Heinz D. Heisl: "Abriss"
Idylle der Lieblosigkeit
"Wo soll ich jetzt bleiben ...?" "Wo ...?" sind die letzten
Worte in Heinz D. Heisls Abrechnung mit einer ungenannten Eltern- und
Kindheitskleinstadt irgendwo im westlichen Österreich.
Der gekonnt umherschweifende literarische Blick des 56-jährigen
Tirolers fällt auf die Tristesse der Nachkriegsjahre:
Kriegsschäden an Gebäuden und
Menschen,
Unsicherheiten in der sozialen Zuordnung zwischen Bauern, Arbeitern und
Angestellten, der materielle Fortschritt und die motorisierte
Mobilität bei gleich bleibend autoritären Strukturen sind die
Themen der rasch und doch unvermittelt aufeinander folgenden kurzen
Sequenzen.
Die Hauptperson, ein junger Mann, der nicht anders heißt als
"er", erlebt auf einer Zugsfahrt nochmals die schalen Höhepunkten
des Erwachsenwerdens, erkennt Leere statt Liebe. Nahm erst der Krieg
den Familien die Liebe - oder war auch vorher keine Liebe da? Der Vater
ist nichts, nur der
"Matrosenkappenmann" aus dem Weltkrieg, die Großmutter weint, und die Mutter ist enttäuscht.
Das selbstgefällige Bewegtsein als zentrales Motiv, als Sinnbild
so genannter Aufbaujahre,
weht einen vermeintlichen Duft der großen weiten Welt in die
Kleinstadt. Diese aber wird dadurch nicht größer, sondern
nur noch kleiner; in Kontrast zum Zentrum verstärkt die Peripherie
die gefühlte und verdrängte Provinzialität. Das
Hinterland ist in jedem Wort wahrnehmbar, durch Stimmen und Stimmungen
gefährlich bedrückend.
Die von Leere gehemmte Bewegung erstarrt an überlangen Komposita;
in ihnen konzentriert der Autor die bürokratische Sperrigkeit der
Nachkriegsjahre, als "Kleinhäuslergartenbesitzer" auf "Wirtschaftswundersommerfrischler" treffen, die von " umsichtig unterwürfigen Stadtvätern" begrüßt werden.
Heinz D. Heisl, der vor seiner Tätigkeit als Schriftsteller Musik
studierte, verschafft den Szenen des Buchs den schleppenden - nicht
faden! - Nachklang eines Kleinbürgerlebens und eine Sprachmusik,
die zu lautem Lesen einlädt. Wann, möchte man den Verlag
fragen, gibt es "Abriss" als Hörbuch?
(Wolfgang Moser; 09/2008)
Heinz D. Heisl: "Abriss"
Dittrich Verlag, 2008. 267 Seiten.
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Heinz D. Heisl wurde 1952 in Innsbruck
geboren. Musikstudium am Innsbrucker Konservatorium, 1979 Preis beim
Kompositions-Wettbewerb des "ORF", 1982 Komponist und Interpret; mehrere veröffentlichte
Schallplatten, 1988 erste literarische Aufzeichnungen, 1990 Stipendium des
"Literarischen Colloquiums" in Berlin, 2000 "Reinhard Priessnitz
Preis", 2002 "Österreichisches Staatsstipendium", 2003 "Großes Tiroler
Landesstipendium", 2003 "writer in
residence" in Basel, "Bartels Fondation",
2005 "Österreichisches Projektstipendium", 2006 "Stadtschreiber-Stipendium im
Stuttgarter Schriftstellerhaus", 2007 (Veröffentlichung Musik/Film), Kurator des
Literaturfestivals "SPRACHSALZ", Tiroler Literaturtage Hall i.T.
Weitere Bücher des Autors (Auswahl):
"Wohin ich schon immer einmal
wollte. Eisenbahngeschichten"
Stellen Sie sich vor, Sie stehen auf dem Bahnsteig und warten auf einen Zug, der
aber nicht kommt und dessen Verspätung immer größer wird - und gleichzeitig
sitzen Sie in eben diesem Zug und blicken in die draußen vorbeiziehende
Landschaft hinaus.
Absurd, grotesk, fantastisch: Der Ich-Erzähler in den Eisenbahngeschichten von
Heinz D. Heisl wird zugfahrend zusehends in die Irre geführt und sieht sich mit
eigenartigen Erlebnissen und seltsamen Fahrgästen konfrontiert.
Oft sind diese Reisen geheimnisvoll, immer auf unerwartete Weise skurril, überall
lauern verstörende Überraschungen, nichts ist wie erwartet. Und dann steht da
überall dieser Koffer herum,
ein Koffer voller Geschichten, der wundersame und
aberwitzige Ein- und Ausblicke gewährt und selbst Teil dieses obsessiven und
zugleich ironischen literarischen Verwirrspiels ist. (Haymon Verlag)
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"Die Paradoxien des Herrn
Guadalcanal"
In Heisls beinahe romanhafter Prosa werden scheinbar lose Geschichten erzählt,
zwischen denen sich ein roter Faden entspinnt und eine Figur erkennbar wird, die
durch die Welt schlittert, manchmal sehr präzise beobachtet, manchmal ins
Absurde verschwindet. Es ist ein Ich, ein Er, der am Fenster eines Zuges sitzt
und seine Beobachtungen wiedergibt, der über sein eigenes Verschwinden
reflektiert und seine Aufmerksamkeit auf das Kleine lenkt, das beim Atemholen
der großen Themen unter den Tisch zu fallen scheint. (Haymon Verlag)
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