Iris Hanika: "Treffen sich zwei"


Er heißt Thomas, ist Mitte vierzig, arbeitet als Systemberater, (nach der Lektüre des Buches wissen Sie genau, was das ist), und lebt alleinstehend in Berlin-Kreuzberg.
Sie heißt Senta, ist auch schon über vierzig und leitet eine Galerie ganz in der Nähe ihrer Wohnung, ebenfalls in Berlin Kreuzberg. Diese "Leitung" beschränkt sich darauf, die wenigen Telefonanrufe, die während der Öffnungszeiten anfallen, zu beantworten. Verkauft wird dort nicht viel, es ist ein Hobby und Abschreibungsobjekt eines Mannes, der sein sonstiges Leben mit dem Gesundbleiben durch allerlei Urintherapien widmet und dabei sogar den Sex mit seiner Frau vergisst, die sich ihrerseits mit einem Freund vergnügt. Ihrer Ehe tut das aber keinen Abbruch.

Senta hatte schon viele Beziehungen; ihre letzte heißt Rainer, dem sie heftig, aber wieder einmal vergeblich, hinterher trauert. Sie verliebt sich schnell, lässt sich auch gleich ganz auf die jeweiligen Männer ein, doch diese suchen bald das Weite, gerade auch jene, die an einer festeren und längeren Beziehung Interesse hätten, weil sie mit Sentas Art nicht zurechtkommen. Sie träumt sofort von Ehe und späten Kindern und vor allen Dingen weint sie bei jeder Gelegenheit.

Wie Iris Hanika zu Beginn ihres ebenso unterhaltsamen wie witzigen, dabei doch sehr tiefgründigen Romans diese beiden Protagonisten schildert, ist lustig und anrührend zugleich. Denn beide kommen so gar nicht mit ihrem Leben, vor allem ihrem Liebesleben, zurecht. Dennoch geben sie die Hoffnung nicht auf, den Einen oder die Eine zu finden, auf den bzw. die man schon lange wartet.

Als sich Thomas und Senta eines Tages in einer Kneipe mit dem vielversprechenden Namen "O-Paradies" zum ersten Mal sehen, ist es um beide sofort geschehen. Doch obwohl sie beide erwachsen sind, auch schon viele Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht gemacht haben, stellen sie sich an wie Jugendliche. Senta denkt, sie müsste, um Thomas zu beeindrucken und zu halten, möglichst schnell viel heftigen Sex mit ihm veranstalten, so, wie sie denkt, dass die Männer es eben gerne haben. Und so zieht sie ihn bei jeder Begegnung in den ersten zwei Wochen ihrer Beziehung abends sofort aufs Bett.

Als nächstes hob sich seine Hand und kam langsam zu ihr herüber. Sie sah sie kommen, begriff aber nicht, was das bedeutete, bis seine Hand an ihrem Kopf lag und ihn von hinten hielt; erst ganz ruhig. Dann spürte sie, wie seine Finger sich einmal auseinanderspreizten und wieder zueinanderfuhren. Das war wie ein Streicheln. Sie tat gar nichts. Sie ließ das geschehen und schaute dabei immer weiter in seine Augen.
Als seine Hand nicht mehr an ihrem Kopf, sondern wieder auf dem Tisch lag, fehlte sie ihr sofort so sehr, daß es fast wehtat. Sofort wünschte sie sich nichts anderes, als daß seine Hand an ihrem Kopf läge oder sonstwo. Sonstwo hätte sie besser gefunden, denn mittlerweile richtete all ihr Sehnen sich darauf, daß ihre beiden Körper sich irgendwo, an irgendeiner Stelle, und sei es auch die unspektakulärste, berührten. Andererseits hätte sie keine Stelle an ihrem Körper mehr gewußt, die in Bezug auf die Berührung durch egal welchen Teil seines Körpers unspektakulär gewesen wäre. Vielmehr war jetzt jede Stelle so spektakulär wie dieser Blick, in dem sie schon ertrunken war und in dem sie ineinander verklettet blieben, bis diesmal er ihn nicht mehr aushielt, sondern ihn senkte, um in sein Bierglas hineinzuschauen. Das entsetzte Senta unaussprechlich. Ihr war, als hätte er sie schon wieder verlassen, dabei hatte sie ihn doch gerade erst gefunden! 
(Aus dem Roman)

Thomas findet das zunächst in Ordnung, aber auch er hätte es an manchen Tagen gerne etwas langsamer und zärtlicher, hätte gegen gelegentliches Streicheln vor dem Koitus nichts einzuwenden. Doch er will vor der Frau, in die er sich verliebt hat, nicht schlecht dastehen, und macht in diesem Tempo mit, kann es aber nicht lange durchhalten und ist immer ziemlich schnell fertig.
Das wiederum befriedigt Senta immer weniger. Nur ein einziges Mal kommt sie mit Thomas zum Höhepunkt, und dann bleibt sie wieder ohne zurück; mit jedem Abend, an dem sie sich treffen, unbefriedigter.

Doch sie sprechen nicht, jedenfalls nicht darüber. Senta beginnt zu zweifeln, was sie an diesem eher durchschnittlichen Mann denn überhaupt findet, und Thomas beginnt sich zu fragen, ob er die Art Sentas noch länger aushalten kann:
"Was für ein Blödsinn, das alles, dieses Gemache und Getue.
Dass man nicht einfach normal sein konnte!
Dass alles immer so kompliziert sein muss."


Als Senta, ziemlich betrunken allen Mut zusammennehmend, Thomas mitten im "O-Paradies" entgegenruft, wie unbefriedigend der Sex mit ihm sei, zieht sich Thomas zurück. Senta ist verzweifelt, denkt, dass sie an allem Schuld ist. Auch Thomas badet sich im Unglück, denn mit dieser Frau, das spürt er, ist es, bei allem Getue und Gedingse, das sie anstellt, doch etwas Besonderes.

An dieser Stelle dieses wirklich witzig geschriebenen Liebesromans, der wohltuenderweise auf alle genaueren Schilderungen des Liebeslebens seiner beiden Protagonisten verzichtet, denkt der Leser: das war's. Wieder einmal haben diese Alleinstehenden es nicht geschafft, aus einer Verliebtheit eine Beziehung zu machen, die halten kann, vielleicht sogar für das Leben.
Doch dann nimmt die Handlung eine ganz überraschende Wendung:
"Also war es jetzt soweit. Die Liebe sollte beginnen."

Iris Hanikas Sprache ist witzig und spritzig, immer wieder durchsetzt mit Textfetzen aus modernen oder auch klassischen Liedern und Werken, die gerade zur Handlung passen.
Der Rezensent hat dieses schöne Buch, das neben einer Liebesgeschichte auch eine liebevolle Beschreibung von Kreuzberg mit seinen Szenen und Menschen ist, mit großem Vergnügen gelesen, mit den beiden Verliebten gebangt und gezittert. Es ist tatsächlich eine Situation mit einem großen letztlich nicht aufschlüsselbaren Geheimnis: "Treffen sich zwei".

(Winfried Stanzick; 02/2008)


Iris Hanika: "Treffen sich zwei"
Literaturverlag Droschl, 2008. 238 Seiten.
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Lien zur Seite der Autorin: https://www.iris-hanika.de/.