Michele Giuttari: "Rachefeuer"
Michele
Giuttari ist unter den neuen italienischen Krimiautoren die vielleicht
außergewöhnlichste Erscheinung. 1950 in der
sizilianischen Provinz Messina geboren, hat er eine steile Karriere bei
der Polizei gemacht. Nachdem er besonders in der Bekämpfung
der Mafia besondere Meriten erworben hatte, wurde ihm 1995 als
Chefkommissar die Leitung des Morddezernats von Florenz
übertragen.
Die beiden bisherigen Romane um sein literarisches Alter Ego, den
florentinischen Kommissar Michele Ferrara, haben sehr schnell zu einem
ungewöhnlichen Erfolg Giuttaris als Schriftsteller
geführt.
Man spürt auch dem Roman "Rachefeuer" auf beinahe jeder Seite
ab, dass hier ein Autor schreibt, der von der tatsächlichen
Polizeiarbeit wirklich etwas versteht, wie man es in der Krimiszene
sonst nur von
Leif
GW Persson aus Schweden kennt.
Der Florentiner Kommissar Michele Ferrara bewegt sich langsam auf die
Pensionsgrenze zu. Längst hätte der sich schon zur
Ruhe setzen können, weil die italienischen Gesetzte das
zulassen; seine Frau jedenfalls liegt ihm auch im neuen Roman dauernd
damit in den Ohren und kauft, ohne ihn lange zu fragen, ein Haus am
Meer. Das tut sie mit voller Entschlusskraft erst recht, nachdem
Michele Ferrara nur knapp ein Bombenattentat überlebt hat.
Während er schwer verletzt im Krankenhaus liegt, ermitteln
seine Kollegen mit voller Kraft. Das Datum des Anschlags am 1. Oktober
2001, also mitten in der weltweiten Hysterie nach dem Terrorangriff auf
die New Yorker "Zwillingstürme",
lässt sofort die
Spekulationen ins Kraut schießen, ein Attentat von Islamisten
solle nun die von Bin Laden angekündigte Fortsetzung der
Anschläge in Europa quasi einleiten, zumal die Piazza del
Cestado, wo der Anschlag stattfand, sich ganz in der Nähe der
Uffizien befindet.
Oder, so überlegen die sympathischen Kollegen in Ferraras
Dezernat, ist das Attentat etwa die Antwort der Mafia auf die von
Ferrara jüngst durchgeführte Verhaftung des
berühmt-berüchtigten Mafiachefs Laprua?
Michele Giuttari führt den Leser in diesem perfekt aufgebauten
Roman in die Innenwelt der Mafia ein. Als sich Kommissar Ferrara nach
seiner von ihm selbst verfügten Genesung in die Ermittlungen
einschaltet und auf die Figur eines ominösen "Basilisken"
stößt, hat der Leser längst schon mit
dessen Existenz Bekanntschaft gemacht.
Antonio Caputo, Clanchef der sizilianischen Mafia, hat ihn quasi
erschaffen und großgezogen:
"Der Basilisk war sein Werk, ein Meisterwerk, ein
Brückenkopf der Mafia im Innern des Staates, Er hatte ihn von
Geburt an aufgezogen wie einen Sohn, ihn nach dem Tod seines Vaters
quasi den Armen seiner Mutter entrissen und ihn die schwierigste,
raffinierteste Kunst von allen gelehrt, die der Vermittlung. Scherzhaft
hatte er ihn 'Basilisk' getauft, nach jenem tückischen,
tödlichen
Fabelwesen,
und der Name war an ihm hängen
geblieben und stand für die Geschicklichkeit, mit der er
gewinnbringende Beziehungen knüpfte und Allianzen schloss,
wobei er sich seiner Überzeugungskraft, seiner
Wählerstimmen und gegebenenfalls auch der Drohung und
Erpressung bediente ... Er gehörte ihm."
Als auch die mutige und tapfere Staatanwältin Anna Giuletti
bei einem Anschlag getötet wird, macht Michele Ferrara Dampf,
denn er mochte sie sehr und kann dem Tagebuch, das in ihrer Wohnung
gefunden wird, entnehmen, dass sie für ihn noch viel mehr
empfand.
Ferrara spielt mit hohem Risiko, selbst das Leben seiner eigenen Frau
steht am Ende auf dem
Spiel ...
Michele Giuttaris Buch ist ein spannender Kriminalroman, gleichzeitig
aber auch eine hervorragende Analyse der mannigfaltigen Beziehungen
zwischen staatlichen Organen und der
Mafia
in Italien, die sich, so jedenfalls der Eindruck beim
Lesen, wie eine Hydra immer weiter ausbreitet. Wird ihr ein Kopf
abgeschlagen, wachsen weitere nach.
Zahlreiche Anspielungen auf Personen der italienischen Gesellschaft,
z.B. die Figur des ägyptischen Journalisten, der sehr
islamkritisch ist, machen die Lektüre zu einem Genuss.
(Winfried Stanzick; 04/2008)
Michele
Giuttari: "Rachefeuer"
(Originaltitel "Il basilisco")
Aus dem Italienischen von Karin Diemerling.
edition Lübbe, 2008. 397 Seiten.
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Hörbuch:
Lesung. Sprecher: Simon Jäger.
Lübbe Audio, 2008. 6 CDs; Laufzeit ca. 450 Minuten.
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Taschenbuch:
Lübbe, 2009.
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