Peter Härtling: "O'Bär an Enkel Samuel"
Eine Erzählung mit fünf Briefen
Eigenes Erleben und
literarische Fiktion spielerisch und anrührend verquickt: das Porträt
einer innigen Beziehung
Schon in seinem 2005 veröffentlichten Buch "Die Lebenslinie" hat sich
der in Walldorf bei Frankfurt lebende Schriftsteller Peter Härtling in einer
literarisch ansprechenden, unprätentiösen und nüchternen Weise mit der
Tatsache auseinandergesetzt, dass ein Herzleiden und viele andere Beschwerden
des Alters manchmal nicht nur seine Lebens- und Bewegungsmöglichkeiten einschränken,
sondern ihn auch zunehmend an dem hinderten, was doch sein Leben ist:
das
Schreiben.
Es ist offensichtlich. Peter Härtlings Gesundheitszustand hat sich nicht
wesentlich gebessert. Mehr noch: "Er hatte eine Reihe seiner Reportagen
und Interviews als Buch veröffentlicht, um die Gleichgültigkeit mit der seine
ehemaligen Kollegen die Publikation übergingen, hatte ihn aufgebracht. Sicher,
er gehörte nicht mehr dazu, befand sich im Ruhestand. Er geriet in einen
psychosomatischen Aufruhr, wurde ernsthaft krank, eine schwere Lungenentzündung
führte zu einem Erstickungsanfall und einem Emphysem. Der Notarzt begleitete
ihn auf die Intensivstation. Zwei Infarkte hatten ihm zuvor zugesetzt (vergleiche
"Die Lebenslinie", d.R.). Er merkte, wie er den Wörtern verlorenging. Er
steckte in einer Krise."
Peter Härtling alias Peter Weber ist verzweifelt. In dieser Zeit kommt in
Hamburg sein fünfter Enkel Samuel auf die Welt, der im Folgenden mit seiner
Mutter die Großeltern in Walldorf regelmäßig besucht. Vorsichtig, wie schon
damals bei seinen eigenen Kindern, nähert sich der Schriftsteller diesem neuen
Lebewesen, von dem er bald spürt, dass es eine wichtige Bedeutung für seinen
Lebensabend sowie für seine aktuelle Qual mit den Wörtern haben wird. Denn
indem Samuel nicht nur gehen sondern auch, zunächst lallend wie alle Kinder,
sprechen lernt, lehrt er seinen mit Schreibhemmung behafteten Großvater wieder
das Sprechen und schlussendlich auch das Schreiben. Samuel findet und erfindet Wörter.
Seinen Opa nennt er O'Bär. Er produziert die aberwitzigsten Silbensprünge
und Bubenstreiche und setzt den alten Mann damit immer wieder in Erstaunen.
Diese
Sprachsprudel
führen dem Schriftsteller die eigenen Blockaden schmerzhaft vor Augen, die er
auch durch Reisen und gelegentliches Halten alter Vorträge nicht auflösen
kann.
Irgendwann findet er aber doch ein Ventil: Er erzählt von diesen wunderbar
inspirierenden Spannungen zwischen dem Kind und dem Greis und schreibt seinem
Enkel Samuel fünf Briefe. Briefe, die der Bub einmal lesen wird, wenn sein Opa
vielleicht gar nicht mehr lebt, die diesem aber, schon während er sie schreibt,
zu neuem Leben und neuer Inspiration verhelfen.
Wie so oft bei Peter Härtling kehrt er auch hier wieder zu den Themen Liebe,
Alter und Verantwortung zurück und kann damit seinen bewegten Leser tief berühren.
Diese Betroffenheit ist umso größer, wenn man, wie der Rezensent, Peter Härtling
persönlich kennen und schätzen gelernt hat und das ganze Buch über mit seiner
verzweifelten Suche nach seinen verlorenen Wörtern und damit seiner Mitte
mitleidet.
Ein kleines Kind hat sie ihm wiedergegeben. Fast eine Weihnachtsgeschichte.
(Winfried Stanzick; 12/2008)
Peter
Härtling: "O'Bär an Enkel Samuel. Eine Erzählung mit fünf Briefen"
Kiepenheuer & Witsch, 2008. 109 Seiten.
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Hörbuch:
Gesprochen von Rolf Nagel.
Jumbo Neue Medien, 2008.
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