Liebesakts in unterschiedlichen Stellungen einerseits und der menschlichen Verbundenheit zwischen den beiden Beteiligten andererseits kommt in schon fast rätselhafter Weise auf einer im Louvre aufbewahrten Trinkschale zum Ausdruck. Auf den Außenseiten sind reguläre Sex-Szenen wiedergegeben, an denen in bereits brutaler Weise mehrere Personen beteiligt sind, während die Innenseite ein vollständig bekleidetes Paar wiedergibt. Sie trägt eine Lyra, er wird, was selten ist, en face abgebildet, beider Gesichter und beide Körper verschmelzen ineinander. Es gibt zahlreiche Erklärungen für diesen seltsamen Befund, die mir alle nicht ausreichen; begnügen wir uns damit, daß beides die ganze Breite möglichen menschlichen Verhaltens in der Liebe dokumentiert, die nicht notwendigerweise in einem einzigen Menschen gleichzeitig auftreten muß.

Man muß sich vergegenwärtigen, daß diese Bilder auf Trinkgefäßen angebracht waren, und während durch nicht seltene Namensbeischriften durchaus konkrete Personen bezeichnet waren, müssen die Szenen doch nicht immer spezifisch und identifizierbar gewesen sein, die sich bei einer bestimmten Gelegenheit abgespielt hätten. Die Vasen mußten ja in einem langwierigen Prozeß hergestellt werden und waren zur weiteren Verwendung bestimmt. Diese Bilder hatten daher die Funktion, dem Mann und der Frau, die daraus tranken - und auch allen anderen Teilnehmern - vorzuführen, in welcher Situation man sich befand und was zu erwarten oder besser gesagt zu erhoffen war. Die Bilder hatten also eine stimulierende Funktion, und dem diente natürlich auch die ausgiebige Wiedergabe verschiedener Stellungen des Liebesaktes. (...)

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