Jenny Erpenbeck: "Heimsuchung"
Heimstatt,
Heimweh, Heimatlos, Heimgehen ... Heimat
Eine klar umrissene Definition des Begriffs Heimat zu geben, ist
sicherlich nicht einfach. Zwar findet sich sogar in der freien Online-Enzyklopädie
"Wikipedia" eine gründliche Abhandlung, allerdings kann gerade
diese Ausführlichkeit darauf hinweisen, wie komplex dieser
Ausdruck in Wahrheit ist.
Jeder Mensch wird diesen Begriff für sich selbst definieren.
Unterschiedliche Erlebnisse und Erinnerungen prägen dabei die
persönliche Erklärung.
Mit "Heimat" kann eine Gegend oder eine Landschaft abgegrenzt sein. Die
Einen definieren damit ganz speziell eine Stadt oder ein Dorf, Andere
vielleicht die nationale Zugehörigkeit, das Vaterland oder gar
eine Sprache oder Religion.
Heimat muss also keine lokale Prägung haben, sondern ist eher
eine Identifikation mit der Gesamtheit der persönlichen
Lebensumstände, in denen ein Mensch aufwächst, eine
Beziehung zwischen Mensch und Raum.
Auch Jenny Erpenbeck versucht sich an dieser Begriffsbestimmung und -
um es gleich vorwegzunehmen - sie tut es atemberaubend eindrucksvoll.
Zwar hat sie in ihrem fantastischen Roman "Heimsuchung" eine ganz
konkrete Heimstatt ausgewählt - ein Haus am
"Märkischen Meer" in Mecklenburg, irgendwo zwischen Guben und
Berlin -, aber ihre Bewohner definieren eben jenen Begriff "Heimat"
jeder auf andere Art und Weise. Dieses Haus, errichtet in den 1920er
Jahren und bewohnt bis zur Jahrtausendwende, dient der Autorin
gleichfalls nur als Hülle, als Rahmengerüst
für ihr kunst- und genussvolles Wortgemälde. Am Ende
verfällt es, wird abgerissen.
Individuelle und verschiebbare Grenzen
Auf die örtliche
Vergänglichkeit weist die Autorin bereits zu Beginn hin. Im
Prolog,
den sie ganz weit in die frühe
erdgeschichtliche
Entwicklung
legt und der die Entstehung dieser Landschaft in der letzten Eiszeit,
vor ungefähr
Bereits die ersten Zeilen mit ihrer Gewaltigkeit der zeitlichen
Dimension und der Schwere des Eises, das diese Märkische
Landschaft herausgeformt hat, stimmen auf ein Gefühl der
Winzigkeit unseres Daseins ein. Sentimentale und ehrfurchtsvolle
Benommenheit macht sich breit. Die menschliche Existenz wird zum
winzigen Bruchteil eines zeitgeschichtlich Ganzen degradiert.
Anhand von zwölf Einzelschicksalen erzählt Erpenbeck
die Suche und Sehnsucht des Menschen nach Heimat. Dabei streckt sie den
eigentlich unbedeutenden Zeitraum um eine Zeitspanne von achtzig
Jahren. Sie beginnt in den Zwanzigern die Vorgeschichte des Hauses
aufzurollen, die aus einer Tragödie einer der Töchter
des Großbauern Wurrach entspringt. Deren Erbteil, ein
Grundstück, wird nach ihrem Selbstmord gedrittelt und verkauft.
Einer der Käufer ist ein jüdischer Tuchfabrikant.
Zwölf Einzelschicksale
Später dann, in den Dreißigern, gibt auf dem anderen
Drittel ein Berliner Architekt "dem Bleiben einen
Körper" - er baut eben jenes Haus, das Erpenbeck als
Protagonisten in diesen Roman setzt. Als die Familie des Juden im
Dritten Reich emigrieren muss bzw. diejenigen, die es nicht mehr
schaffen, vergast oder erschossen werden, kann der Architekt das
Anwesen günstig übernehmen.
