Johann Peter Hebel: "Der Schuster Flink"
Unbekannte Geschichten
Hebel'sche
Originale oder
nicht?
"Ein beglückender Fund, - neue Geschichten von Johann
Peter Hebel",
so titelt der Umschlag, und auf seiner Innenseite ist dann die Rede
davon, dass
man diesen Fund als "eine kleine Sensation"
betrachten darf.
Doch noch im gleichen Absatz folgt dann die Einschränkung: "bisher
unbekannte und unerkannte Geschichten des großen
Erzählers, dazu Texte, die
wenn nicht von ihm, so doch zweifellos aus seinem Umkreis stammen."
Eine weitere Einschränkung der Annahme, dass alle die in
diesem Bande
gesammelten Geschichten tatsächlich aus der Feder Hebels
stammen, gibt Heinz Härtl
in seinem Nachwort preis: "Sie gehören in jedem
Fall, ob Hebel nun an
ihnen Anteil hatte oder nicht, zum Kontext seiner Geschichten."
Was kann der Leser aber nun von diesen ihrer Herkunft nach doch wohl
eher fragwürdigen
Geschichten erwarten? Nun, es handelt sich hier um Beiträge
für zwei Anfang
bis Mitte des 19. Jahrhunderts erschienene Zeitungen oder
Zeitschriften. Der
erste Teil dieser Texte wurde 1805 im "Provinzial-Blatt der Badischen
Markgrafschaft" veröffentlicht, der zweite Teil, der aus
lediglich fünf
relativ kurzen Erzählungen besteht, erschien 1842 im
"Preussischen
Volksfreund". "Diese Texte sind natürlich keine
Hauptwerke",
erläutert Daniel Kehlmann in seinem Vorwort. Und auch keine
Meisterwerke, möchte
ich hinzufügen. Diese Aussage gilt vor allem für die
Beiträge aus dem "Provinzial-Blatt
der Badischen Markgrafschaft", zumeist kurze, dem Gehalt und der Form
nach
mehr journalistische als literarische Texte von häufig banalem
Inhalt, die die
Bezeichnung "Geschichten" oder "Literarische Beiträge" kaum
für sich beanspruchen können. Heinz Härtl
begründet im Nachwort diesen von
Hebel angeblich ganz bewusst unspektakulär und simplifiziert
gehaltenen Stil
mit der Tatsache, dass sich die Beiträge der Zeitung an ein
wenig gebildetes, ländliches
Publikum richteten. Es sind Geschichten belehrenden Charakters, die ein
wenig
naiv die Überlegenheit der guten und edlen Menschen
gegenüber den Bösewichtern
aufzeigen wollen, und sie haben bisweilen den Charakter einer Predigt
(Hebel war
Prälat und Kirchenrat, von daher könnten diese
Beiträge durchaus von ihm
stammen). Die Geschichten propagieren ein gewisses Gottvertrauen - und
daraus
folgernd - ein Vertrauen auch in die Menschheit, verbunden mit dem
Appell, stets
den Weg zum Guten hin einzuschlagen.
Ein ausführliches Nachwort (24 Seiten) von Heinz
Härtl schließt sich den
Hebel'schen Texten an. Härtl liefert in erster Linie
Informationen über die
beiden Publikationsorgane, in welchen die vorliegenden Texte damals
veröffentlicht
wurden, Texte, deren Herausgabe in Buchform vermutlich aber niemals in
der
Intention des Schriftstellers Johann Peter Hebel gelegen hat, falls sie
denn
tatsächlich aus seiner Feder stammen sollten. Bei allen
Qualitäten und
Meriten, die man diesem Autor zubilligen mag, die hier vorgestellten,
neu
entdeckten "Geschichten" sind für eine
Veröffentlichung im Rahmen
eines solchen Buches doch etwas zu dürftig geraten.
Vorliegende Textsammlung dürfte
daher, so meine ich, ausnahmslos für echte Hebel-Enthusiasten
von Interesse
sein. Hat aber Johann Peter Hebel wirklich alle diese Geschichten auch
geschrieben? Die von Heinz Härtl im Nachwort angesprochenen
Zweifel scheinen
mir da doch mehr als angebracht.
(Werner Fletcher; 03/2008)
Johann
Peter Hebel: "Der Schuster Flink. Unbekannte Geschichten"
Mit einem Vorwort von
Daniel
Kehlmann, herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von
Heinz Härtl.
Wallstein Verlag, 2008. 92 Seiten.
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Johann Peter Hebel (10. Mai 1760 - 22. September 1826) schrieb - neben seinen von Goethe und Jean Paul hochgelobten Gedichten in allemannischer Mundart - eine Vielzahl von Kalendergeschichten, die aufgrund ihrer formvollendeten Lakonie zu Klassikern ihrer Gattung wurden und prominente Bewunderer von Franz Kafka über Walter Benjamin bis hin zu Elias Canetti fanden.