Theo Buck: "Der Poet, der sich vollendet"
Goethes Lehr- und Wanderjahre
Überzeugende
Darstellung von
Goethes vielleicht wichtigstem Lebensabschnitt
Vor genau 200 Jahren, zur Leipziger Frühjahrsmesse 1808,
erschien der erste
Teil von Goethes
"Faust"-Tragödie, die bis dahin lediglich als
Fragment vorgelegen hatte. Und Jahre später erst sollte der
zweite Teil der
"Faust"-Dichtung folgen. Goethes "Faust" unterlag somit
einem Entstehungsprozess, den man als typisch für das
literarische Schaffen
Goethes bezeichnen kann. Sein Schaffensprinzip war nicht das einer
Legehenne,
die ein fertiges Ei legt, es wurde vielmehr bestimmt von einem
fortschreitenden,
etappenweisen Schaffensprozess, von einer allmählichen
Progression. Und nach
ganz ähnlichen Kriterien verlief auch die Gestaltung von
Goethes Leben. Theo
Buck, Professor für Neuere Deutsche Literatur und Autor dieses
Buches, bemerkt
dazu in seinem Vorwort: "Goethes spezifische Gestaltung von
Werk und
Leben konkret miteinander zu verbinden, war die Triebfeder meiner
Untersuchung."
Die aus Goethes Leben heraus gewachsene und nur von daher zu
verstehende
Bedeutung seiner Werke dem Leser zu erschließen, dies ist
Theo Bucks Maxime,
nach der er sein Buch konzipiert hat. Den ruhelosen Wanderer Goethe,
dessen
Glaubensbekenntnis "Bewegung ist mir ewig nötig"
sowohl als
ein Credo der nach außen gerichteten Bewegung, mehr aber noch
als ein nach
innen gewandter, geistig-dynamischer Prozess verstanden werden kann;
diesen
rastlosen, nach Vollendung strebenden Künstler versucht Theo
Buck in seiner
tief schürfenden Studie einem breiten Leserpublikum nahe zu
bringen. Ohne sich
in belanglosen und den Leser zumeist auch noch langweilenden
biografischen
Details zu ergehen, verfolgt der Autor den Weg Goethes von dessen
dichterischen
Anfängen bis zur Rückkehr von seiner "Italienischen
Reise", von der er schließlich
zurückkehrte als "der Poet,
der sich vollendete". So jedenfalls sah es wohl Goethe
selbst, und so
sieht es auch Theo Buck.
Von Frankfurter Sturm-und-Drang-Zeiten über die erste Weimarer
Epoche führt
der Weg zur Vollendung endlich nach Italien. In Rom wurde Goethe zu dem
klassischen Dichter, als der er im Bewusstsein der
Öffentlichkeit bis heute
weiter lebt. Die Umorientierung in Goethes Leben, die sich
während seines
Aufenthaltes in Italien, namentlich in Rom, vollzogen hatte, die fiel
zeitlich
zusammen mit einem weiteren Wendepunkt in Goethes Leben, mit dem
Erreichen der
Lebensmitte. Goethe sprach in diesem Zusammenhang von "einem
Zeitraum
neuer Art" und - gerade einmal 38 Jahre alt - konstatierte
er: "Jetzt
da das Alter kommt ..."
Rührte aber nun des Dichters Umorientierung nicht
hauptsächlich von diesem
Erreichen der Lebensmitte her, einem Punkt, der stets mit einer aus dem
Unbewussten kommenden psychologischen Umorientierung einhergeht? War
diese
vielbeschworene Umorientierung vielleicht gar nicht so sehr Produkt der
inspirierenden Atmosphäre Roms, wie Buck und Goethe selbst uns
glauben machen
wollen? Ausgerechnet von einem Aufenthalt in Rom die Position eines "liberalen
Weltsinnes", einer "überfreien Gesinnung"
herzuleiten, erscheint mir schon beinahe widersinnig. Was mag damals so
inspirierend gewesen sein an Rom, einem Ort, der in der Antike doch
vornehmlich
für Unterdrückung, Unfreiheit, Versklavung,
für blutige Eroberungskriege und
Staatsterror stand? Selbstverständlich kann und mag ich das
Bild des antiken
Roms nicht auf eine auf Eroberung und Unterwerfung ausgerichtete
Militär-Maschinerie
beschränkt sehen. Natürlich gab es da auch die
klassische Kunst der Antike,
und die klassische Ästhetik sah ja das vollendete Kunstwerk
als die höchste
Form der Erkenntnis an. Danach richtete sich denn auch Goethes Streben
aus.