Besonders die Einzelschicksale der Familie des Tuchfabrikanten sind die
mental erschütterndsten in Erpenbecks Erzählung. Mit
kurzen, prägnanten Sätzen, die von Zeit zu Zeit
wiederholt und manchmal gar mehreren Personen in den Mund gelegt
werden, erzeugt die Autorin eine derartige
gefühlsmäßige Durchschlagskraft, dass dem
Leser mitunter der Atem stockt.
Manchmal ist weniger mehr!
Und so schieben sich die wechselnden Besitzer der
Räumlichkeiten über oder in das Szenario, betreten
einmal dieses, einmal jenes Zimmer. Der Leser erfährt etwas
über die Frau des Architekten, die Kinder des Juden oder die
einmarschierenden Rotarmisten:
"Je mehr deutsche Häuser sie betraten, desto
schmerzhafter stellte sich ihnen die Frage, warum die Deutschen nicht
hatten dort bleiben können, wo ihnen zum Bleiben nichts, aber
auch wirklich nicht das Allergeringste fehlte."
Als wiederum der Architekt ein paar Jahre später selbst vor
dem DDR-Regime flieht, finden neue Bewohner Heimstatt im Haus, so die
aus dem Exil heimkehrende Schriftstellerin, die wiederum der polnischen
Mutter ihres Schwiegersohnes eine neue "Heimat" gewährt. Diese
Episode gehört zu der melancholischsten, gleichzeitig jedoch
schönsten Erzählung Erpenbecks. Trotz des traurigen
Untertons ist eine stille Freude darin.
Großartige Worte wie Musik.
Extrem verdichteter literarischer Stoff mit enormer
Durchschlagskraft
Verbindendes Glied und Einschub hinter jedem Einzelschicksal ist der
Gärtner, der gleichsam stumm und all die Jahre scheinbar
unveränderlich die Vegetation des Gartens am Leben
erhält, der rodet und neu anpflanzt - je nach Wunsch der
jeweiligen Besitzer -, bewässert und pflegt. Er dient nach
jedem Kapitel als emotionale "Bremse", mindert mit seiner beruhigenden
Erhaltung und Hege der Natur die Wucht, die zerstörerische
Kraft von Erpenbecks Text.
Schlussendlich wird das Haus mit der Deutschen Einheit zum juristischen
Zankobjekt und verfällt. Einzig die Enkelin der
Schriftstellerin wohnt für einige Tage im Wandschrank; wie
einst die Frau des Architekten, die sich dort tagelang vor den Russen
verstecken musste.
Äußerlich ist das Gebäude nur noch eine
Hülle, ein Skelett, ein Rahmen für Rechtsparagrafen.
Ein Gefühl von Heimseligkeit kommt bei der nüchternen
Beschreibung der Rechtsparagrafen nicht auf.
Haben und Verlieren existieren in Erpenbecks Roman ständig
parallel; was nah war, wird plötzlich fremd, stirbt gar. "Bevor
auf demselben Platz ein anderes Haus gebaut werden wird, gleicht die
Landschaft für einen kurzen Moment wieder sich selbst."
Der imposante Text der Berliner Autorin erzeugt trotz seiner
augenscheinlichen Marginalität eine permanente Sogwirkung,
eine starke innere Spannung, der sich zu entziehen kaum
möglich ist. Scheint anfänglich vieles noch vage, nur
angedeutet und hingetupft, so verdichtet sich der Stoff von Seite zu
Seite zunehmend, um beinahe tiefenpsychologische Dramatik zu erreichen.
Dabei rollt Jenny Erpenbeck ihre Dramen nicht nacheinander ab, sondern
stapelt sie neben- und übereinander, verknüpft,
dröselt auf und webt wieder zusammen und lässt so
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft beinahe gleichzeitig existieren: "Alles
wie eins. Heute kann heute sein, aber auch gestern oder vor zwanzig
Jahren." Nur der Wechsel der Sprach- und Stilebenen markiert
das Vergehen der Zeit.
Die letzte Bewohnerin ist wohl Jenny Erpenbeck selbst, ihr Alter Ego.
