Ulrich Schnabel: "Die Vermessung des Glaubens"
Forscher ergründen, wie der Glaube entsteht und warum er Berge versetzt
Ulrich Schnabel ist kein
unbeschriebenes Blatt. Längst ist man nicht nur wegen seiner Beiträge für
"Geo" und "Die Zeit" auf ihn aufmerksam geworden, sondern
auch durch die bislang veröffentlichten Bücher des Physikers und Publizisten
und nicht zuletzt durch seine Auszeichnung mit dem "Georg-von-Holtzbrinck-Preis
für Wissenschaftsjournalismus" 2006. Im Oktober 2008 veröffentlichte der
Blessing-Verlag den neuesten Titel des Autors: "Die Vermessung des Glaubens".
Dass es sich hierbei um ein komplexes Thema handelt, verrät der Titel; dass
Schnabel es auch komplex angegangen ist, deutet bereits der Umfang von 573
Seiten an. Bleibt also die Frage, was Schnabel daraus gemacht hat.
In einer modernen, aufgeklärten, als säkularisiert angesehenen Welt wundert
man sich überall auf der Welt noch immer über die Bedeutung der Religion. Ob
es hierbei nun um Fundamentalisten geht, um
Schamanen
und deren Anhänger irgendwo auf der Welt, um die noch immer aktuelle
Esoterik-Manie
oder um die Kirchengemeinde aus der Nachbarschaft, immer wieder klingt an, dass
der Glaube an etwas Höheres, was es auch immer sei, längst veraltet sei.
Religion sei ein Relikt
aus
alten Zeiten, längst überholt und ein gänzlich unwissenschaftliches
Gebiet, und doch gelingt es auch den größten Kritikern nicht, Religion als
solches zu tilgen. Warum nicht? Und zu was nutzt Religion den Menschen tatsächlich?
Ulrich Schnabel hat sich aufgemacht, um vor allem den letzten Fragen auf den
Grund zu gehen. Er hat Menschen aus allen Religionen und verschiedensten
wissenschaftlichen Disziplinen interviewt, selbst sehr viel gelesen und auch
aktiv ausprobiert und so letztlich ein Buch geschrieben, das von sich selbst zu
Recht behaupten kann, sehr gründlich recherchiert worden zu sein.
Der Autor beschränkt sich weder auf eine bestimmte Religion noch auf einen
bestimmten Kulturkreis. Vor allem aber beschränkt er sich nicht nur auf eine
Sicht der Dinge. Jede im Buch aufgeworfene Frage wird objektiv beleuchtet und
ernst genommen. Das macht dieses Sachbuch so besonders und wertvoll. Auf manche
Fragen erhält der Leser Antworten, auf andere eben nicht. Dies hat nichts damit
zu tun, dass Schnabel die Argumente ausgehen würden, nein, auf jeder Seite
merkt man deutlich, dass auch und gerade die letztlich noch offenen Fragen tatsächlich
das sind, was die absolute Seriosität des Werkes letztlich unterstreicht. Es
geht nicht darum, etwas unbedingt festzuhalten und zu beweisen, sondern darum,
das
Thema Religion einmal als Ganzes zu betrachten, von einer neutralen Position
aus. Manches Andere lässt sich beantworten, und zwar nicht allein durch den
Glauben, sondern durch neuropsychologische Experimente etwa, die dem Leser
Erstaunliches zu präsentieren wissen.
"Die Vermessung des Glaubens" ist trotz des komplexen und durchaus
auch schwierigen und anspruchsvollen Themas ein sehr leicht zu lesendes Buch und
sehr spannend geschrieben. Längen tauchen auf den mehr als fünfhundert Seiten
überhaupt nicht auf. Hier einige Fakten, dort einige (für das Thema nicht
unwichtige) Anekdoten, an nächster Stelle eine Versuchsdarstellung, wieder
woanders Ergebnisse aus Interviews und Forschungen.
Schnabel hat nicht nur ein wunderbares und unbedingt lesbares Buch für
Jedermann - Religiöse wie (angeblich) Nichtreligiöse - geschrieben, sondern er
hat auch einen Grundstein mit diesem Werk gelegt. Die Religion als neutrale
Wissenschaft zu begreifen, sie gelassen auf all ihre Aspekte hin zu untersuchen,
das mag man im Rahmen der Glaubensforschung (letztlich ja Kern dieses Buches)
bereits umsetzen, doch niemand hat bisher so spannend und alltagstauglich darüber
berichtet und dabei an keiner Stelle vergessen, auch subjektiv zunächst
unwichtige Details und Ansätze einzubeziehen. Keine Lückenfüller, keine
Langeweile, keine Polemik - was für ein wunderbares Buch!
(Tanja Thome; 11/2008)
Ulrich Schnabel: "Die Vermessung des
Glaubens.
Forscher ergründen, wie der Glaube entsteht und warum er Berge versetzt"
Blessing, 2008. 573 Seiten.
Buch
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Ulrich Schnabel, geboren 1962, studierte Physik und Publizistik in Karlsruhe und Berlin und ist Wissenschaftsredakteur bei der "ZEIT".