Goethe gewann aber noch eine andere wichtige, vielleicht zu wenig
beachtete
Erkenntnis, die er wie folgt formulierte: "Wir ahnen die
furchtbaren
Bedingungen, unter welchen allein sich selbst das entschiedenste
Naturell zum
Letztmöglichen des Gelingens erheben kann." Durch
diesen Satz gesteht
er sich aber ein, dass die höchste Kunst nur aus der Quelle
innerer
Inspiration, aus dem Leiden gar, aus der Ahnung des nahen Todes, aus
der "Vereinsamung
und Entsagung", wie Theo Buck es ausdrückt,
entstehen kann, und nicht
aus irgendwelchen nostalgischen Mystifikationen eines eingefleischten
Rom-Enthusiasten. Doch vielleicht liegt die Wahrheit ja - wie so oft -
in der
Mitte.
Breiten Raum in diesem Goethe-Buch nehmen Bucks fundierte und
überzeugende
Interpretationen zu den Werken Goethes ein, die während seiner
Reisen und
seines Italien-Aufenthaltes entstanden, beziehungsweise vollendet
worden sind.
Bis in ihre feinsten Verästelungen spürt Theo Buck
Goethes Sätzen nach, um
den Intentionen des Dichters auf den Grund zu kommen. Nur geschieht
dies
bisweilen in einem zu gelehrten Stil, der dem Anspruch, sich nicht nur
an den
Fachwissenschaftler, sondern auch an einen breiteren Leserkreis zu
wenden, nicht
immer gerecht werden kann. Was soll sich beispielsweise der Laie unter
der "Steigerung
des Faustkomplexes vom Urfaust bis zur Entelechie eines
transzendierenden
Kontinuums" vorstellen? "Alliteration, Assonanz,
Anapher und
schwebende Betonung, die den gemessenen Fluss der lyrischen Rede
akzentuierend
mittragen", werden für die meisten Laien
Böhmische Dörfer bleiben,
ebenso wie das "transsubjektive, ästhetisch
mediatisierte
Funktionsensemble". Und auch "der semantische
Horizont, der
sich zum Ausdruck visualisierend angesprochenem dichterischem
Bewusstsein des
lyrischen Ichs öffnet", dürfte wohl nicht
der Horizont des
literarisch interessierten Durchschnittslesers sein. Dann ist Theo
Bucks Text
auch noch gespickt mit zahlreichen Fremdwörtern, manchmal zu
viele für mein
Empfinden. "Pauperisierte Menschen" statt verarmte
Menschen, "lyrische
Narration" statt lyrischem Erzählen, "Casualgedicht"
anstelle von Gelegenheitsgedicht, ein "orientasisiertes
Griechenland"
et cetera. Man könnte zahllose weitere Beispiele dieses
gelehrten,
professoralen Stils anführen, sie lassen sich praktisch auf
jeder Seite finden.
Das ist gewiss nicht die geeignete Art und Weise, sich einem breiteren
Leserkreis verständlich zu machen.
Doch abgesehen von solchen, teils recht schwer verdaulichen
Satzkonstruktionen
und Worthappen, die er bisweilen zu schlucken hat, sollte auch der
literaturwissenschaftlich weniger bewanderte Leser dieses Buch mit
Gewinn
studieren können. Es bietet nämlich eine fundierte
und sehr gute Einführung
in die Welt und in das Werk Goethes, indem es detailliert einen
wichtigen
Lebensabschnitt des Dichters in allen seinen Facetten beleuchtet. Im
Mittelpunkt
stehen dabei die in jeder Hinsicht überzeugend wirkenden
Interpretationen
ausgewählter Werke Goethes. Und auch Grundsätzliches
über das Deuten und
Interpretieren von Kunst im Allgemeinen oder Literatur im Besonderen
kann der
Leser von Theo Buck lernen. Beispielsweise, dass die Deutung eines
Kunstwerkes
auch immer ein wenig von der jeweiligen Situation des Rezipienten
abhängen
kann, ähnlich wie Ausgang und Verlauf eines Quantenprozesses
von der
Anwesenheit eines Beobachters mitbestimmt werden. Kunstwerk und
Rezipient gehen
also gewissermaßen eine Bindung ein.
