Karen Duve: "Taxi"


Der schwere Ausbruch aus der dunklen Höhle

"Heute nicht, aber morgen oder übermorgen ..." mit dieser unentschlossenen Devise wurschtelt sich die Protagonistin dreizehn Jahre mehr schlecht als recht als Taxifahrerin durchs Leben, um am Ende vielleicht endlich erwachsen zu werden. Karen Duve hat daraus einen großartigen Roman gemacht.

Aus dem Stadtbild sind sie nicht wegzudenken, die hellelfenbeinfarbenen Autos im deutschlandweit einheitlich geregelten Farbton RAL 1015 - manche Betrachter sprechen anerkennend von champagnerfarben, andere abfällig von einem schmuddelig-vergilbten "krankenhausweiß". Zahlreiche Sonder- oder besonders (werbewirksame) Serviceformen haben sich mittlerweile entwickelt: Es gibt sie für Frauen, für Kinder und Schüler, ausgestattet mit Laptop und Telefon, für Fahrradfahrer, als schneller Pizza-, Blumen-, Video-, Blut- oder Kondomtransport und sogar für Schwule ("Tuxi" in Köln).

Gemeint ist natürlich das sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Frankreich etablierende Taxi. Portechaise, zu Deutsch "Tragstuhl", nannte man die Sänften, mit denen in Paris ab 1617 Menschen befördert wurden. Kurfürst Friedrich Wilhelm war es dann, der am 1. Januar 1668 die Portechaise von Paris nach Berlin brachte. Mittlerweile schätzt man ihre Zahl bundesweit auf etwa 53.000.
Über ihre Zeit als derartiger Dienstleister könnten sogar einige Prominente berichten. Joschka Fischer zum Beispiel, aber auch "Eon"-Chef Wulf H. Bernotat und "Ifo"-Boss Hans-Werner Sinn standen früher am Taxistand und: Erfolgsautorin Karen Duve, die dreizehn Jahre lang diese Beschäftigung ausübte und ihre Erfahrungen in ihrem Roman "Taxi" verarbeitet.

Das Gewöhnliche grotesk in Szene gesetzt
Ob ihre Erlebnisse nun autobiografischer Art sind, darüber kann man spekulieren. Zumindest hat sie schon einmal einen - ihren ersten - "hemmungslos autobiografischen" (O-Ton Karen Duve) zweibändigen Taxiroman geschrieben, dessen sie sich im vorliegenden Buch als Erinnerungsstütze bedient: Erinnerungen an die 1980er-Jahre in Hamburg. Andererseits fällt angesichts des stringent und unglaublich präzise und präsent in Szene gesetzten Themas ein möglicher autobiografischer Bezug kaum ins Gewicht.

Nun kann man sich nicht so recht vorstellen, wie man den Leser auf über 300 Seiten mit den Erlebnissen einer Taxifahrerin und vielleicht gar noch das ein oder andere Klischee dieser Innung bedienend, nicht langweilt. Doch Karen Duve vermag das Gewöhnliche geradezu grotesk ungewöhnlich in Szene zu setzen. Ihr Erfolgsrezept: man nehme einen oder mehrere Antihelden, auf jeden Fall einige skurrile, fast schon wieder realistische Protagonisten, eine liebevolle Prise Boshaftigkeit, kräftig gewürzt mit jeder Menge Humor und Selbstironie, lasse alles langsam köcheln und münde es in ein grotesk surreales Finale, in dem nur noch ein Tier als "Retter" fungieren kann.

Alex Herwig heißt die junge, gutaussehende Ich-Erzählerin und nicht gerade als Charme- oder Sympathieträgerin zu bezeichnende Heldin in Duves Roman. Sie hat ihre Lehre als Versicherungsagentin abgebrochen und ist auf der Suche nach einem Brötchenerwerb eher wie die Jungfrau zum Kinde, oder besser mit einem lasziven Beinaufschlag, ins Taxi-Fahrer-Gewerbe geschlittert. Denn die in dieser Branche wohl wichtigste Eigenschaft - eine gewisse Ortskenntnis - fehlt ihr absolut. Sie gibt dem weiblichen Klischee des Fehlens einer intuitiv ausgeprägten räumlichen Orientierung reichlich Nahrung, sie kann sich einfach keine Straßennamen merken.

Dreizehn Jahre in Lethargie und Teilnahmslosigkeit
Aber irgendwie schafft sie es trotzdem, sich bei ihren ausschließlich männlichen Kollegen zu behaupten. Vielleicht weil die ihr ziemlich ähnlich sind, allesamt eigentlich mehr oder weniger gescheiterte, skurrile Intellektuelle. Sie leben in einer Art Subkultur ihren eigen Rhythmus, der sich nicht nur in einer speziellen Sprache ausdrückt. Der Fahrgast ist und bleibt ein Schwein, ein "Dreckhecke", ist meist verrückt und mehrheitlich ambulant schizophren. Ihre Kunden waren für sie der Abschaum der Menschheit, Gesindel, reiche Fahrgäste halt "vergoldetes Gesindel", das verachtet werden muss.

