Manfred Lütz: "Gott"
Eine kleine Geschichte des Größten
Manfred
Lütz hat als Psychiater
und kritisch praktizierender Katholik ein Buch geschrieben, das man
sich von
einem Theologen gewünscht hätte, obwohl gerade
Lütz der Theologenzunft ein
eher redliches Zeugnis ausstellt.
"Die Theologie ist heute eine mühsame Disziplin
geworden. Die Öffentlichkeit
liebt eher die schrillen Gestalten, die laut 'Skandal' rufen und der
eigenen
Kirche ausdauernd die Leviten lesen. Die Hunderte von redlichen
Theologen werden
kaum beachtet. Die fleißig und auf hohem Niveau ihre wichtige
Arbeit tun, um
mit dem Licht der Vernunft heutigen Menschen den Glauben
verständlich
weiterzutragen. Bis in die jüngste Zeit haben sie ansprechende
Theologen
hervorgebracht, denen auch dieses Buch viel verdankt, auch wenn dies
hier nicht
eigens entfaltet werden konnten."
Vor allem sieht sich Lütz Karl Rahner verpflichtet, aber auch
dem Philosophen
Robert Spaemann, die Kritisches, zur Gottesfrage Wesentliches, von der
evangelischen Theologie noch längst nicht ausreichend
Rezipiertes vorgetragen
haben.
Manfred Lütz ist fest davon überzeugt und
erhärtet diese Überzeugung auch
durch Beispiele aus seiner Praxis, dass der Glaube an Gott zu den
stärksten Kräften
gehört, die unsere Gesellschaft zusammenhalten. Und da er der
Meinung ist, es
sei dringend an der Zeit, Gott neu zu entdecken, hat er dieses Buch
geschrieben.
Ein Buch, das locker geschrieben ist, mit einer gesunden Prise Humor,
und das
auch für jene Leser leicht verständlich ist, die
nicht studiert haben. Dabei
kommt Lütz zunächst überhaupt nicht
apologetisch daher, sondern geht insofern
dialogisch vor, indem er quer durch die verschiedenen Zeitepochen die
jeweiligen Atheismen ernst nimmt, mit ihnen diskutiert und dabei ihre relative und
absolute
Sinnlosigkeit entwickelt. Er liefert damit entlang der Geschichte des
Atheismus
quasi nebenbei eine kleine Philosophie- und Geistesgeschichte, die sehr
aufschlussreich zu lesen ist.
Leiten lässt sich Lütz durch sein ganzes Buch von der
Beobachtung, dass,
vielleicht auch gefördert vom zunehmenden islamistischen
Fundamentalismus, die
Gottesfrage nach jahrzehntelangem Exil nach Deutschland
zurückgekehrt ist, doch
ist dieses Land solche Diskurse nicht mehr gewöhnt. Dabei ist
immer wieder
festzustellen, dass die Argumente der Atheisten in diesem Diskurs
vielfach einem
überholten Weltbild verhaftet sind oder der platten Propaganda
des
real-existierenden Sozialismus entspringen. Aber auch die Argumente der
Christen
in dieser Debatte, zumindest dort, wo sie öffentlich
geführt wird, sind
genauso wenig diskursfähig, weil sie in einer Spezialsprache
vorgetragen
werden, die selbst "normalen" Christen schon lange nicht mehr
zugänglich
ist.
Allenthalben fehlt es an Wissen. Also hat sich Lütz aufgemacht
und erzählt die
Geschichte des Atheismus mit seinen Triumphen und Niederlagen. Es ist
spannend
zu lesen, wie die wissenschaftlichen Grundlagen des Atheismus an der
Wende zum
20. Jahrhundert erschüttert wurden, als mit der
Quantentheorie, der
Relativitätstheorie
und später dann der Theorie des Urknalls der gesamte
materialistische
Determinismus zusammenbrach, der immer das Rückgrat des
Atheismus darstellte.
