Deepak Chopra: "Der dritte Jesus"

Auf der Suche nach dem kosmischen Christus


Im Dunstkreis von Religion und Esoterik

"Deepak Chopras Deutung der Botschaft Jesu zeigt einen Erkenntnisweg, der unser Bewusstsein auf eine neue Stufe heben kann und die Chance einer tiefgreifenden mystischen und ethischen Veränderung eröffnet." So jedenfalls steht es im Rückseitentext auf dem Schutzumschlag zu lesen. Ich nahm die Worte gewissermaßen als Aufforderung, mir ein ruhiges Plätzchen zu suchen, meinen spirituellen Seismografen zu aktivieren, um sodann Chopras Worte völlig unvoreingenommen auf mich wirken zu lassen. Genau das habe ich denn auch versucht, der inspirierende Funke wollte jedoch nicht überspringen, von einem spirituellen Orgasmus ganz zu schweigen. Nur manchmal blinkte es wie ein Wetterleuchten zwischen den Zeilen auf, und eine Ahnung wehte den Rezensenten an, die von geheimen und mystischen Offenbarungen zu flüstern schien. Wirklich substanzielle Nahrung für die bohrenden Fragen, die den Menschen auf der Suche nach dem Sinn bedrängen, liefert Deepak Chopra nicht. Statt dessen serviert er uns ein merkwürdiges Konglomerat aus Intellektualismus und Mystizismus. Und warum die Redakteure des "Time Magazine" diesen Mann zu den 100 herausragenden Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts zählen, bleibt wohl für alle Zeiten deren unerforschliches Geheimnis.

Es geht dem Autor in diesem Buch vor allem darum, dass der Mensch Gottesbewusstsein erlangt, um auf diese Weise dem Vorbild Jesus nachzueifern. Denn Jesus war - so der Autor - ein Mensch mit Gottesbewusstsein, der versucht hat, dieses höhere, jenseits der fünf Sinne liegende Bewusstsein auch anderen Menschen weiter zu vermitteln. Das ganze Streben des Menschen hat sich also auf dieses Ziel hin auszurichten. Auch das Reich Gottes, von dem Jesus immer wieder gesprochen hat, deutet Deepak Chopra als eine höhere Bewusstseinsebene. Und die Wiederkehr Jesu wird nicht etwa materiell körperlich erfolgen, sondern im Sinne einer Bewusstseinsveränderung des Menschen. Dies ist das Credo des Deepak Chopra.

Der gebürtige Inder Deepak Chopra, Internist und Endokrinologe, der sich aber offenbar zum spirituellen Lehrer berufen fühlt, hat seine Wurzeln im östlichen Kulturkreis, und das hat natürlich seine Gedanken und Vorstellungen weitgehend geprägt. Vieles von dem, was in den Evangelien steht, wird von ihm im Sinne der indisch-vedischen Religionsphilosophie ausgelegt. Begriffe wie das Karma, Meditation oder Yoga tauchen immer wieder im Text auf. Doch Chopra bietet hier weder Neues noch Originelles. Konventionelle Biederkeit, die bisweilen geradezu entwaffnend naiv wirkt, ist hier Trumpf. Der Autor ergeht sich zudem in Weitschweifigkeiten und Wiederholungen, die er im salbungsvollen Kanzelstil zum Besten gibt. Sein Buch ist über weite Strecken öde und langweilig, mit zahlreichen Bibelzitaten gespickt, die von Chopra dann kommentiert und ausgelegt werden. Beispielsweise deutet er das Bibelzitat "Sorgt euch also nicht um morgen" als "Vertraut auf die organisierende Kraft des Universums." Viele dieser Bibelzitate entstammen dem der Gnosis zugerechneten Thomasevangelium, das zahlreiche Parallelen zur fernöstlichen Religionsphilosophie aufweist. Dadurch geht der Autor auch bewusst auf Distanz zu der durchorganisierten, starren Religionsform einer Amtskirche. Seine Sichtweise, was Jesus und das Gottesbewusstsein anbelangt, entspricht demnach in etwa der Auffassung der Gnostiker. Zitat: "Die Gnostiker hatten stets eine Tendenz zum extremen, oft kryptischen Mystizismus. Jesus existierte für sie in einem Bewusstseinszustand jenseits der fünf Sinne und des denkenden Verstandes." Chopra spart auch nicht mit durchaus berechtigter Kritik an vielen Positionen, die von Seiten der Amtskirche vertreten werden und die heute nicht mehr zeitgemäß erscheinen. Ebenfalls völlig zu Recht unterstellt er vielen praktizierenden oder bekennenden Christen eine gewisse Form von Arroganz. Er wirft ihnen beispielsweise vor, auf der Einzigartigkeit ihrer Religion zu beharren und Gottes eingeborenen Sohn für sich zu reklamieren. Doch andererseits hat der Autor wenig Eigenes dagegen zu setzen. Er stochert sowohl im mystischen als auch im historischen Nebel herum, ohne dass er den Schleier zu lüften vermag. Und auch über dem Leben der historischen Person Jesus liegt ein diskreter Schleier, denn die Bibel scheint die einzige Quelle zu sein, in der vom Leben und Wirken dieses Mannes berichtet wird. Deepak Chopra wägt das Pro und Kontra ab, was die Verlässlichkeit der Evangelien angeht und interpretiert die dort überlieferten Aussagen immer wieder aus seiner indisch-vedischen Sicht. Das ist zwar mitunter recht interessant und auch teilweise einleuchtend und überzeugend, doch der interessierte Leser nimmt besser gleich die Bibel zur Hand, schmökert vielleicht ein wenig darin und macht sich dann seine eigenen Gedanken, so mein Vorschlag.

