Joachim Bauer: "Das kooperative Gen"
Abschied vom Darwinismus
Mensch
und Maus - zwei gar
nicht so weit entfernte Verwandte
Wenn Sie schon immer etwas über Ihren biologischen "Urknall" -
die
"kambrische Explosion" - dessen genomisches Nachbeben, oder wie neue
Arten entstehen, wissen wollten, dann lesen Sie unbedingt Joachim
Bauers großartiges
Buch "Das kooperative Gen". Auch dann, wenn Ihnen die eine oder andere
Aussage vielleicht Unbehagen bereitet. Spielen doch solch ganz und gar
nicht ähnliche
Organismen wie die Maus, aber auch die Fruchtfliege Drosophila
melanogaster oder
das Einzellerlebewesen Bierhefe (Saccharomyces cerevisiae) in der
gleichen Liga
wie der Mensch, zumindest was die Genzahl angeht ("Genprodukte
des
Menschen zeigen zu 46 Prozent eine Homologie mit denen der Hefe, zu 43
Prozent
mit denen des Wurms und zu 61 Prozent (!) mit denen der Fliege."
J.
Bauer)
Wenn man heute in einer Suchmaschine im Internet die Wortkombination "liegt
in den Genen" eingibt, so erhält man die
erstaunliche Anzahl von
18.500 Treffern, die in irgendeiner Art und Weise Auskunft
darüber erteilen,
was man eigentlich nicht persönlich steuern kann. Denn die
"guten"
und "weniger guten"
Erbanlagen eines Menschen sollen den Unterschied
zwischen Gesundheit und Krankheit, zwischen Vorlieben und Abneigungen
ausmachen.
So liegt sowohl die Präferenz für
Süßes, als auch der Geschmack im
Allgemeinen, die Musik, Morgenmuffeln, Geselligkeit und gte Laune,
Zahlenverständnis,
die männliche Beziehungsfähigkeit und noch eine
Vielzahl anderer menschlicher
Eigenschaften in den Genen. "Die Einsicht, dass Gene in ihrer
Aktivität
fortlaufend durch Umweltfaktoren und Lebensstile reguliert werden und
dass dies
den weitaus größten Einfluss darauf hat, ob wir
gesund bleiben, konnte in
unseren Breiten nur langsam Fuß fassen", stellt der
Autor fest.
Diese Erkenntnis wiederum - Ausgangspunkt ist die vollständige
Entschlüsselung
der Genome des Menschen - hat entscheidenden Einfluss auf unsere
Vorstellung über
das Leben, der eine gewaltige Umbruchphase, "eine Revolution
des
bisherigen, durch Darwinismus und Soziobiologie eingeengten
biologisches
Denkens" bevorsteht, meint Joachim Bauer.
Mit dem vorliegenden Buch gibt der ehemalige Grundlagenforscher und
jetzige
Leiter der Ambulanz der Abteilung Psychosomatische Medizin und
Professor für
Psychoneuroimmunologie der Universitätsklinik Freiburg einen
großartigen
Einblick in neuere, wissenschaftlich gesicherte, in der breiten
Öffentlichkeit
jedoch nur wenig - oder gar nicht - wahrgenommene Erkenntnisse.
Gene steuern sich selbst in einem kooperativen Arbeitsteam
Gleichzeitig holt er, kurz vor dem 200. Geburtstag des Biologen Charles
Darwin
(am 12. Februar 2009), zu einem großen "Rundumschlag" gegen
die drei
zentralen Dogmen des modernen Darwinismus und seines
populärsten "Jüngers" Richard Dawkins - den Autor des "egoistischen Gens" - aus. Bauer
widerlegt mittels wissenschaftlich fundierter Erkenntnisse,
1. dass sich Veränderungen in bestehenden Arten entlang der
Evolution ausschließlich
dem Zufallsprinzip unterliegen,
2. dass Veränderungen ausschließlich
langsam-kontinuierlich bzw. linear
auftreten und
3. die Bedeutung der Selektion.
In allen drei Fällen (hier "liegt es" wirklich an den Genen)
haben
Gene einen, den entscheidenden Einfluss auf die
Steuerung der Evolution.
