Dietmar Dath: "Die Abschaffung der Arten"
Eine Wolpertinger-Utopie
Der Roman könnte aus einem
Nietzsche-Zitat entstanden sein: "Der
Irrthum hat aus Thieren Menschen gemacht; sollte die Wahrheit im Stande sein,
aus dem Menschen wieder ein Thier zu machen?" Oder man könnte sich
erinnert fühlen an Franklin J. Schaffners Film 'Planet der Affen' (1967) nach
dem Roman von Pierre Boule, 'La planète de singes' (1963). Jedenfalls gibt es
auch hier die Idee der Umkehr der
Evolution.
Der vorliegende Roman spielt in 500 Jahren, anstelle von Europa gibt es nur noch
drei riesige, labyrinthische Städte. Die Welt gehört den Tieren - der Löwe
Cyrus Golden lenkt zunächst den Städtestaat, bis er dem Wolf Dmitri in einem
Attentat zum Opfer fällt. Aber das Wechselspiel der Macht setzt sich fort - die
Tiere sind offensichtlich doch nicht schlauer als die Menschen. Und alle ringen
um die Erkenntnis, "warum den Menschen passiert ist, was ihnen passiert
ist." Der Roman lässt sich einreihen in die Tradition spekulativer
Romane von Thomas
Morus, Voltaire über Jules
Verne, H.G. Wells bis Stephen King und William Gibson. Die Verlagsankündigung
deutet an, dass Charles Darwin, wäre er Romancier gewesen, wohl eine ähnlich-sinngemäße
"epische Meditation über die Evolutionstheorie" geschrieben hätte.
Allerdings - mit Verlaub - gleicht der vorliegende Roman weniger einer
Meditation als einem Drogentrip.
Dath beschwört unzimperlich wie weiland Oswald Spengler den 'Untergang
des Abendlandes', er schreibt offenkundig schon mit Blick auf ein
posthumanistisches Zeitalter. In seiner Monster-Fabel verhalten sich die Tiere
wie Extrem-Menschen - die "Gente", die sprechenden Tiere,
zivilisieren den vormals blutigen Darwinismus durch Biotechnik, neue Wesen
werden "komponiert". Nach dem menschlichen Zeitalter der "Langeweile"
ist nun die Epoche der "Freiheit" angebrochen. Dath praktiziert
quasi die Umkodierung des Lebendigen in seinem Roman. Sprachlich könnte man
fast einen Cyber-Dadaismus attestieren, von bieder bis stahlhart, eine Art
Technoprosa. Während andere Autoren sich momentan im bürgerlichen Realismus üben
- etwa auch der soeben preisgekrönte Uwe Tellkamp mit seinem
DDR-Erinnerungsroman 'Der
Turm' - stapelt Dath hoch, indem er mit der 'Upanishad'-Schlussformel "Shantih
shantih shantih" endet - was bedeutet: "Der Friede, der höher
ist als alle Vernunft."
Man stellt sich in Tierkreisen die Frage: "Wenn es die Liebe nicht
gewesen war, was die Menschen hatte scheitern lassen, warum war dann ihr lautes,
stinkiges, sich alles aneignendes Weltbewohnen so blutig zuende gegangen?"
Immerhin feiert man aber nun die "Befreiung" und den "Frieden
zwischen Natur und Vernunft" - die "florifaunische
Zivilisation" war angebrochen. Und wenn wir bedenken, was wir Menschen
uns gegenseitig und unserem Planeten schon alles angetan haben, dann könnte man
es als Wohltat empfinden, einen dicken Roman zu lesen ohne Menschen als
Protagonisten - dummerweise noch als Erinnerungsfolie - man fürchtet immer noch
den "Widerstand der Abgetanen", der "abgedankten
Alphatiere". Dabei gelten die "Gente" als "Hebammenzivilisation,
keineswegs als Endziel aller irdischen Entwicklung." Immerhin erkennt
man noch, "dass in den Fenstern der Kaufhausruinen und des
Telekomhochhauses neue Gräser wuchsen, Veilchen blühten." In einer
der Städte werden noch die letzten "vagabundierenden Menschen"
wie Obdachlose geduldet, Frauen kommen allerdings in den "Menschenpuff",
wo sie von Hunden, Affen oder Hirschen bestiegen werden. Das Leben im Zeitalter
der "Befreiung" besteht aus "Essen fassen, Saufen,
Huren."
Die Menschen wurden sukzessive vergiftet, während man ihnen die Hände
abtrennte, damit sie z.B. nichts mehr in ihre Computer eintippen konnten. Den
Tieren werden die "korrumpierten Informationen, der haarsträubende
Unsinn von Religionen und Kulturräumen" lästig, sie versuchen sich
von Sprachregelungen und Moralvorstellungen der Menschen zu befreien. Man möchte
aus den Jahrtausende alten Fehlern der Menschheit lernen, z.B. warum der
allgemeine Wohlstand ausgeblieben war. Der Wahlspruch des Löwen sollte
umgesetzt werden: "Wir machen aus der Evolution das schlechthin
Willentliche." Die "Gente" verwerten ihren Müll "in
großem Umfang" wieder, "das ganze Leben ist Kunst" -
und man interpretiert den "Götterhimmel als Zoo" - und es
besteht die Gefahr, dass "die Flüchtlingsströme unsere Ökotektur
durcheinanderbringen."