Genauso unbedarft wie sie zum Taxifahren kam, stolpert sie auch in die Arme ihres Kollegen Dietrich ("Ich hatte noch nie einen festen Freund gehabt, und wollte auch keinen"). Aber irgendwie gingen alle davon aus, dass sie mit ihm jetzt zusammen wäre, und sie wollte den sensiblen Künstler - er fotografiert und malt - nicht kränken. "Also ging ich lieber mit Dietrich ins Bett." Was wiederum dessen besten Freund, den Nietzsche und de Montherlant lesenden Möchtegern-Philosophen Rüdiger, auch ein Mitglied der Personen befördernden Zunft, weniger gefällt und ihn in rasender Eifersucht zu frauenfeindlichen und immer verächtlicheren Beschimpfungen verleitet.
So schleppt sich die Beziehung der beiden Phlegmatiker ("Ich sagte mir, dass ich die Sache ja jederzeit beenden konnte, wenn ich die Nase voll hatte.") mehr recht als schlecht dahin. Meistens fährt sie die ganze Nacht und verschläft den lieben langen Tag. Zur sexuellen Abwechslung tragen ein ehemaliger kleinwüchsiger Schulfreund und der widerliche Nachbar und Ober-Macho Majewski bei, von dem sich Alex teilweise wie Dreck behandeln lässt, ohne aktiv etwas dagegen zu unternehmen.

Doch nicht nur von den unbefriedigenden Beziehungen und sexuellen Abhängigkeiten, auch von der zunehmend ungeliebten Arbeit kann sie sich nicht lösen - bewusste Entscheidungen kann sie nicht treffen. Aus ein paar Jahren werden schlussendlich dreizehn, in denen sie sich mit betrunkenen, pöbelnden, spuckenden und auch gewalttätigen Fahrgästen herumschlagen muss; Jahre, die sie immer mehr in Lethargie und Teilnahmslosigkeit versinken lassen. Bis eines Tages ein Fahrgast mit einem Schimpansen in ihr Taxi steigt. Dieses Tier, für dessen Spezies sich Alex schon seit ihrer Kindheit begeistert, wird sie in einem furiosen, aberwitzigen Finale über sich nachdenken lassen.

Großartige Dialoge, schnörkellose Sätze
Erneut ist Karen Duve ein großartiger Roman gelungen. Auch wenn man auf den ersten Blick gar nicht so recht vermutet, was ihren ganz eigenen Duktus ausmacht, scheint es doch, als ob die Erzählung aus nichts anderem als aus schon tausendmal gesehenen und gelesenen Szenen und Sätzen besteht: viele (großartige) Dialoge, kurze, prägnante und schnörkellos leichtfüßige Sätze. Locker zu lesen zwar, aber was die Verdaulichkeit angeht, kann diese schlichte, leichte Sprache über den tieferen Sinn im ersten Moment ein wenig hinwegtäuschen, der "Taxi" in Wirklichkeit ist.
Das Vergnügen beim Lesen besteht gerade darin, die bekannten Elemente in immer neuer Form wiederzuerkennen und neu verknüpft zu sehen. "Taxi" jongliert souverän mit gängigen Klischees und simplen Bildern. Diese wiederum meist in dunklen, grauen Tönen, mit wenig Farbe und verwischten Konturen, aber genauso aussagekräftig wie die "verwackelte Unsicherheit" der Bilder des Malers Gerhard Richter.

Ihre Protagonisten entblättert die Autorin gnadenlos, stellt sie mit ihren Schwächen bloß, schafft bewusst eine Abgrenzung für jedwede Sympathiebekundungen. Dies schärft den Blick des Lesers ungemein, da jede Identifizierung mit einem ihrer Helden von vornherein ausgeschlossen scheint. Gerade diese gekonnten Fahrmanöver bewirken eine nonchalante Fortbewegung im RAL1015- Gefährt, ohne die Gefahr, ins Klischeehafte abzugleiten.
Apropos RAL1015: Auch hier scheint Bewegung in das allzu Starre gekommen zu sein. In einigen deutschen Bundesländern ist seit neuestem die Taxifarbe freigegeben und frei wählbar. So sieht man in vielen Städten auch silberne und schwarze oder gar mehrfarbige Taxis.