Doch genauso wenig bekannt, konstatiert Lütz, ist wirkliches
Wissen über
Religion. Der
Dalai Lama wird gefeiert wie ein "Pop-Star",
und man nutzt
seine Lehren als eine Art autogenes Training zur geistigen "Fitness".
Der Islam wird immer rätselhafter, suspekter und
unverständlicher, und vom
Christentum, seiner Entstehung, seinen Lehren und Weisheiten
weiß der
Durchschnittsbürger in Europa nichts mehr, gar nichts, und
wenn er seine Kinder
taufen lässt und am 24. Dezember die Christmette besucht, ist
er dabei seltsam
bis ins Mark berührt . Warum wohl? Diese existenzielle Frage
hat der Besucher
der Christmette spätestens Anfang Januar wieder vergessen.
Manfred Lütz jedoch
geht ihr nach. Und wie er das tut, ist für den bisherigen
Atheisten, aber auch
für den Gläubigen, oder den, der es noch werden will,
faszinierend zu lesen.
Denn, nur wenn es Gott gibt, und nicht bloß ein
gleichgültiges, sinnloses All,
dann wird es für immer ein Bewusstsein davon geben, dass da
etwas gewesen ist,
postuliert Lütz, einen "nietzscheresistenten
Gottesbeweis" des
Philosophen Robert Spaemann aufgreifend. Nur wenn es Gott gibt, "wird
kein Wort einmal ungesprochen sein, kein Schmerz unerlitten, keine
Freude
unerlebt."
Wer an Gott glaubt, so Lütz, der glaubt, dass es Sinn,
Wahrheit und Liebe
wirklich gibt und dass das alles nicht bloß hormonell
gesteuerte, wie die Hirnforscher
meinen, oder evolutionär nützliche Illusionen sind,
wie die Evolutionsbiologen
behaupten.
"Eine Gesellschaft jedenfalls," schrieb
Lütz in einem Artikel
der "FAZ", "die umstandslos den Sinn des Lebens durch
flächendeckende
Freizeitpädagogik ersetzt, die Moral
durch die Polizei und die Religion
durch
die Befriedigung religiöser Bedürfnisse,
wäre ein Horrortrip - auch für
Atheisten."
Manfred Lütz hat ein Buch geschrieben, dem man weite
Verbreitung wünscht, und
tatsächlich hat der Rezensent in den letzten Wochen viele
Menschen getroffen
und gesprochen, die das Buch gelesen hatten oder gerade dabei waren;
Menschen,
von denen er nie im Leben gedacht hätte, dass sie sich mit der
Frage nach Gott
befassen würden.
Es scheint langsam so zu kommen, dass die Beschäftigung mit
christlicher
Theologie und Glaube nicht mehr nur reflexartig auf einen Islam
erfolgt, der den
Menschen Angst macht, sondern aus tiefer liegenden Gründen. Ob
das auch die
Kirchen in Deutschland begreifen und die Menschen dabei
unterstützen? Pfarrer
waren jedenfalls nicht unter den Menschen, mit denen der Rezensent
über dieses
Buch sprach.
Ein abschließendes Zitat mag zeigen, worauf Lütz
hinaus will:
"Der Gott, den man da (sc. mit der Theodizeefrage) anklagte,
war gar
nicht Gott. Die Frage nach dem Sinn von Leid stellt sich aber ganz
anders, wenn
man die Gewissheit hat, dass Gott selbst Mensch geworden ist und aus
Liebe zu
den Menschen nicht nur scheinbar, sondern wirklich entsetzlich als
Mensch und
damit wie ein Mensch gelitten hat, um uns dauerhaft von allem Leid zu
erlösen.
Der Gott, an den die Christen glauben, ist kein bloß kalt
Allmächtiger,
sondern ein leidenschaftlich Mitleidender. Ein solcher Gott, der nicht
in erster
Linie allmächtig, sondern vor allem ein menschgewordener Gott
ist, kommt natürlich
mit dem Respekt vor der Freiheit der Menschen nicht wirklich in
Konflikt. Und
ein aus Liebe mitleidender Gott kann so auch kein Gott sein, der vor
allem
dauernd erbittert mit dem moralischen Zeigerfinger herumfuchtelt."