Denn das reetgedeckte Haus am See, Ausgangspunkt und Ziel dieser
Heim-Suchung, gibt es tatsächlich. Es wurde 1936 von einem
Berliner Architekten erbaut und ging nach dem Krieg in den Besitz ihrer
Großeltern Hedda Zinner und Fritz Erpenbeck über.
Fazit:
"Heimsuchung" ist ein anmutiges, episches wie poetisch verdichtetes
Lesevergnügen der menschlichen Suche und Sehnsucht nach
Heimat, in dem die Autorin zwölf verknappte
Lebensläufe vorstellt, die alle mehr oder weniger miteinander
verwoben und untrennbar mit der deutschen Geschichte verbunden sind.
So sieht große Literatur aus!
(Heike Geilen; 03/2008)
Jenny
Erpenbeck: "Heimsuchung"
Gebundene Ausgabe:
Eichborn Berlin, 2008. 192 Seiten.
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Taschenbuchausgabe:
btb, 2010.
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Jenny
Erpenbeck wurde 1967 in
Berlin (DDR) geboren.
Nach einer Buchbinderlehre und Tätigkeiten als Requisiteuse
und Ankleiderin an
der Staatsoper Berlin studierte sie in Berlin Theaterwissenschaften und
Musiktheaterregie, u.a. bei Peter Konwitschny, Ruth Berghaus, Werner
Herzog und
Heiner Müller. Seit 1991 arbeitete Jenny Erpenbeck
zunächst als
Regieassistentin und inszenierte danach Aufführungen
für Oper und Musiktheater
in Berlin und Graz. Sie lebt als freie Autorin und Regisseurin in
Berlin.
"Geschichte vom alten Kind" war Jenny Erpenbecks erste
Buchveröffentlichung.
Im September 2001 erschien "Tand", eine Sammlung von
Erzählungen, im
Februar 2005 ihr Roman "Wörterbuch". Ihre Bücher
wurden bereits in
vierzehn Sprachen übersetzt.
Beim "Ingeborg-Bachmann"-Literaturwettbewerb in Klagenfurt erhielt
Jenny Erpenbeck im Juni 2001 für "Sibirien", eine
Erzählung aus dem
Buch "Tand" den Preis der Jury.
Für 2006 wurde sie von einer Jury für die Stiftung
"kunst:raum sylt
quelle" zur Sylt-Quelle Inselschreiberin des Jahres 2006
gewählt.
Weitere Bücher der Autorin:
"Geschichte vom alten Kind"
Ein Mädchen wird gefunden, nachts auf einer Straße,
einen leeren Eimer hat es
in der Hand. Es ist nicht schön noch hässlich,
niemand kennt seinen Namen,
niemand weiß, woher es kommt, niemand weiß, wer
seine Eltern sind. Niemand,
auch das Kind selbst nicht. Also wird es in ein Heim gesteckt, also
wird es auf
eine Schule geschickt. Eine verstörende Aura der Formlosigkeit
umgibt dieses
Geschöpf; jeder Versuch der Kontaktaufnahme prallt
zurück wie ein Ball von der
Wand. Nur ganz selten scheint es, als wisse das Kind mehr, als es
preisgibt -
doch wer versucht, sein Geheimnis zu durchschauen, hat das
Gefühl, er blicke in
einen blinden Spiegel ...
In ihrer ersten Veröffentlichung gelingt es Jenny Erpenbeck,
der wundersamen
Geschichte des alten Kindes eine ganz eigene Sprache zu geben. Eine
Sprache, die
auf faszinierend-verstörende Weise alles fasst: die Magie der
Fremdheit, das
Staunen über die Welt, das Geheimnis des Kindes.
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"Wörterbuch"
"Ihr Vater habe ihr die Wahrheit erzählt, sagt sie zu
Anna. Sie wisse
jetzt alles. So, sagt Anna. Und, sagt sie, sie liebe die Wahrheit."