Theo Bucks Goethe-Publikation nimmt sicher eine herausragende Stellung
ein,
schwimmt ganz oben auf der Flut der Goethe-Literatur. Buck ist es
gelungen, ein
lebendiges, eindrucksvolles Porträt des Dichters zu zeichnen,
und seines
Menschenbildes, das bestimmt war von der Eigenverantwortlichkeit des
Menschen
und der sich daraus ergebenden ethischen Forderung nach
Selbstgestaltung
und Entwicklung seines Wesens.
(Werner Fletcher; 03/2008)
Theo
Buck: "Der Poet, der sich vollendet.
Goethes Lehr- und Wanderjahre"
Böhlau Verlag Köln, 2008. 442 Seiten.
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Weitere
Buchtipps:
Ernst-Gerhard Güse und Hermann Mildenberger (Hrsg.): "Johann
Wolfgang
Goethe - Landschaftszeichnungen"
Die Klassik Stiftung Weimar besitzt einen einmaligen Bestand von
eigenhändigen
Zeichnungen Goethes.
Im historischen Teil seiner "Farbenlehre"
kommt Goethe auch - in einer "Konfession des Verfassers" - auf sich
selbst zu sprechen: "Ich war in einsamen Stunden
früherer Zeit auf die
Natur aufmerksam geworden, wie sie sich als Landschaft zeigt, und
hatte, da ich
von Kindheit auf in den Werkstätten der Maler aus und ein
ging, Versuche
gemacht, das, was mir in der Wirklichkeit erschien, so gut es sich
schicken
wollte, in ein Bild zu verwandeln; ja ich fühlte hiezu, wozu
ich eigentlich
keine Anlage hatte, einen weit größern Trieb als zu
demjenigen, was mir von
Natur leicht und bequem war."
Das zeichnerische Werk Goethes steht also zumindest zeitweise mit im
Zentrum von
Goethes Schaffen.
Essays von Javier Arnaldo, Werner Hofmann, Petra Maisak, Margarete
Oppel und Anderen
vertiefen den Eindruck, den Goethes Landschaften hinterlassen, und
stellen sie
in ihren lebens- und werkgeschichtlichen Kontext. (Insel)
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Manuela
Schulz: "Metaphysische
Rebellen - Eine Themengeschichte von Goethe bis Nietzsche"
Um die Mitte des 18. Jahrhunderts formiert sich eine Gruppe
mythopoetischer Figuren von großer literarischer Kraft, die
in ihrer
Konstellation einzigartig ist: Der metaphysische Rebell, also der gegen
die Schöpfungsordnung
aufbegehrende Empörer, tritt in der Geschichte der Moderne
eine mächtige
Laufbahn an, die
bei
Nietzsche ein Höchstmaß an
Radikalität erreicht. Die poetische
Amalgamierung ist in ihrer Zusammenstellung beispiellos, weil die in
den Werken
zur Entfaltung gebrachten Stoffe des Lucifer, des
Prometheus,
Kain und Faust in
ihrem Problemgehalt auf vielfache Weise miteinander korrespondieren.
Ideengeschichtlich erscheint der Zusammenbruch der Theodizeekonzepte
als
Geburtsstunde des metaphysischen Rebellen, der im Gewand
ältester Mythen als
aktiver Empörer und verschatteter Lichtbringer seinen
Siegeszug in der
Literatur der Moderne antritt. Die Entstehung der Heldenfigur
koinzidiert mit
der Profanierung des Sakralen bzw. der Transformation des
Religiösen im Prozess
gesellschaftlicher Erneuerung, der zu einer Rückwendung zum
Mythos führt, die
sich in der literarischen Schöpfung einer modernen Mythopoesie
sedimentiert.
