Gudrun Hammer: "Trost verschwindet"
Was könnte uns die Welt, was
könnten uns die Menschen, denen wir alltäglich begegnen, alles erzählen, wenn
wir, wie sie selbst, hinter die Kulissen ihres Lebens blicken könnten.
Da ist der Berufs- und Lebensalltag anscheinend stabil, das Leben geht seinen
alltäglichen Gang zwischen dem Klingeln des Weckers am oft sehr frühen Morgen
und dem Löschen des Lichts nach einem erschöpften Abend. Die Organisation des
Lebens funktioniert nach bestimmten Regeln, je nach Familiensystem verschieden,
aber doch mehr oder weniger erfolgreich. Zwischen Haushalt, Arbeitsplatz und der
Kindererziehung vergeht für viele Menschen das Leben allzu schnell. Ein jährlicher
Urlaub, wenn die immer schmaler werdende Haushaltskasse es zulässt, bietet nur
kurzfristige Pausen und Erholung von diesem klar durchgeplanten Zahnräderwerk.
Wenigen Menschen, wenigen Paaren nur gelingt es, auch zwischendrin innezuhalten,
Zeit für sich zu reservieren, nachzudenken, auszuspannen, Zeit für Zärtlichkeit
und Intimität zu haben und die Schwerpunkte und Prioritäten ihres Lebens und
ihrer Familie nicht aus den Augen zu verlieren.
Dann ziehen sie oft ein ins gemeinsame Haus, jene traurige Schwester Tristesse
und ihr bulliger Bruder Frust. Und irgendwann tut es einen Schlag - und nichts
ist mehr so, wie es war. Entweder hält es einer nicht mehr aus und geht (die
Kinder können das nicht und reagieren mit vielfältigen Verhaltensauffälligkeiten),
oder jemand wird ernsthaft krank, meistens am Herz (Kreislauf) und an der Seele.
Schwer ist es dann einen Ausweg zu entdecken, noch schwerer, den Lebensfaden,
erst recht die spirituelle Orientierung wieder zu finden. Immer mehr Menschen
verdienen, nicht immer gut ausgebildet übrigens, mit dem Beheben der Folgeschäden
dieses Beziehungs- und Lebensleides in unserer Gesellschaft ihr Geld, und es ist
nicht zu erkennen, dass es dabei eine baldige Änderung zum Positiven geben
wird.
Der Roman der in Hamburg lebenden Literaturwissenschaftlerin, Lektorin und
Journalistin Gudrun Hammer handelt davon. Sein Titel "Trost verschwindet"
ist dabei durchaus doppeldeutig.
Albert Trost arbeitet seit vielen Jahren als Arzt in einer deutschen Kleinstadt.
Er hat die Praxis seines Schwiegervaters übernommen, als er seine Frau Ingrid
kennengelernt und geheiratet hat.
Während seiner großen Lebenskrise, in der "Trost verschwindet",
denkt er mehr als einmal an diese Zeit zurück, als er Ingrid kennenlernte, und
ihn verlässt dabei das Gefühl nicht, dass Ingrid gar keinen Ehemann gesucht
hat, sondern einen Arzt und Nachfolger für die väterliche Praxis. Viele
Erinnerungen kommen ihm hoch, und alle erzählen davon, wie er es zugelassen
hat, dass Ingrid ihn im langen Eheleben nach dem Bild, das sie sich vorher von
ihm gemacht hatte, geformt hat.
Sie hat damit jenen größten Verrat begangen, dessen man sich als Liebender
schuldig machen kann, wie Max Frisch 1957 in seinen Tagebüchern unter dem Titel
"Du sollst dir kein Bildnis machen" schon schrieb.
Doch Albert Trost hat es zugelassen, all die Jahre, er hat mitangesehen, wie
sein Leben ärmer und trostloser wurde, bis schließlich "Trost
verschwindet". Ohne irgendeinen Hinwies verschwindet er eines Tages,
hinterlässt seine verdutzte Frau Ingrid und seine Tochter Christine, die sich
zu glauben weigert, was sich die Mutter schon bald einredet, Trost sei einem
Verbrechen zum Opfer gefallen, bzw. er habe sich umgebracht, was noch
wahrscheinlicher sei, wenn man sei Verhalten in der letzten Zeit bewerte. So
beschließt sie schon einige Tage nach Alberts Verschwinden, und man hat den
Eindruck, das komme ihr auch ganz zupass. Sogar für tot erklären lassen will
sie ihn.
Christine begibt sich auf die Suche nach dem Vater, den sie kaum kennt. Sie füllt
den Anrufbeantworter seines Mobiltelefons mit Nachrichten und findet schließlich
heraus, dass Albert Trost in St. Pauli in einem Hotel wohnt, wohin er gezogen
ist, um sich zu Tode zu saufen. Doch das klappt nicht recht, Schluckbeschwerden
setzen seinem Alkoholkonsum enge Grenzen. Er wandert wahllos durch die Stadt und
das Rotlichtviertel und begegnet doch immer wieder nur der eigenen
Vergangenheit. Auch die Begegnung mit einer frühren Geliebten bringt ihn nicht
weiter.
Als Christine ihn endlich erreicht, stimmt er einem Treffen mit ihr in einem Café
zu. Jetzt, so denkt der Leser, könnte es zu der entscheidenden, vielleicht
lebensverändernden Szene kommen, einer Aussprache, einem neuem Anfang ...
Doch lesen Sie selbst.
Ein Roman ist da entstanden, der ein tristes und doch leider so alltägliches
Thema beschreibt, die Trauer, den Frust und die Einsamkeit hinter den Fassaden
von Menschen direkt neben uns.
Vielleicht ist es gut, dass wir nicht wirklich dahinter blicken können. Ich
glaube, wir könnten das Elend, den Zynismus und die Gewalt nicht ertragen, die
wir da sehen würden.
(Winfried Stanzick; 10/2008)
Gudrun Hammer: "Trost verschwindet"
Atrium Verlag, 2008. 240 Seiten.
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