Peter Blickle: "Das Alte Europa"

Vom Hochmittelalter bis zur Moderne


Kritische Betrachtung eines einzigartigen politischen Gebildes

Als Donald Rumsfeld sich 2003 abfällig über das "Alte Europa" äußerte, sorgte er auf dem Kontinent für einigen Wirbel. Plötzlich befasste man sich mit einem Phänomen, das lange Zeit ignoriert oder als selbstverständlich hingenommen worden war.

Das "Alte Europa" kann keineswegs als statisch angesehen werden, im Gegenteil, es lässt sich an ihm eine fließende, von einigen Zäsuren unterbrochene Entwicklung vor allem seit dem Hochmittelalter beobachten, die aus der Verbindung von regionaler Kultur mit Elementen der griechischen, römischen und jüdischen Antike hervorging. Der Autor Peter Blickle untersucht diese Entwicklung, indem er zum einen nach Gemeinsamkeiten sucht, zum anderen jedoch auch sorgfältig differenziert.

Ausgangspunkt für die europäische Entwicklung ist Blickle zufolge das Haus: Es lässt sich definieren als Fürsten-, Königs- oder Adelshaus, andererseits aber als die Einheit aus Familie und Gesinde mit vorgesetztem Hausherrn in den niedrigeren Schichten. Die eindeutige Hierarchie in diesem Haus schlägt sich auch in der Organisation der im Hochmittelalter aufkommenden Gemeinwesen nieder, in der Bedeutung und Ausübung von Macht und Herrschaft. Nicht umsonst stellt die Ausbildung von Gemeinden ein wichtiges Thema des Buchs dar. Blickle zeigt unter anderem auf, welche Bedeutung die Gemeinden in staatstheoretischen Arbeiten haben.

Andere bedeutende Elemente des "Alten Europa" sind Religion und Friede, wobei Blickle unter Friede den Rechtsrahmen der europäischen Wirtschaft und Gesellschaft versteht. Beide, Religion und Friede, halten die Menschen in ihrem Gemeinwesen, der Pfarrei und der weltlichen Gemeinde, zusammen und geben ihnen klare Regeln, die ein geordnetes Zusammenleben ermöglichen. Da diese Regeln jedoch für Teile der Bevölkerung ausgesprochen restriktiver Natur sind, kommt es zu Aufständen: zur Reformation und zu den Bauernkriegen, denen ein ausführliches Buchkapitel gewidmet ist.

Der letzte Abschnitt des Buchs befasst sich mit der Ordnung Europas, die sich nicht zuletzt durch Unruhen formierte und durch Rationalisierung etabliert wurde. Der Autor geht in diesem Zusammenhang auch intensiv auf die Rolle der "guten Policeyen" ein.

Was auf den ersten Blick wie ein kunterbuntes Gebilde aussieht, enthält wesentlich mehr Verbindendes als Trennendes; dieses Fazit kann der Leser am Ende der Lektüre ziehen. Wie bereits erwähnt, geht der Autor auch den Unterschieden nach, wie sie etwa durch die Konfessionen bedingt wurden. Auch entstehen verschiedene Typen von Gemeinwesen zu ganz unterschiedlichen Zeiten. Blickle führt für die zahlreichen Entwicklungen stets interessante regionale Beispiele an.

Europa ist in diesem Buch ungefähr in den Grenzen der heutigen EU definiert, das heißt, Länder wie Polen und Ungarn bilden die Ostgrenze, auf den äußersten Südosten und Russland wird weniger eingegangen, doch unterlagen diese bekanntlich äußeren Einflüssen, die den Anschluss an das "Alte Europa" erschwerten oder über längere Zeit unmöglich machten, sofern er überhaupt erwünscht war.

Blickle fasst an passender Stelle verschiedene Staats- und Gesellschaftstheorien zusammen, wie sie beispielsweise von Rousseau und Hobbes verfasst wurden, und die das "Alte Europa" mittelbar oder unmittelbar prägten. Da er die europäische Geschichte der letzten fünf bis sieben Jahrhunderte sehr differenziert ausleuchtet, ermöglicht er dem Leser eine gründliche und umfassende Betrachtung. Als sehr hilfreich erweisen sich eine Zeittafel, ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis und ein sorgfältig erstelltes Register am Ende des Buchs.

(Regina Károlyi; 05/2008)


Peter Blickle: "Das Alte Europa. Vom Hochmittelalter bis zur Moderne"
C.H. Beck, 2008. 320 Seiten.
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