Zeitgleich ist der Roman auch als Hörbuch erschienen, gelesen von Anneke Kim Sarnau, die ihre Karriere im Jahr von Duves "Regenroman" mit einem Engagement am Wiener Burgtheater begann und mehrfach prämiert wurde. Ausschlaggebend neben ihrer starken physischen Präsenz war zweifelsohne die Stimme, die selbst losgelöst von Gestik und Mimik trägt, die im Gedächtnis bleibt und die Eigenheit der verkörperten Figuren charaktervoll zu vermitteln weiß. Im Hörbuch finden die beiden Künstlerinnen zueinander.

Fazit:
Wiederum ein typischer Duve-Roman: mit Protagonisten, die eher nicht zu den Gewinnern der Gesellschaft gehören, über die sie jedoch mit bodenständiger, ja illusionsloser Ehrlichkeit, gleichzeitig jedoch einem unverkennbar subtilen Humor schreiben kann.

(Heike Geilen; 05/2008)


Karen Duve: "Taxi"
Gebundene Ausgabe:
Eichborn Berlin, 2008. 313 Seiten.
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Taschenbuch:
Goldmann, 2010.
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Karen Duve wurde 1961 in Hamburg geboren. Sie wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, ihre Weihnachtsgeschichten "Weihnachten mit Thomas Müller" und "Thomas Müller und der Zirkusbär" sind inzwischen Klassiker.

"Thomas Müller und der Zirkusbär"
Wenn ein Stoffbär und ein Zirkusbär zusammen mit dem Fahrrad nach Sibirien wollen - auf großer Fahrt mit Thomas Müller.
Als am Morgen des zweiten Weihnachtsfeiertages Vater Wortmann der versammelten Familie seine große Extra-Weihnachtsüberraschung verkündet, bricht zum Erstaunen des Familienoberhaupts keineswegs der erwartete Jubel aus. Zirkuskarten hat Herr Wortmann reserviert, aber Thomas Müller, der Stoffbär der Familie, würde eigentlich lieber den zweiten Teil von "Lederstrumpf" sehen. Doch Vater Wortmann spricht ein Machtwort, und im Zirkus gibt es einen Bären namens Momps, der auf dem Fahrrad vor- und rückwärts und sogar im Handstand fahren kann und dabei "Que sera, sera" singt. Thomas Müller ist begeistert. Nach der Vorstellung besucht er Momps in seinem Käfig, und der erzählt nicht nur, wie gefährlich wilde Bären wie er eigentlich sind und was er alles außer Fahrradfahren noch kann (nämlich ziemlich viel), sondern auch, dass er eigentlich aus Sibirien stammt - und eben dahin zurück will. Kurz darauf bricht Momps aus und steht bei Thomas Müller vor der Tür. Nach Sibirien soll es gehen - und die beiden machen sich an einem schneeverwehten Weihnachtstag auf Momps’ Fahrrad auf die Reise ... (dtv)
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Ein weiteres Buch der Autorin:

"Grrrimm"

Karen Duves bissige Hommage an die Brüder Grimm.
Hinterhältige Zwerge, unerzogene Wölfe, enttäuschte Prinzen und gefühlskalte Prinzessinnen.
Karen Duve ist seit jeher eine begeisterte Leserin von Märchen, Heldensagen und Rittergeschichten. Besonders liebt sie die Märchen der Brüder Grimm.
Darin allerdings geschieht viel, was mit dem gesunden Menschenverstand nicht zu erklären ist!
Wie wahrscheinlich ist es zum Beispiel, dass eine außergewöhnlich gut aussehende junge Frau den Haushalt für sieben mittelalte kleinwüchsige Junggesellen führt und sich nicht einer der Herren an sie heranmacht? Und: Wer glaubt wirklich, dass ein echter Prinz sein Leben mit einer Frau verbringen will, die bereits mit sieben Männern gelebt hat? Wie kann es sein, dass eine wichtige Fee von einer Taufe ausgeladen wird, nur weil nicht genügend Teller vorhanden sind? Wie gestaltet es sich praktisch, wenn man nach einem hundertjährigen Schlaf unter Zentimeter dicken Staubschichten aufwacht? Und überhaupt: Wie hält sich ein Prinz fit, der hundert Jahre warten muss, bis er seine Prinzessin wach küssen kann?
Karen Duve kam nicht umhin, ihre eigenen Versionen der Geschichten zu erzählen. Und die sind voll von dem, was Duves Romane sonst auch auszeichnet: familiäre Abneigungen, Bindungsängste, bizarre Liebesvorstellungen, Vaterkomplexe, Selbstzweifel, Trotzreaktionen und Minderwertigkeitsgefühle.
Was dabei herauskommt, sind komische, unbarmherzig Seelen sezierende Geschichten in bester Duve-Manier. (Galiani)
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