Bevor Sie vorschnell auf die Argumente der modernen Atheismusdogmatiker
wie
beispielsweise Richard Dworkin eingehen, lesen Sie dieses Buch. Es wird
Sie, und
vor allen Dingen Ihr Bestreben nach vernünftigem Denken, auch
in Sachen der
Religion und des Glaubens, nicht enttäuschen. Auch allen
resignierten Christen
sowie allen, die nach einer fundierten und vernünftigen
Grundlage für ihre
Religiosität suchen, kann dieses Buch nur empfohlen werden.
(Winfried Stanzick; 01/2008)
Manfred
Lütz: "Gott. Eine kleine
Geschichte des Größten"
Pattloch, 2007. 300 Seiten.
Buch
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Hörbuch (Autorenlesung):
steinbach sprechende bücher, 2008. Laufzeit ca. 280 Minuten.
Hörbuch-CDs
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Manfred
Lütz ist Facharzt für
Nervenheilkunde, Psychiatrie und Psychotherapie, außerdem
Diplom-Theologe. Seit
1997 fungiert der Autor mehrerer Erfolgstitel (u.a. "Der blockierte
Riese") als Chefarzt des "Alexianer-Krankenhauses" in Köln-Porz.
Weitere Bücher des Autors (Auswahl):
"Der blockierte Riese. Psycho-Analyse der katholischen Kirche"
Für unkonventionelle Atheisten und für Christen, die
das Jammern satt haben.
Ist die katholische Kirche noch zu retten? Manfred Lütz hat
seine aufregende
These bereits Tausenden begeisterten Zuhörern vorgetragen: In
ihrem Alltag
spiegelt die Kirche das Verhaltensrepertoire einer typischen
Alkoholikerfamilie
wieder. Ihre Depression ist hausgemacht. Sie ist gelähmt durch
eine gewaltige
Selbstblockade. Der Autor lüftet Geheimnisse dieser
rätselhaften Institution,
deckt ihre versteckten Ressourcen auf und stellt der Kirche als
Therapeut eine
optimistische Zukunftsprognose. Das Buch ist witzig und zugleich
seriös
geschrieben. Es bietet eine Einführung in modernste
Psychotherapie am Beispiel
eines außergewöhnlichen Patienten - der katholischen
Kirche. Es wurde
geschrieben für psychotherapeutisch interessierte
unkonventionelle Atheisten
mit einer Schwäche für exotische Fälle und
für Christen, die das Jammern
satt haben. Das Buch liefert eine provozierende Gesellschaftsanalyse.
Es gewährt
Einblicke in die Organisationsberatung und ist nebenbei ein
unterhaltsamer
Spaziergang durch die zweitausendjährige spannende
Krankengeschichte des
Patienten. Diese weltumspannende Religionsgemeinschaft ist die
älteste noch
bestehende Großinstitution der Welt. Doch nimmt man auch bei
ihr keine
Bewegungen mehr wahr, sie wirkt blockiert und starr, reagiert sogar auf
Schmerzreize nicht mehr. Vieles spricht dafür, dass sie
zumindest ein kranker
Riese ist. Erleben wir derzeit die Götterdämmerung
dieses Riesen oder ist er
gar tot? Durch ungewöhnliche Beleuchtungstechniken werden
wichtige Geheimnisse
dieser rätselhaften Einrichtung gelüftet und
lehrreiche Überlebensstrategien
aufgefunden. Der Autor kommt zu überraschenden Ergebnissen.
(Knaur)
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"Lebenslust.
Über
Risiken und Nebenwirkungen des Gesundheitswahns"
"Unsere Vorfahren bauten Kathedralen, wir bauen Kliniken.
