Johannes Saltzwedel (Hrsg.): "Götter, Helden, Denker"
Die Ursprünge der europäischen Kultur im antiken Griechenland
Was
31 Mosaiksteinchen erahnen
lassen
Der Herausgeber und auch Verfasser einzelner Beiträge Johannes
Saltzwedel ist
promovierter Germanist und Redakteur beim "SPIEGEL", wo er vorwiegend
mit kulturgeschichtlichen Themen betraut ist. Weitere sechzehn
Mitarbeiter des
"SPIEGEL" sowie acht mit der griechischen Antike befasste Professoren
wirkten an den 31 Beiträgen dieses Buches mit. Mit 252
Textseiten ergibt sich
so eine durchschnittliche Beitragslänge von acht Seiten.
Betrachtet man die
Themenliste, so kann man sich zu Anfang angesichts der thematischen
Bandbreite
einer gewissen Skepsis nicht erwehren. Das monumentale Mosaik der
griechischen
Klassik vor Augen fragt man sich unweigerlich, wie denn 31 Steinchen
ein Bild
ergeben sollen?
Bei einem Werk dieses Zuschnitts interessiert es den Leser
natürlich auch, ob
denn das Buch Fragen beantworten will oder Fragen aufwerfen. Bietet es
einen
Einstieg in ein Thema, und kann ohne profunde Kenntnisse des
Gegenstandes
verdaut werden, oder spricht es eher den Ahnenden, den Wissenden an und
möchte
diesen zum Nachdenken oder gar Umdenken anregen? Wir werden sehen ...
Neben einem einleitenden Kapitel folgt die weitere Gliederung der
Beiträge den
üblichen Epochen Frühzeit, Klassik und Hellenismus.
Porträts von
Gewaltherrschern (Alexander, Philipp V.),
Philosophen
(Heraklit,
Sokrates und
sein Chronist Platon, Aristoteles), Wissenschaftlern (Pythagoras,
Poseidonios)
und Künstlern (Homer) wechseln sich ab mit
Beschreibungen
geschichtlicher
Prozesse (attische Demokratie, Hellenisierung des
östlichen
Mittelmeerraumes),
der Kunst (Ilias, Diskos von Phaistos, Aphrodite von Knidos,
Laokoon-Gruppe,
Theater) oder Fragestellungen des Alltags (die
Rolle der Frau,
Ostrakismos,
Olympische Spiele, Schiffe).
In "Alphabet der Kultur" stellt der Althistoriker Josef
Wiesehöfer
die Gültigkeit unserer abgrenzenden Sichtweise des antiken
Hellas in Frage. Er
schreibt: "Wenn aber Kulturen und Völker keine
historischen Realitäten
sind, sondern Abstraktionen im Blick des jeweiligen Betrachters, dann
verstellen
Aussagen über die frühe 'griechische' Kultur im
Gegensatz zur zeitgleichen 'orientalischen'
nur den Blick. (...) Bis weit ins 20. Jahrhundert wurden dabei die
entscheidenden kulturellen Fortschritte der Menschheit einem vertrauten
Griechenland zugeschrieben, das dem angeblich fremdartigen Orient
entgegengesetzt erschien." Zwar ist diese differenzierte
Sichtweise
heute relativ weit verbreitet, doch regt der Beitrag Prof.
Wiesehöfers zum
Nachdenken an.
Gewissermaßen zu erwarten war die Auseinandersetzung mit
Raoul
Schrott, der kürzlich
in einem Anflug von archäologischem und philologischem
Synkretismus Homer und
Troja neu erfand. Wahrscheinlich musste man den homerischen Doyen
Joachim Latacz
auch nicht lange bitten, hierzu ein paar klärende Worte zu
schreiben. Traurig
an der ganzen Sache ist nur, dass es Raoul Schrott mit seinen
Ungereimtheiten
auf Anhieb in die Haupt-Nachrichtensendungen schaffte, während
die wirklichen
Fachleute meist nur zu den Feuilletons und Kultursendungen der "Dritten
Programme" Zutritt haben. Boulevardisierung der Medien nennt sich
dieses Phänomen.
Das Interview mit Prof. Jans-Joachim Gehrke wirft mehr Fragen auf, als
es
beantwortet. Insgesamt gehören die Interviews nicht zu den
Glanzstücken des
Buches. Auch der Sinn des Beitrages über den Leiter des
Berliner
Wissenschaftskollegs Luca Giuliani erschloss sich dem Rezensenten nicht.
In solch einem Mosaik kann es natürlich auch zu szenischen
Überschneidungen
kommen, und so erfährt der Leser im Abstand von 48 Seiten
gleich zweimal von
dem Ringer Milon und seinem angeblich täglichen Verzehr von
acht Kilogramm
Fleisch.
Fazit:
Um auf die einleitenden Fragen wieder einzugehen, kann man festhalten,
dass sich
trotz aller anfänglichen Skepsis im Zuge der Lektüre
doch ein erstaunliches
Bild dieser zentralen europäischen Epoche abzeichnete. Auch
die Themenwahl in
ihrer anfangs verwirrenden Breite stellt sich am Ende als wohldosiert
dar. Und
damit deuten sich auch erste Hinweise auf den Leserkreis an. Da neben
den
klassischen Aspekten auch Randthemen präsentiert werden,
dürfte nahezu jeder
Leser auf Neues oder anders Beleuchtetes stoßen.
Ein hübsches Buch, das schnell gelesen ist und für
nahezu jeden etwas zu
bieten hat, und wenn es nur die Erkenntnis ist, dass man ein solches
Thema nicht
zwischen zwei Buchdeckel pressen kann ...