Freilich ist diese Wahrheit eine, die nicht leicht zu lieben ist - denn
das Mädchen
wächst zwar wohlbehütet in einer Stadt auf, die aber
wird immer freud- und
lebloser, je länger die Zeit fortschreitet. Während
das Mädchen Klavier
spielt oder sich mit ihrer Freundin Anna unterhält, platzen
draußen Reifen,
die auch als Schüsse interpretiert werden können. Und
während es mit ihrer
Amme die Standbilder einer Heiligen aufsucht, verschwinden Bekannte und
Freunde,
und in den Statuen, die bald die immer leerer werdenden
öffentlichen Plätze
beherrschen, erkennt es die Freunde ihres Vaters. Je älter es
wird, desto
fester muss es die
Augen
verschließen, um nicht
mitzubekommen, welcher Art die
harte Arbeit ist, die ihr wahrheitsliebender Vater hinter den
undurchdringlichen
Mauern des Staatsgefängnisses verrichtet. Sie merkt, dass sich
viele
Geheimnisse um ihr Leben ranken. Und sie ahnt, dass sie keines der
Geheimnisse
wirklich kennen will.
Jenny Erpenbeck gelingt ein sprachlicher Balanceakt, in dem sich Grauen
und Schönheit
- nur durch eine hauchdünne Naht getrennt -
aneinanderschmiegen und in dem
selbst das Ungesagte eine sprachliche Wucht sondergleichen
erhält. (Eichborn
Berlin)
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"Tand"
Jenny Erpenbeck zeigt sich als Meisterin der literarischen Verdichtung.
Mit der
ihr eigenen sprachlichen Präzision und Originalität
vermag sie ihren
Geschichten und ihren Figuren eine Plastizität und
existenzielle Tiefenschärfe
zu geben, die in der deutschen Gegenwartsliteratur ihresgleichen sucht.
Ob in "Tand" das Verhältnis der Erzählerin zu ihrer
alternden Großmutter,
in "Belladonna atropa" der Geschichte einer Eifersucht oder in "a
ist gleich v durch t" der in der Familie lange verschwiegenen
Geschichte
eines Halbbruders nachgegangen wird: Jenny Erpenbeck ist am Umgang der
Menschen
miteinander, ihren Beziehungen zueinander, an ihrer Kraft und ihrer
Hilflosigkeit interessiert. Sie schreibt eine verblüffend
vielschichtige Prosa,
die auch den unscheinbarsten Details einen Kosmos verborgener
Bedeutungen
abliest. (Eichborn Berlin)
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Leseprobe:
PROLOG
Bis zum Felsmassiv, das inzwischen nur noch als sanfter Hügel
oberhalb des
Hauses zu sehen ist, schob sich vor ungefähr
vierundzwanzigtausend Jahren das
Eis vor. Durch den ungeheuren Druck, den das Eis ausübte,
waren die erfrorenen
Stämme der Eichen, Erlen und Kiefern zerknickt und
niedergemalmt worden, Teile
des Felsmassivs waren gesprengt, zersplittert, zerrieben worden,
Löwe, Gepard
und Säbelzahnkatze in südlichere Gegenden vertrieben.
Über das Felsmassiv
hinweg drang das Eis nicht. Dann wurde es nach und nach still, und das
Eis
begann seine Arbeit, den Schlaf. Während es über
Jahrtausende hinweg seinen
riesigen kalten Körper nur zentimeterweise ausstreckte oder
herumschob, schliff
es die Felsbrocken unter sich allmählich rund. In
wärmeren Jahren,
Jahrzehnten, Jahrhunderten schmolz das Wasser an der
Oberfläche des Eisblocks
ein wenig, und glitt an Stellen, an denen der Sand unter dem Eis leicht
fortzuspülen
war, unter den schweren riesigen Leib. So trat das Eis, wo eine
Erhebung sein
Vorankommen hinderte, als Wasser sich selbst unterlaufend, den
Rückweg an und
floß bergab. In kälteren Jahren war das Eis einfach
nur da, lag und war
schwer.Und wo es, schmelzend, in wärmeren Jahren Rinnen unter
sich in den Boden
gegraben hatte, da preßte es in den kälteren Jahren,
Jahrzehnten,
Jahrhunderten sein Eis mit aller Macht wieder hinein, um sie zu
verschließen.
