Fritz von Herzmanovsky-Orlando: "Prosa. Erzählungen und Skizzen"

Herausgegeben von Klaralinda Ma-Kircher


Miniaturen von einem Großmeister des Skurrilen

"Herzmanovsky-Orlando kann man nicht rezensieren. Herzmanovsky-Orlando muss man lesen." So bemerkte ein Rezensent (oder die Rezensentin?) in der Besprechung zu Herzmanovsky-Orlandos Roman "Scoglio Pomo". Dem kann man nur beipflichten. Denn Herzmanovsky-Orlandos Texte stellen sich quer, stellen sich dem Versuch einer Interpretation hartnäckig entgegen, zumindest dann, wenn man ihnen mit einer logisch-analytischen Betrachtungsweise zu Leibe rücken will. Nein, nur mit dem Rüstzeug von Logik und Vernunft oder mit Nüchternheit lässt sich diesen Texten nicht beikommen. Vielmehr beherrschen die trunkenen Geister der Bier- und Schnapslaune das Geschehen in diesen literarischen Fragmenten und Miniaturen. In geradezu wolllüstiger Exhibition präsentiert uns Herzmanovsky-Orlando seinen skurrilen, von Konfusion geprägten Humor. In alle Richtungen schickt er die Pfeile seiner Spottlust. Ein Platzregen sprühender Einfälle geht auf den Leser nieder. Mit spitzer, in Häme getunkter Feder überzeichnet Herzmanovsky-Orlando die pathologischen Symptome eines beginnenden Zerfalls der Österreich-Ungarischen Monarchie. Eine schrille Parodie gesellschaftlicher Konventionen und Verhaltensweisen. Die Absonderlichkeiten, die der Autor seinen Protagonisten andichtet, rücken diese in die Nähe von Karikaturen. Von Menschen aus Fleisch und Blut kann man kaum mehr sprechen. Und Herzmanovsky tauft seine Figuren auf Namen wie Fröstelpintsch, General Hopsetic von Grabensprung oder Herr Dickschitz auf Unschitz, genannt Dünnschitz. Diesen und natürlich auch den anderen in den Texten agierenden Personen widerfahren kuriose Dinge. Im Restaurant werden ihnen Schweinsembryonen mit Kälberaugen in Aspik serviert, wozu dann Weine aus Esseg und Stinkenbrunn kredenzt werden. Ein dressierter Zeisig verordnet Fußbäder in Papierschnitzeln, Italien wird als transalpine Spiegelung Sachsens betrachtet. Und der Erzherzog Albrecht wird gar bei der Verrichtung eines Bedürfnisses (der Autor nennt dies: A-A-Machen) mitten im Gebüsch während eines Manövers von dem Sohn eines gewissen Herrn Watzka, einem ganz gewöhnlichen Soldaten, verhaftet, was sehr unangenehme Konsequenzen für den Sohn des Herrn Watzka nach sich zieht. Der Herr Watzka war übrigens ein persönlicher Bekannter des Autors und findet des öfteren Erwähnung in dem vorliegenden Erzählband.

Anekdoten dieser Art tauchen immer wieder in den Texten Herzmanovsky-Orlandos auf. Die Form wird beherrscht vom Anekdotischen, vom Fragment. Auch Anekdoten um bekannte Persönlichkeiten wie beispielsweise den Dichterkollegen Gustav Meyrink hat der Autor hier eingestreut. Was darin aber auf Wahrheit beruht und was der dichterischen Fantasie entsprungen ist, das steht wohl in den Sternen. Ein absolutes Meisterwerk sprachwitzelnder Erzählkunst stellt für mich "Der konfuse Brief" dar, wenngleich er ein wenig zu lang geraten ist. Hier und auch in einigen anderen Texten ist Herzmanovsky-Orlando manchmal verdammt nah dran, seine Wortwitzelei bis zur Monotonie zu kultivieren. Da tut er dann des Guten zuviel. Besonders die Erzählung "Apoll von Nichts" erschien mir doch recht langatmig. Und nicht alle seiner schillernden, skurrilen Satz- und Wortfetzen besitzen auch tieferen Gehalt. Doch was tut’s? "Literatur soll in erster Linie unterhalten", sagt Marcel Reich-Ranicki, und das kann man Herzmanovsky-Orlando in keinem Fall absprechen. Dass der Autor dabei das Hochdeutsche sowie die österreichischen und bayrischen Dialekte beherrscht, das ist logisch. Aber dass er die norddeutschen Mundarten wie beispielsweise das Berlinerische ebenso souverän beherrscht, davon kann sich der Leser in der Geschichte "Onkel Toni und die Klistierspritze" überzeugen.

Klaralinda Ma-Kircher schreibt in ihrem sehr informativen Nachwort: "Die vorliegende Auswahl soll die Distanzierung des Autors von literarischen Usancen vorführen." Und weiter: "Die Auswahl begründet sich einzig in der Absicht, ein Lesepublikum auf die bilderreiche Prosa des Autors einzustimmen und signifikante Tendenzen des Werkes sichtbar zu machen." Diese Absicht konnte hiermit verwirklicht werden. Nur tut man gut daran, das Buch möglichst nicht in einem Zuge zu lesen. Denn des Lesers Aufmerksamkeit läuft Gefahr, sich durch die ständige Überpointierung des Skurrilen schon beizeiten abzunutzen. Auch auf die fehlenden Anmerkungen (die auch ich vermisst habe) nimmt Frau Dr. Ma-Kircher in ihrem Nachwort Bezug. Sie betont die Schwierigkeiten der Recherche und verweist den Leser an die kommentierte Gesamtausgabe der Werke Fritz von Herzmanovsky-Orlandos oder auf entsprechende Suchmaschinen im Internet. Ein kleines Manko dieser interessanten Ausgabe, das aber niemand davon abhalten sollte, das Buch zu erwerben.

(Werner Fletcher; 11/2008)


Fritz von Herzmanovsky-Orlando: "Prosa. Erzählungen und Skizzen"
Herausgegeben von Klaralinda Ma-Kircher.
Residenz Verlag, 2008. 288 Seiten.
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