In keinem esoterischen Buch dürfen diverse Übungen, Wunsch- und andere Listen fehlen, nach denen der Leser die Richtung seiner spirituellen Entwicklung ausrichten kann. Einige dieser Listen lesen sich (vermutlich nicht nur) bei Deepak Chopra wie eine Ansammlung von Sentenzen, die man mit Sinnsprüchen von Glückskekszetteln zusammengebosselt hat, Glückskeksen, wie sie den Gästen in chinesischen Restaurants gereicht werden. Binsenweisheiten bestenfalls. Oder die Sätze aus diesen Listen haben das unbestimmt Schwammige von Zeitungshoroskopen. Schließlich erhält der Leser noch eine praktische Anleitung zur Kontemplation sowie skurril anmutende Übungen vorgesetzt, wie beispielsweise diese: "Versuchen Sie mit Ihrer Furcht oder Feindseligkeit zu reden. Bitten Sie um Auskunft darüber, was sie bedeutet. Bitten Sie die negative Energie, zu verschwinden." Oder: "Beginnen Sie, so tief wie möglich in den Bauch hineinzuseufzen. Bitten Sie jeden tiefen Seufzer, alle Energien mitzunehmen, die Ihren Körper in diesem Moment verlassen wollen." Dann finden sich auch noch obskure Aussagen wie "Die Schlacht zwischen Gut und Böse tobt in unserem eigenen Inneren als ein Kampf zwischen unseren Dämonen und Engeln."

Nun gehöre ich nicht gerade zu den Menschen, die alles Esoterische nur mitleidig belächeln, sonst hätte ich ja vermutlich dieses Buch erst gar nicht gelesen. Doch muss ich sagen, dass mich die Lektüre wenig erbaut hat. Es soll aber auch nicht der Eindruck entstehen, als beinhalte Chopras Jesus-Buch überhaupt nichts Lobenswertes. Der Autor liefert schon einige wertvolle Denkanstöße. Dazu gehören Überlegungen zum Wesen des Krieges oder Gedanken zur Gleichstellung der Frau und manches Andere. Auch die Aussöhnung mit dem Schatten, wie C.G. Jung sie beschrieben hat, wird in recht ansprechender, etwas modifizierter Form wiedergegeben. Und doch - das wirklich Substanzvolle dieses Buches hätte man in einer knappen dünnen Broschüre bündeln können. Insgesamt war ich doch arg enttäuscht von Deepak Chopras "Der dritte Jesus".

(Werner Fletcher; 10/2008)


Deepak Chopra: "Der dritte Jesus. Auf der Suche nach dem kosmischen Christus"
(Originaltitel "The Third Jesus")
Übersetzt von Gisela Kretzschmar.
Goldmann Arkana, 2008. 320 Seiten.
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