Als vor etwa achtzehntausend Jahren erst die Zungen des Gletschers zu
schmelzen begannen und dann, während die Erde sich weiter
erwärmte, überhaupt
alle seine südlicheren Glieder, ließ er nur wenige
Pfänder in der Tiefe der
Rinnen zurück, Inseln von Eis,
verwaistes Eis, Toteis wurde es
später genannt.
Vom Körper, zu dem es einst gehört hatte,
abgeschnitten und eingesperrt in
die Rinnen, taute dieses Eis erst viel später, etwa um
dreizehntausend vor
Beginn der christlichen Zeitrechnung wurde es wieder Wasser,
versickerte in der
Erde, verdunstete in der Luft und regnete wieder herab, als Wasser
begann es,
zwischen Himmel und Erde zu kreisen. Wo es nicht tiefer dringen konnte,
weil der
Boden schon satt war, sammelte es sich über dem blauen Ton und
stieg an,
schnitt mit seinem Spiegel quer durch die dunkle Erde und wurde nur in
der Rinne
wieder sichtbar als klarer See. Der Sand, den das Wasser selbst vom
Felsen
gerieben hatte, als es noch Eis war, rutschte jetzt hier und da von den
Seiten
in diesen See und sank auf dessen Grund, so bildeten sich an manchen
Stellen
unterseeische Berge, an anderen Stellen blieb das Wasser so tief, wie
die Rinne
ursprünglich war. Eine Zeitlang würde der See jetzt
inmitten der märkischen Hügel
seinen Spiegel dem Himmel hinhalten, würde glatt daliegen
zwischen Eichen,
Erlen und Kiefern, die jetzt wieder wuchsen, viel später
würde er, wenn es
irgendwann Menschen gab, von diesen Menschen sogar einen Namen
bekommen: Märkisches
Meer, aber eines Tages würde er auch wieder vergehen, denn,
wie jeder See, war
auch dieser nur etwas Zeitweiliges, wie jede Hohlform war auch diese
Rinne nur
dazu da, irgendwann wieder ganz und gar zugeschüttet zu
werden. Auch in der
Sahara gab es einmal Wasser. Erst in der Neuzeit trat dort das ein, was
man in
der Wissenschaft als Desertifikation bezeichnet, zu deutsch
Verwüstung.
DER GÄRTNER
Woher er gekommen ist, weiß im Dorf niemand. Vielleicht war
er immer schon da.
Er geht den Bauern bei der Veredelung ihrer Obstbäume im
Frühling zur Hand,
okuliert Wildlinge um Johannis auf treibende, oder im zweiten Safttrieb
auf
schlafende Augen, kopuliert die Äste der zu veredelnden
Bäume oder schäftet
sie an, je nach Dicke, bereitet die notwendige Mischung aus Harz, Wachs
und
Terpentin und verbindet die Wunde dann mit Papier oder Bast, jeder im
Dorf weiß,
daß die Bäume, die von ihm umgepfropft werden, beim
weiteren Wachsen die
regelmäßigsten Kronen zeigen. Im Sommer wird er von
den Bauern
als Schnitter
und zur Aufstellung der Hocken geholt. Auch bei der Trockenlegung des
dunklen
Bodens der Parzellen am Seeufer fragt man ihn gern um Rat, er versteht
sich
darauf, die Zöpfe aus grünem Fichtenreisig zu
flechten, steckt sie in der
richtigen Tiefe in die Bohrlöcher zur Ableitung des Wassers.
Er geht den
Dorfleuten bei der Reparatur der Pflüge und Eggen zur Hand,
schlägt im Winter
mit ihnen gemeinsam Holz und zersägt die Stämme. Ihm
selbst gehört kein
Grund- und auch kein Waldstück, allein wohnt er in einer
verlassenen Jagdhütte
am Rande des Waldes, wohnt da schon immer, jeder im Dorf kennt ihn und
dennoch
wird er von den Leuten, jungen und alten, nur Der Gärtner
genannt, als hätte
er sonst keinen Namen.