Petra Hammesfahr: "Erinnerungen an einen Mörder"
Packender
Thriller um
einen achtjährigen Augenzeugen
Der achtjährige Felix wird an einem Nachmittag
blutverschmiert, durch die Straßen
seiner Kleinstadt irrend, aufgegriffen. In der Küche des
Hauses seiner Familie
liegen die grauenvoll zugerichteten Leichen seiner Familie: Vater,
Mutter, zwei
kleine Schwestern. Felix könnte dazu beitragen, die
Tragödie aufzuklären,
doch es scheint, als habe er
die Erinnerung
fest in eine Schublade
seines
Gehirns eingeschlossen und den Schlüssel weggeworfen.
Tante und Onkel nehmen Felix liebevoll auf, adoptieren ihn und
ermöglichen ihm
eine hervorragende Schulbildung sowie anschließend den
Einstieg ins Geschäft
des Adoptivvaters. Während seiner Internatszeit hat Felix
jedoch ein Schlüsselerlebnis,
das die Vergangenheit zum Aufbrechen bringt und ihn fortan dazu zwingt,
sich mit
ihr auseinanderzusetzen.
In Felix arbeitet es. In seine Stadt zurückgekehrt, wird er
von allen Seiten
mit den Schatten seiner Herkunft konfrontiert. Er begreift, dass es ihm
nicht
gelingen wird, diese auf sich beruhen zu lassen und einfach nur Sohn
seiner
Adoptiveltern zu sein; er muss sich seiner Erinnerung stellen und zur
Rehabilitierung seiner Familie beitragen, insbesondere seines
leiblichen Vaters,
der in der Stadt als Mörder verfemt ist und dessen Grab
geschändet wird. Als
er die Bekanntschaft einer Polizistin macht und bereit ist, in sein
Elternhaus
zurückzukehren, um den Erinnerungen auf die Sprünge
zu helfen, kommt es zu
einem dramatischen Abspann.
Dieser Thriller wird ganz aus der Perspektive von
Felix erzählt, und
zwar des erwachsenen Felix in Form eines Rückblicks. Auf
glaubwürdige Weise
sind jedoch die Empfindungen des Kindes, später des
Jugendlichen und jungen
Erwachsenen präsent, während der über
dreißigjährige Felix sein Leben
repetiert: "Produkt" eines von der Mutter absichtlich
herbeigeführten
Verhütungsfehlers, gequält und erniedrigt von der
sadistisch veranlagten Großmutter
und ihrer nicht weit vom Stamm gefallenen Tochter, ohne Schutz durch
den zu
weichen Vater, der selbst unter Frau und Schwiegermutter leidet und
außerhalb
der Familie zu scheinbar überzogenen Handgreiflichkeiten
neigt. Eindringlich
beschreibt die Autorin, wie sich aufgrund der finanziellen
Unersättlichkeit und
des Größenwahns von Felix' Mutter, genährt
durch die unausstehliche Großmutter,
ein Familiendrama anbahnt, das durch die Geburt zweier
Töchter, nicht erwünschter
als der Sohn, nur beschleunigt wird.
Felix' weitere Geschichte führt aufgrund der gelegentlich von
außen
herausgezerrten Erinnerungsfetzen zu einigen fatalen
Fehlschlüssen. Schließlich
streut die Autorin gezielt Andeutungen ein, die auf den wahren
Täter hinweisen,
doch der Leser kann sie noch nicht einordnen; Klarheit entsteht erst
zum Schluss
hin, als eine scheinbar hanebüchene Geschichte sich als die
reine Wahrheit
entpuppt und ein Motiv erkennbar wird.
Insgesamt eine spannend und einfühlsam erzählte
Geschichte, in der die Autorin
ohne Schwierigkeiten in die Rolle eines achtjährigen Kindes,
eines
Heranwachsenden und eines jungen Mannes schlüpft. Als Leser
eines Thrillers
sollte man sich vor viel Blut,
Kindesmisshandlung
der übelsten
Sorte und
Skrupellosigkeit nicht scheuen; Petra Hammesfahr ist mit diesem Roman
jedenfalls
ein weiterer Höhepunkt deutscher Kriminalliteratur gelungen,
denn die Auflösung
wirkt keineswegs selbstverständlich, der Aufbau ist logisch
und in sich schlüssig,
und obwohl der Leser sich zwischenzeitlich fragt, wohin die diffusen
Kindheitserinnerungen eines indirekten Mordopfers führen
sollen, fällt es
schwer, mit der Lektüre vor der letzten Seite
aufzuhören.
(Regina Károlyi; 08/2008)
Petra
Hammesfahr: "Erinnerungen an einen
Mörder"
Wunderlich, 2008. 442 Seiten.
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Petra Hammesfahr, Schriftstellerin und Drehbuchautorin, wurde am 10. Mai 1951 geboren.