Sie reglementieren sich selbst, ist seine zentrale Kernaussage. Gene
bilden im Körper
jedes Individuums ein kooperatives "Arbeitsteam". Dessen effektiver
und perfekt eingespielter Funktionsrhythmus kann jedoch durch schwere
und
anhaltende Stressoren (enorme umweltbedingte Belastungen wie z.B.
feindliche
Viren oder Bakterien, Radioaktivität, Gifte oder
langanhaltenden Nahrungsmangel)
verändert und den neuen Bedingungen angepasst, letztendlich
sogar an die
Nachfolgegeneration weitervererbt werden. Zellen können die
Architektur ihres
Erbgutes durch Selbstmodifikation verändern.
"Gene bzw. Genome", so Bauer, "folgen drei
biologischen
Grundprinzipien (die sich, nebenbei bemerkt, außerhalb der
Biosphäre nicht
finden lassen): Kooperativität, Kommunikation und
Kreativität (...)
Die
Evolution ist keine Entwicklung von Einzelkämpfern (weder
einzelkämpferischer
Individuen noch einzelkämpferischer Spezies), sie ist eine
Entwicklung von
biologischen Systemen." Nicht der Stärkere
überlebt, sondern der
kreative, kooperative und kommunikative Kopf. Zugegeben, ein
äußerst
sympathischer Gedanke.
Trennung von den Scheuklappen des Darwinismus
Auch wenn er die Verdienste des "großen
Aufklärers der Neuzeit",
dem wir letztendlich zu verdanken haben, "dass die
biblische
Schöpfungsgeschichte
nicht mehr als wissenschaftliches Erklärungsmodell
für die Entstehung der Erde
und des Lebens herhalten muss", durchaus zu würdigen
weiß, empfiehlt
Bauer, sich von den "Scheuklappen des Darwinismus"
zu befreien.
Dies "bedeutet jedoch nicht, nun [erneut] theologische
Erklärungsmodelle
zu bemühen", so der Autor, und weiter: "Wer
sich
naturwissenschaftlichen Prinzipien verpflichtet fühlt, muss
weder
notwendigerweise atheistisch noch notwendigerweise religiös
sein.
Naturwissenschaftliches Arbeiten bedeutet, für beobachtbare
Phänomene
rationale Erklärungen zu finden und sie so weit wie
möglich durch jederzeit
wiederholbare Experimente zu stützen. Diese Modelle
müssen für jeden anderen,
unabhängig von weltanschaulichen Überzeugungen,
nachvollziehbar sein."
Eine Aussage, die die Rezensentin zu 100 Prozent teilen kann.
In seinem auch für den interessierten Laien
verständlich geschriebenem Buch
beschränkt sich der Autor jedoch nicht nur auf die Wiedergabe
der neuesten
Forschungsergebnisse über das Leben der Gene, sondern er
führt das heute verfügbare
Wissen in einer Weise zusammen, die letztendlich ein vertieftes
Gesamtverständnis
dessen erzeugt, was Leben ist.
Klar ist aber auch, dass das "was die Welt [in
diesem Falle: des
Genoms] im Innersten zusammenhält" (J. W.
Goethe: "Faust",
Szene "Nacht"), bislang ungeklärt ist. Vielleicht liefern ja
die
Erkenntnisse im "LHC" des "CERN" in Genf eine Erklärung. Es
bleibt auf jeden Fall spannend.
Fazit:
Joachim Bauer wirft in seinem hochinteressanten, aber immer leicht und
anschaulich geschriebenen Buch einen durch neueste wissenschaftliche
Erkenntnisse gesicherten Blick in die "Werkstatt" der Evolution. Er
bündelt
wichtige Ergebnisse der vergleichenden Genomforschung der letzten Jahre
zu einer
Art "Geschichte der Evolution der Gene".
Ein sehr zu empfehlendes Buch!
(Heike Geilen; 09/2008)
Joachim
Bauer: "Das kooperative Gen. Abschied vom Darwinismus"
Hoffmann und Campe, 2008. 224 Seiten.
Buch
bei amazon.de bestellen