Der Typus des metaphysischen Rebellen steht als Vorbote der Moderne
für einen
neuen Umgang mit den überlieferten Mythen und vor einem
methodologischen
Forschungshintergrund, der dem Problem nicht gerecht wird. Die Studie
wirft
einen neuen Blick auf die problemgeschichtliche Achse zwischen Goethe,
Byron und
Nietzsche, um in der Darstellung der Geschichte die Genese des
Übermenschen als
ein Schlüsselthema der Neuzeit erkennbar werden zu lassen. Vor
diesem
Gipfelpanorama entwirft die Verfasserin eine auf gründlichen
Werkanalysen
basierende Themengeschichte der metaphysischen Rebellen. Die
Untersuchung legt
einen Querschnitt durch die gesamte Schaffensperiode der Autoren, um
die
Konstitutionsbedingungen der intertextuellen, rezeptionsgeschichtlichen
und
ideengeschichtlichen Verbindungslinien aufzuzeigen. (Verlag
Königshausen
& Neumann)
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Peter-André
Alt: "Klassische Endspiele. Das Theater Goethes und Schillers"
Weimarer Welttheater
Peter-André Alt liest die klassischen Dramen Goethes und
Schillers im
Zusammenhang neuer Erkenntnisse über Politik und Macht um
1800, über die höfisch-aristokratische
Öffentlichkeit in der Epoche der
Französischen
Revolution und die anthropologischen Theorien der
Spätaufklärung.
Freigelegt werden dabei die Grundmodelle der klassischen
Bühnenästhetik:
Intrige und Spiel, Zeitstück und Gesellschaftsdrama,
Opfertragödie und
Welttheater.
Das Theater
der Weimarer
Klassik inszeniert mythische und geschichtliche
Konstellationen, in denen
die Autonomie des Menschen auf dem Spiel steht. Verlangt sind
Lösungen, die
sich auch in historischen Extremsituationen vor der Richtinstanz der
Vernunft
behaupten können. Dieser Anspruch aber bedeutet eine
Überforderung, weil er
das Individuum in unüberwindbare Entscheidungszwänge
treibt. Peter-André Alts
Buch deutet Goethes und Schillers Dramen als Endspiele, in deren Welt
Trauer und
Schönheit keine Gegensätze bilden. Die Untersuchung
gilt kanonischen Texten,
von der Iphigenie über Torquato Tasso bis zum ersten und
zweiten Faust, von Don
Carlos bis zur
Wallenstein-Trilogie. Zu den zentralen Themen des Buchs
gehören
die Tragödien der Macht, die Selbstinszenierungen des Hofes,
die Phänomenologie
des Bösen, die Schauspiele der Intrige und die Katastrophen
des Eros. Die Lektüren
der klassischen Dramen werden eingebettet in Reflexionen über
die
Geschichtsphilosophie um 1800, zeitgenössische Theorien von
Politik und
Gesellschaft sowie die historische Psychologie der
Geschlechterverhältnisse.
Mit genauem Gespür für Nuancen und
Zwischentöne rückt das Buch die dunklen
und damit auch die
unerledigten
Seiten der Weimarer
Klassik ins Blickfeld. (C.H. Beck)
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Martin
Walser: "Ein liebender Mann"
Goethes letzte Liebe - Martin Walsers erster historischer Roman.
Der 73-jährige Goethe - Witwer und so berühmt, dass
sein Diener Stadelmann
heimlich Haare von ihm verkauft - liebt die 19-jährige Ulrike
von Levetzow.
1823 in Marienbad werden Blicke getauscht, Worte gewechselt, die beiden
küssen
einander auf die Goethe'sche Art. Er sagt:
Beim
Küssen kommt es nicht auf die
Münder, die Lippen an, sondern auf die Seelen. "Das
war sein Zustand:
Ulrike oder nichts."
Aber sein Alter holt ihn ein. Auf einem Kostümball
stürzt er, und bei einem
Tanztee will sie ein Jüngerer verführen. Der
Heiratsantrag, den er Ulrike
trotzdem macht, erreicht sie erst, als ihre Mutter mit ihr nach
Karlsbad
weiterreisen will. Goethe, einmal hoffend, einmal verzweifelnd,
schreibt die
"Marienbader Elegie".
Zurück in Weimar, lässt ihn die
eifersüchtige Schwiegertochter Ottilie nicht
mehr aus den Augen. Martin Walsers neuer Roman erzählt die
Geschichte einer unmöglichen
Liebe: bewegend, aufwühlend und zart. Die
Glaubwürdigkeit, die Wucht der
Empfindungen und ihres Ausdrucks - das alles zeugt von einer Kraft und
(Sprach-)Leidenschaft
ohne Beispiel. (Rowohlt Reinbek)
zur Rezension ...
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Rainer M. Holm-Hadulla: "Leidenschaft: Goethes Weg zur Kreativität" zur Rezension ...