(Klaus Prinz; 09/2008)
Johannes
Saltzwedel (Hrsg.): "Götter,
Helden, Denker"
DVA / SPIEGEL, 2008. 285 Seiten.
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Weitere
Lektüretipps:
Stefania Ratto: "Griechenland. Wiege der Demokratie"
Bildlexikon
der
Völker und Kulturen, Band 4.
Keine Kulturepoche hat je wieder eine solch überragende
Bedeutung erlangt wie
jene, die das antike Griechenland im 5. Jahrhundert vor unserer
Zeitrechnung
hervorbrachte. Selbst das
Mittelalter
konnte die Erinnerung an das
klassische
Altertum nie ganz auslöschen. Was diesem an den kraftvollen
Figuren eines
Phidias oder der Raumordnung des Parthenon fremd blieb, haben die
nachfolgenden
Jahrhunderte zu ihrem ethischen und ästhetischen Ideal
erklärt: die Verkörperung
eines dem Diesseits verpflichteten Individuums. Der vorliegende Band
veranschaulicht anhand der Bau- und Bildkunst, ihrer lokalen Stile und
Protagonisten, die Herausbildung des klassischen Kanons seit der Zeit
Homers bis
hin zu seiner Auflösung in der manierierten Exzentrik
späthellenistischer
Plastiken oder der prächtigen Fassadenarchitektur Pergamons
und zeigt auf, wo
seine prägenden Kräfte zu suchen sind: in der
mythischen Erzählung und der
Autonomie der Polis. (Parthas Verlag)
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Homer:
"Ilias"
In der Fassung von Raoul Schrott. Übersetzt aus dem
Griechischen von Raoul Schrott.
Das älteste Epos Europas und der
Ursprungsmythos des Abendlandes in einer neuen,
zeitgemäßen Übertragung von
Raoul Schrott: Noch nie wurde dem heutigen Leser dieses große
Epos vom
Troianischen Krieg so nahe gebracht, in einer ebenso kraftvollen wie
bildhaften
Sprache. Ausgelöst von Paris' Raub der schönen
Helena, schildert Homer blutige
Schlachten zwischen Griechen und Troianern und erzählt
von den
Göttern, die
den Menschen bei ihrer Selbstzerfleischung zuschauen. Homers Geschichte
ist das
gleichsam enzyklopädische Monument jener Kultur, von der
unsere heutige sich
ableitet. (Hanser)
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Raoul
Schrott:
"Homers Heimat. Der Kampf um Troia und seine realen
Hintergründe"
Wer war Homer wirklich? Raoul Schrott ist bei der Arbeit an seiner
Ilias-Übersetzung
auf eine Sensation gestoßen: Der Schauplatz der Ilias ist
nicht Troia, sondern
Kilikien. Diese These legt er in seiner großen Studie "Homers
Heimat"
mit einer Fülle von Daten, Fakten, Belegen und Indizien vor -
und das erste Mal
seit mehr als 2500 Jahren wird nicht nur der zeitgenössische
Hintergrund der
Ilias rekonstruiert, sondern auch die Person Homer und ihre Herkunft
erkennbar
gemacht. Schrott hat die kilikischen Hintergründe für
die Götter und
Heldenfiguren der Ilias erforscht; die kilikische Landschaft bereist;
die
Realgeschichte wiedergefunden, die Homer in den alten Troiastoff
projiziert, und
die historischen Vorbilder für unsterbliche Figuren wie Paris,
Helena, Hektor,
Achilleus und Priamos. (Hanser)
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Rüdiger Schaper: "Die
Odyssee des Fälschers"
Die
abenteuerliche Geschichte des Konstantin Simonides, der Europa zum
Narren hielt
und nebenbei die Antike erfand
Konstantin Simonides war der geschickteste und schamloseste
Fälscher von alten
Manuskripten im 19. Jahrhundert. Rüdiger Schaper bietet eine
hinreißende
biografische Erzählung, die zudem auf anschauliche Weise die
Frage nach
Originalität und Fälschung stellt. Das Buch weckt
nicht nur Sympathien für
seinen skurrilen Helden, sondern beschwört zugleich die
Antikensehnsucht vom
19. Jahrhundert bis heute und zeigt, wie sich das moderne Europa seine
Antike
erfand.
Wir befinden uns am Beginn des 19. Jahrhunderts, Griechenland ringt um
seine
Freiheit, und auf einer kleinen Insel in der Ägäis
erblickt Konstantin
Simonides das Licht der Welt. Wegen eines Giftattentats auf den
Klosterberg
Athos verbannt, erlernt er dort die Kunst der Manuskriptbearbeitung.
Dann
beginnt seine Odyssee: Athen, Konstantinopel, Paris,
Leipzig, London
- überall taucht der geheimnisvolle Grieche auf und bietet
Werke an, die jedes
Sammlerherz höher schlagen lassen. Doch woher stammt seine
Ware? Sind die von
ihm angebotenen Kostbarkeiten echt?
Turbulenzen sind Simonides' Begleiter: ein internationaler Skandal,
Gefängnisaufenthalt,
eine gefälschte Biografie und ein Lebensende, das
nebulös bleibt. Dies ist die
wahre Geschichte eines genialen Fälschers, die uns bis heute
in ihren Bann
zieht.
Rüdiger Schaper, Jahrgang 1959, leitet das Kulturressort des
"Berliner
Tagesspiegel", für den er seit 1999 tätig ist. Zuvor
war er zehn Jahre
lang Kulturkorrespondent der "Süddeutschen Zeitung" in Berlin.
(Siedler
Verlag)
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