Nachdem der Wolf den Löwen, der ihn nie ernst genug genommen hatte, getötet
hatte, wurde geleugnet, dass es den Löwen jemals gegeben habe. Und so beginnt
wieder ein neuer Zyklus, als "das nichtigste Wesen auf dem Gestirn
begriff, dass es das wichtigste Wesen auf dem Gestirn war." Schließlich
gibt es die Menschen und die "Gente" eigentlich nicht mehr. Die
Weisheit, die aus den teils recht wirren Dialogen sprechen soll, ist oft nicht
sehr tiefschürfend: "Es kommt nicht darauf an, herauszufinden, was das
Leben eigentlich ist. Es kommt nur darauf an, was man damit anfängt."
Das klingt nicht gerade nach fundamentalem Erkenntnisinteresse, das ist banaler
Utilitarismus. Das neue Leben setzt sich
auf
dem Mars fort, die Echse Padmasambhava wird die neue Heilsbringerin. Die
Besiedlung des Mars gilt als experimentum crucis, welches erweisen soll, dass
sich Organismen "seitwärts, vorwärts, rückwärts"
entwickeln, "um alle möglichen Gestalten anzunehmen" - wonach
nicht die Selektion als Evolutionsprinzip gilt, sondern die Komplexität. Das
erklärt wohl auch, wie sich diese Wolpertinger-Utopie nach des Autors Absicht
zu entfalten hat mit dermaßen seltsamen Wesen, dass bei einer etwaigen
Verfilmung jeder Maskenbildner verzweifeln müsste, wenn wir von einem "Durcheinander
aus Armen, Beinen, Rückgrat, Greifern, Stacheln und Augen" zu lesen
kriegen. Und im Grunde gibt es hier "keine Gedanken, die man
aufschnappen durfte, keine Richtung, die das Ganze hatte oder die man ihm geben
konnte." Im letzten Teil werden die ganzen Vorgänge als "Raumzeitscheiße"
bezeichnet (in einem der zahlreichen mäandernden Dialoge), schließlich sollen
die Menschen auf der Venus "wiedererschaffen" werden.
Irgendwie geht die Geschichte (vorläufig) gut aus: "Es würde zu keinem
Krieg kommen, so kleinlich war die Geschichte nach der Geschichte gar
nicht." Das vorliegende Buch mag ein ehrgeiziges Unternehmen sein, eine
extrapolierende Epopöe, im Kopf des Lesers richtet es eine Katastrophe an. Die
mühsam bewahrte Lust am Lesen und die krampfhaft versuchte Konzentration werden
dermaßen durcheinandergewirbelt, dass man sich schon selbst wie ein
Wolpertinger vorkommt. Es würde nicht verwundern, wenn man demnächst läse,
der Autor habe sich in psychiatrische Behandlung begeben müssen. Denn der
innere Kosmos, den er mit diesem Buch aufgestoßen hat, droht ihn wie uns Leser
zu verschlingen wie ein schwarzes Loch. Da flüchtet man sich gerne wieder in
die Realität und zu den Büchern der bürgerlichen Realisten. Vielleicht sollte
man künftig in die Lektorate auch einen Psychiater setzen. Wir kennen
mittlerweile die Debatten um Niveau und die nötige oder unangebrachte
Unterscheidung zwischen Unterhaltungs- und ernsthafter Literatur. Zu Daths Buch
muss festgestellt werden: leider ist es hängengeblieben auf dem Niveau einer
postpubertären ausgerasteten Fantasie (Fantasy?)-Orgie. Es hätte
eventuell eine Utopiesatire werden können - aber man muss nun postulieren:
unsere Zeit ist zu knapp, um mit dem Thema der Zukunft der Menschheit
herumzukaspern. Der Rezensent sieht sich bemüßigt, relativ humorlos zu
konstatieren: hier ist zuviel U und zu wenig E - es ist im wahrsten Sinne ein
Zeit-Vertreib dieses Buch zu lesen.
(KS; 11/2008)
Dietmar Dath: "Die Abschaffung der
Arten"
Suhrkamp, 2008. 552 Seiten.
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Dietmar Dath, geboren 1970, Schriftsteller und Übersetzer, lebt in Freiburg und Frankfurt am Main. Er war Chefredakteur der "Spex" (1998-2000) und Redakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (2001-2007). Seine Romane, Sachbücher und Artikel unterwandern, überfliegen und durchkreuzen Gattungs- und Vorstellungsgrenzen, und zwar mit System.