Evelyn Grill: "Das römische Licht"
Die Suche einer Frau nach sich
selbst
In ihrem Roman "Das römische Licht" erzählt die in Freiburg im
Breisgau lebende Schriftstellerin Evelyn Grill die Geschichte von zwei Frauen,
Schwestern, die sich mit dem bevorstehenden Tod ihrer Mutter konfrontiert sehen,
und in ihren Gesprächen, die sie während des Komas der Mutter führen, all die
bislang unbearbeiteten Erinnerungen und Verletzungen hochkommen spüren, die
sie, durchaus unterschiedlich, mit der Mutter verbinden, die sie aber auch in
ihrer gemeinsamen Kindheitsgeschichte miteinander teilen.
Xenia ist Malerin, und zu Beginn des Romans hat sich ihr langgehegter Traum
endlich erfüllt. Nach mehreren erfolglosen Versuchen ist nun ein neuerlicher
Antrag angenommen und ihr ein Stipendium in Rom gewährt worden. Jener Stadt,
die mit ihrem auch schon von anderen Künstlern beschriebenen "römischen
Licht" eine ganz besondere Anziehungskraft auf sie ausübte. Sie will sich
während ihres Aufenthaltes ganz auf ihre Arbeit konzentrieren und hofft auf
eine Ausstellung ihrer Werke in einer Galerie, zu der sie schon Verbindung
aufgenommen hat.
Doch sie ist kaum angekommen und hat erste Kontakte mit den beiden anderen
Mitbewohnern der Stipendiatenwohnung geknüpft, da erreicht sie ein Anruf ihrer
Schwester Lisa. Die Mutter, so teilt Lisa aufgeregt mit, sei ins Koma gefallen
und liege im Krankenhaus.
Xenia müsse sofort nach Hause kommen. Die Mutter, eine sehr bekannte
Schriftstellerin, sei bei einer Lesung zusammengebrochen, und es sei nach
Anraten der Ärzte dringend wichtig, dass bekannte Stimmen zu ihr sprächen.
Komapatienten bräuchten das, wenn sie wieder zurückkommen sollen.
Mit diesen Anruf, dem in den nächsten Wochen noch viele weitere folgen werden,
holt die Vergangenheit Xenia wieder ein, die sie doch hinter sich lassen wollte.
Eine Vergangenheit mit ungeklärten Beziehungen zur Schwester und zur Mutter,
die wohl ihr persönliches und berufliches Weiterkommen immer über das
Wohlergehen der Kinder gestellt hatte. Xenia lehnt es ab zu kommen, begründet
das auch umständlich und mit schlechtem Gewissen und fürchtet sich doch vor
jedem weiteren Anruf ihrer Schwester. Erinnerungen und wichtige, lebensprägende
Vorkommnisse aus Kindheit und Jugend tauschen sie da, meistens kontrovers, in
den wenigen Minuten ihrer hastigen Telefongespräche, aus. Xenia sieht sich
zunehmend gezwungen, sich mit ihrer Mutter auseinanderzusetzen, ihrem Egoismus,
unter dem sie Kind und Jugendliche so gelitten hat.
Sofort ist sie aber auch konfrontiert mit ihrem eigenen Weg als Künstlerin und
als Tochter, den sie, mit schlechtem Gewissen kämpfend, als nicht weniger
egoistisch einschätzt und darum ringt, positiv dazu zu stehen.
Das ist der eine Grund, warum Xenia bleibt und in den Wochen ihres Aufenthaltes
doch einige erstaunliche Bilder zustandebringt. Der andere Grund ist Alma, eine
Fotografin, der sie als Mitbewohnerin der Wohnung schon am ersten Tag begegnet
und die eine enorme, wohl auch erotische, Anziehungskraft auf sie ausübt.
Als Alma nach einigen Tagen verschwindet und nicht mehr auftaucht, scheint sich
die Geschichte zu wiederholen. Denn wie die Mutter damals verschwindet auch
jetzt die für Xenia emotional wichtig gewordene Alma, ohne sich zu
verabschieden.
Der Roman beschreibt auf unsentimentale Art die Suche einer Frau nach sich
selbst. Gleichzeitig gelingt es ihm, dem Leser mit wunderbaren
Ortsbeschreibungen von Rom
einen spürbaren und farbenfrohen Eindruck von jenem ganz besonderen "römischen
Licht" zu vermitteln.
"Das römische Licht" ist ein Roman, der mit feinem psychologischen Spürsinn
deutlich macht, dass ohne die schmerzhafte Auseinandersetzung mit der
Vergangenheit, in diesem Fall der Mutter, eigenes gelingendes und glückliches
Leben nicht möglich ist.
(Winfried Stanzick; 11/2008)
Evelyn
Grill: "Das römische Licht"
Residenz Verlag, 2008. 236 Seiten.
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