Lizzie Doron: "Der Anfang von etwas Schönem"
Vom
Nach- und Fortwirken der
Vergangenheit in der zweiten Generation
Lizzie Dorons dritter ins Deutsche übersetzte Roman
erzählt verfremdet von
ihrer Kindheit im Tel Aviver Viertel Yad Elijahu, einem kleinen, aber
geschlossen wirkenden Viertel, in das damals fast nur
Überlebende der
Konzentrationslager zogen.
Schon in ihrer autobiografischen Novelle
"Warum bist du nicht vor dem
Krieg
gekommen?" erzählte die 1953 geborene Lizzie
Doron von Yad Elijahu, von ihrer prinzipienfesten Mutter, die
über ihre
Vergangenheit in den Lagern der Nazis wie so viele Andere beharrlich
schwieg.
Doron erzählte von den Aufträgen und Botschaften der
Mutter, die wollte, dass
die Tochter ihr Leben ganz auf die Zukunft ausrichtet. Dass ihre
Tochter sich
womöglich für ein Leben m Kibbuz entscheiden
könnte, war ihr ein
schrecklicher Gedanke. Und doch kam es genauso.
In ihrem Roman "Der Anfang von etwas Schönem" erzählt
die Autorin
von drei Menschen, die in Yad Elijahu geboren sind, die miteinander
aufwachsen
und deren Lebenswege sich 40 (!) Jahre später wieder kreuzen.
Dabei hat sie
jeder Figur ein eigenes Kapitel gewidmet , lässt sie jeweils
in der Ich-Form
erzählen, sich erinnern und die sich langsam bei der
Lektüre erschließenden
Zusammenhänge zwischen den Lebensgeschichten der drei Menschen
schildern.
Da ist Malinka Zuckmayer, die sich Amalia Ben Ami nennt und seit drei
Jahrzehnten allein im Haus ihrer Mutter lebt. Verkaufen kann sie es
nicht, denn
die Mutter hat verfügt, dass sie zuvor erst heiraten
müsse. So lebt sie, mit
wechselnden Affären mit verheirateten Männer, auch
sinnbildlich "im Haus
der Mutter" und arbeitet, vorzugsweise nachts, als Moderatorin beim
israelischen Armeesender.
Da ist Gadi. Durch Kinderlähmung behindert, wurde der hinkende
junge Mann vom
Armeedienst befreit. Seit Kindertagen ist er in Malinka verliebt und
träumt von
einer Hochzeit mit ihr. Um ihn vor der Schande der
militärischen Untauglichkeit
zu bewahren, organisiert seine Mutter Sarke seine Auswanderung in die
Vereinigten Staaten von Amerika, wo man "kein Brot aus
Erinnerungen
backt", wie sie sagt. Sarke war mit Etka, Malinkas Mutter,
zusammen in
Auschwitz, und sie leben in Yad Elijahu als direkte Nachbarn.
Gadi wird in den Vereinigten Staaten von Amerika ein erfolgreicher
Mann, doch er
beginnt sich immer heftiger nach seinem Geburtsort zu sehnen, sehr zum
Unwillen
seiner Frau Dina, die ihr
Judentum verlassen zu haben glaubt, und mit
Gadi
kontroverse Diskussionen darüber führt, welche
Bedeutung Israel für die Juden
hat. Er will zurück und mit Amalia leben.
Und da ist Chesi als Dritter im Bunde. Er ist nach Paris gegangen und
hat dort
als Zeithistoriker Karriere gemacht. Er ist wie besessen von der Idee,
dass der
Zweite Weltkrieg erst vorbei sei, wenn die Juden bzw. ihre Nachkommen
wieder in
ihre ursprünglichen Orte in Polen zurückkehren und
dort die jüdischen Häuser
und Gebetstätten wieder aufbauen. Als er
während eines Israelbesuchs
Amalias Stimme im Radio hört, die sich mit einem "Schlager
aus dem
Lager", nämlich dem Lied "Still, still,
mein Kind, schweig
still, hier wachsen Gräber" von ihren
Hörern verabschiedet, trifft er
sich mit Amalia. Dieses Lied war die Hymne ihrer Kindheit. Er versucht
sie zu überzeugen,
dass ihre Begegnung "der Anfang von etwas Schönem"
sei, doch
sie endet schlussendlich in einem Fiasko, nachdem er sie nach Polen zu
seinem "Wiederaufbauprojekt"
mitgenommen hat.
Es ist der Umgang mit dem geschichtlichen Erbe, an dem sich in Dorons
Büchern
entscheidet, ob sich etwas Schönes oder eine
versöhnende Idee in einen
Schrecken verwandelt oder nicht.
Dorons Figuren sitzen allesamt wie in einer Falle. So, wie sie sie
schildert,
versucht sie nachzuweisen, dass es keinen "richtigen" Umgang mit dem
Gedenken an die Shoa und ihre Opfer geben kann.
Die zweite Generation, aufgewachsen im auch aggressiv vorgetragenen
Schweigen
ihrer Eltern, hat für ihr ganzes Leben wirksame
Beschädigungen erlitten, weil
sie ihr Leben nur als Trost für die Eltern verstehen kann. So
behutsam zum
Beispiel Etka und Sarke miteinander umgehen, so aggressiv und lieblos
reagieren
alle beide auf die Selbstbehauptungsversuche ihrer Kinder.
Die suchen, so wie Amalia, Chesi und Gadi, ihr eigenes Leben
und stoßen
doch immer wieder auf die Gräber der Vergangenheit: "Schweig
still,
mein Kind, hier wachsen Gräber".
Lizzie Doron versucht mit ihren Büchern das Schweigen zu
brechen. Es gibt sonst
niemanden, der in der Lage ist, die widerstrebenden Gefühle
der Nachkommen der
Überlebenden tiefer und schmerzhafter auszuloten. Man merkt
der sensiblen und
gelungenen Übersetzung Mirjam Presslers an, welche unsagbare
Anstrengung das
Schreiben dieser Bücher für Lizzie Doron bedeutet.
(Winfried Stanzick; 05/2008)
Lizzie
Doron: "Der Anfang von etwas
Schönem"
(Originaltitel "Hatchala schel maschehu jaffe")
Aus dem Hebräischen
von Mirjam Pressler.
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 2007. 238 Seiten.
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