Romain Gary: "Frühes Versprechen"


Der literarische Proteus
Die vielen Gesichter des russisch-französischen Schriftstellers Romain Gary


In seinem 1961 erstmals auf Deutsch erschienenen Roman "Frühes Versprechen" hat Romain Gary seiner Mutter ein monumentales Denkmal gesetzt. Sie war der Dreh- und Angelpunkt seines Lebens. Entstanden ist ein empathisches, aber auch sehr selbstironisches Buch über einen verletzlichen Mann, der letztendlich an zu hoch gesteckten Zielen zerbrach.

"Noch heute staunen die französischen Kritiker und Biografen über die vielen Gesichter des 'Chamäleons' Romain Gary. Er führte ein abenteuerliches Leben wie Stendhal, er war ein schreibender Diplomat wie Giraudoux, er arbeitete ähnlich produktiv wie Balzac und heiratete eine deutlich jüngere amerikanische Schauspielerin, genau wie Arthur Miller." So ist es im Nachwort von Sven Crefeld in Romain Garys Roman "Frühes Versprechen" zu lesen.

Romain Gary machte einer Gestalt aus der griechischen Mythologie - dem Proteus - alle Ehre.
Auch Gary nahm im Laufe seines Lebens viele Gestalten an. Unter sechs Pseudonymen veröffentlichte er sein weit gespanntes Werk, gab getürkte "Interviews" in ausschweifender Länge und schlug dem Pariser Literaturbetrieb das wohl größte Schnippchen, indem er das Unmögliche möglich machte und den "Prix Goncourt" zweimal erhielt: 1956 für seinen Roman "Les racines du ciel" (deutsch: "Die Wurzeln des Himmels") und 1975 für "La vie devant soi" (deutsch: "Du hast das Leben noch vor dir"), veröffentlicht unter dem Pseudonym Émile Ajar. Der Betrugsfall wurde erst nach seinem Selbstmord enthüllt - von ihm selbst.

Beinahe groteske Liebes- und Lebensgeschichte
Aus ärmsten Verhältnissen stammend, sagte ihm seine Mutter - Nina Kacew - bereits als Kind eine strahlende Karriere voraus: Er werde einmal Botschafter von Frankreich und ein berühmter Schriftsteller (nachdem die Karriere als Geigenvirtuose, Sänger und Balletttänzer mangels Talents ausschied). Anfänglich verständlicherweise von allen verlacht, bewahrheitete sich letztendlich alles. Ausschlaggebend waren sicherlich der exorbitante Ehrgeiz seiner Mutter, ihr unerschütterlicher Glaube und ihr unbeugsamer Wille zur Verwirklichung der eigentlich undenkbaren Laufbahn ihres abgöttisch geliebten Sohnes.

Romain Gary hat ihr dieses Buch - welches erstmals 1960 in Frankreich erschien - gewidmet: einen größtenteils autobiografischen Roman seiner Kindheit und Jugend, der den Aufstieg vom einfachen Jungen aus dem russischen Wilna, über ein gefährdetes Emigrantenschicksal in den 30er Jahren an der Côte d'Azur bis zur schillernden Karriere eines hochdekorierten Piloten der Royal Air Force erzählt (mit der Rückkehr aus dem Krieg endet der Roman). Gleichzeitig oder vor allem ist es jedoch eine zärtliche Hommage an die Frau, deren alles beherrschende Mutterliebe ihn leitete, lenkte, aber auch überforderte.

"Frühes Versprechen" offenbart eine manchmal beinahe als grotesk zu bezeichnende Liebes- und Lebensgeschichte, gewürzt mit den "expressionistischen Herzensergüssen" seiner Mutter und einer gehörigen Portion Selbstironie. "Humor ist das Manifest der Würde", so Gary. Es ist eine charmante und ansprechende Geschichte der Selbstentdeckung, geprägt von gleichzeitiger gedanklicher Tiefe. Mit Nietzsche gesprochen: Es ist eine Geschichte über das Leben als Kunstwerk. Nicht alles ist wahr, einiges wurde hineinfabuliert, anderes pittoresk herausgeputzt und große Teile der zeitweise düsteren Lebensumstände aufgehellt, "aber der Kern der unerhörten Geschichte, dass eine Frau die strahlende Zukunft ihres Sohnes ausmalt und nach ihrem Tod ziemlich exakt Recht bekommt, dieser Kern ist wahr", ist im Nachwort zu lesen.

Unstillbares Verlangen
Die zum Teil erdrückende Mutterliebe und das Implizieren von allzu hochgesteckten Zielen und Erwartungen machten aus dem kleinen Roman Kacew den ruhelosen Romain Gary: Ein Mann, ständig auf der Suche und der Gefahr ausgesetzt, "verdurstend an jeder Quelle zu sterben" und letztendlich den Widerständen der Realität nicht gewachsen.
Permanente Ruhelosigkeit zeichnete ihn im Erwachsenenalter aus. Gary bezeichnete es selbst als verzweifelte homerische Schlacht, "um die Welt wieder in Ordnung zu bringen und sie mit dem naiven Traum jener Frau in Einklang zu bringen, die [er] über alles liebte."

In seinen Büchern lässt er seine Protagonisten - die sicher einen großen Teil seiner eigenen Identität ausmachten - die Liebe leben, die er selbst nicht lebte. Diese Helden können - im Gegensatz zu ihm - ihre Biografie verlassen und sich eine neue erfinden. Garys "Heißhunger auf Leben" trieb ihn zum Schreiben und zum Ortswechsel. In dem fingierten Gespräch mit François Bondy, das 1974 unter dem Titel "La nuit sera calme" erschien, sprach es der Autor aus: "Wenn ich zu lange in meiner Haut bleibe, fühle ich mich beengt, mir selbst aufgehalst und klaustrophobisch. (...) Ich beginne einen Roman, um dahin zu laufen, wo ich nicht bin (...), um mich zu verlassen, um mich wiederzuverkörpern."

Dieses unstillbare Verlangen konnten weder eine Frau - "Ich bin ein Gefangener der Erinnerung geblieben. Einer unauffindbaren Weiblichkeit ..." - noch die Kunst stillen. Romain Gary nahm sich am 2. Dezember 1980 das Leben.

Fazit:
Ein beeindruckendes Buch über die Offenbarung der Schattenseiten einer allzu engen Symbiose, gleichzeitig jedoch eine mit viel Wärme, Zuversicht und Humor geschriebene Hommage an eine äußerst enge Mutter-Sohn-Beziehung.

(Heike Geilen; 06/2008)


Romain Gary: "Frühes Versprechen"
(Originaltitel: "La promesse de l'aube")
Aus dem Französischen von Giò Waeckerlin Induni.
SchirmerGraf Verlag, 2008. 415 Seiten.
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Romain Gary (1914-1982), geboren im litauischen Vilnius als Roman Kacew und als Vierzehnjähriger mit seiner Mutter an die Côte d’Azur emigriert, war Botschafter in Los Angeles, Flieger, Romanautor. 
Gary war mit der Filmschauspielerin Jean Seberg ("Außer Atem") verheiratet, die durch ihren Selbstmord zum Mythos geworden ist.