Unsere
Vorfahren retteten ihre Seele, wir retten unsere Figur. Keine Frage,
wir haben
eine neue Religion: die Gesundheitsreligion."
Vor lauter Sportkult und Selbstkasteiung haben viele Menschen schon
fast
vergessen, was das Leben ausmacht. Höchste Zeit für
die Verteidigung der Lust,
höchste Zeit, etwas gegen den Gesundheitswahn zu tun!
Scharfsinnig und unterhaltend analysiert der Manfred Lütz, wie
Gesundheit
zu
einer fundamentalistischen Religion geworden ist, und feuert satirische
Breitseiten auf das übertriebene Streben nach Sportlichkeit
und einem Alter
ohne Falten. Vor allem aber setzt Lütz an die Stelle der
heiligen Kuh "Gesundheit"
ein ganzheitliches Konzept, bei dem der Spaß am Leben nicht
länger ein künstliches
Produkt der Gesundheitsindustrie ist. (Droemer)
Buch
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Noch
ein Buchtipp:
Robert Spaemann: "Das unsterbliche Gerücht. Die Frage nach
Gott und die Täuschung
der Moderne"
Das Gerücht, dass es Gott gebe, liegt, wo immer Menschen
sind, in der Luft.
Was meinen wir heute, wenn wir "Gott"
sagen? Haben wir Grund zu glauben, dass er existiert? Ist er unsere
Idee oder
sind wir die seine?
Dass Religion Privatsache sei, gilt seit langem für
ausgemacht. Dass dies ein
Irrtum ist, darüber haben uns spätestens die
Selbstmordattentäter belehrt.
Die Frage, ob Gott solche Taten billigt oder missbilligt, ist von
öffentlichem
Interesse. Lassen sich Fragen nach der Existenz Gottes und nach einer
eventuellen Offenbarung seines Willens rational erörtern? Und
wenn ja, ist es
berechtigt, sie auf sich beruhen zu lassen? Was steht dabei auf dem
Spiel?
Die Wahrheitsfähigkeit des Menschen - in dieser Antwort stimmt
Robert Spaemann
mit Friedrich
Nietzsche und Richard Rorty überein. Nur mit dem
Unterschied, dass diese
Autoren beides leugnen, während Robert Spaemann beides, die
Existenz Gottes und
die Wahrheitsfähigkeit der menschlichen Vernunft verteidigt.
Mit Wittgenstein hält
Spaemann es für den Aberglauben der Moderne, dass uns die
Naturgesetze die Welt
erklären, während sie doch selbst das
Erklärungsbedürftigste in der Welt
sind.
Robert Spaemann greift seit Jahrzehnten in öffentliche
Grundsatz- und
Wertedebatten ein wie die atomare Bewaffnung, den Kosovokrieg, die
Abtreibungs-
und Euthanasiegesetzgebung, Sloterdijks
Vorschläge zur Menschenzüchtung. Er greift die
"europäischen Werte"
in Büchern, Zeitschriften, Zeitungen und Fernsehdebatten auf
und stellt sie
infrage. Auch der geistigen Situation der Kirchen gilt seine
Aufmerksamkeit.
Immer geht es Spaemann darum, die Errungenschaften der Moderne gegen
eine der
Moderne innewohnende Tendenz zur Selbstaufhebung zu verteidigen.
Robert Spaemann, geboren am 5. Mai 1927 in Berlin, studierte
Philosophie,
Romanistik und Theologie
in Münster, München und Fribourg, habilitierte sich
1962 für Philosophie und Pädagogik in
Münster und lehrte von 1962 bis 1992
Philosophie an der TH Stuttgart und den Universitäten
Heidelberg und München,
wo er 1992 emeritiert wurde.
Er hatte zahlreiche Gastprofessuren inne und erhielt
mehrere
Ehrendoktorwürden. Träger des "Karl-Jaspers-Preises"
2001 der Stadt
und der Universität Heidelberg. (Klett-Cotta)
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